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Zurück an der Schule

Fast alle Lehrer gehen vorzeitig in Rente. Dabei werden sie in den Schulen dringend gebraucht. Zurückkommen ist nicht einfach.

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© Symbolfoto: dpa/Wolfram Kastl

Von Andrea Schawe

Sie wollte aufhören. „Ich hatte keine Lust mehr“, sagt Christel Richter. Die wenigen Freiräume, um in der Oberschule kreativen Unterricht zu machen, der zunehmende Druck der Eltern, die fehlende Wertschätzung ihrer Arbeit – nach all den Jahrzehnten als Lehrerin wurde ihr das zu viel. Also ging die Hohendubrauerin im Juli 2015 mit 63 Jahren in Rente. „Ich war froh, dass ich erst einmal weg war“, sagt sie.

Zwei Jahre später steht Christel Richter in der Oberschule Mücka im Landkreis Görlitz wieder vor den Kindern. Seit den Herbstferien unterrichtet sie Englisch in den Klassen 5 bis zehn, 23 Stunden in der Woche. „Hauptsächlich aus ideologischen Gründen“, sagt sie. „Einer muss es ja machen, sonst fällt so viel Unterricht aus.“

Derzeit scheiden neun von zehn Lehrer mit 63 Jahren aus dem Schuldienst aus, bis 2025 werden voraussichtlich 15 000 Lehrer vorzeitig in Rente gehen. „Viele von ihnen gehen nicht ohne Grund, sondern wegen gesundheitlicher Probleme“, sagt Christel Richter. Sie ist eine von mehr als 1 450 Lehrern über 63, die noch arbeiten. Dazu kommen noch 288 Lehrkräfte im Schuldienst, die das 65. Lebensjahr bereits vollendet haben – und damit trotz voller Rente arbeiten. Mehr als die Hälfte unterrichtet an Grund- und Oberschulen.

In Zeiten, in denen es akut an Lehrern mangelt, versucht Sachsen die Älteren länger im Schuldienst zu behalten. Im 2016 beschlossenen Maßnahmepaket wurde deshalb eine Bindungszulage beschlossen: Wer länger unterrichtet, erhält etwa 700 bis 800 Euro brutto mehr im Monat. Bisher haben nach Angaben des Kultusministeriums 546 Lehrer diese Möglichkeit in Anspruch genommen.

Der Unterrichtsausfall war der Grund, warum Christel Richter aus der Rente an die Schule zurückging. Als ihre Nichte sie um Englisch-Nachhilfe bat, hakte Richter nach. Eine Reise nach London stand bevor, und das Mädchen fühlte sich in der Fremdsprache nicht sicher. Was ist mit dem Englischunterricht? Der fiel an der Oberschule seit Schuljahresbeginn aus, weil die Lehrerin krank war. Eine Sportlehrerin sprang bei den kleineren Klassen ein und übernahm die Vertretung. Um das möglich zu machen, wurden die Unterrichtsstunden in Englisch gekürzt und der Sportunterricht mehrerer Klassen zusammengelegt.

Christel Richter will helfen und fragt beim Schulleiter an, ob sie als Vertretung erwünscht ist. „Er war sichtlich erleichtert, jemanden zu haben, der bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen“, sagt sie. Doch bis es dazu kommt, dauert es. Um wieder unterrichten zu können, muss sich die 65-Jährige über die Bildungsagentur an der Schule bewerben.

Drei Wochen später kommt der Vertrag. „Der hat mich gelinde gesagt etwas empört“, sagt Christel Richter. Für die Tätigkeit sollte sie zwei Stufen niedriger bezahlt werden als in der Zeit des aktiven Schuldienstes – ein Betrag von etwa 1 000 Euro brutto weniger. „Ich frage mich ernsthaft, ob so die Wertschätzung von Kollegen aussieht, die in einer Situation wie dieser bereit sind, einzuspringen?“, sagt Richter. Sie sei in den zwei Jahren „nicht blöder“ geworden. „Ich persönlich empfinde es sogar als Kränkung und Frechheit einem gestandenen Lehrer gegenüber.“

Die Bezahlung regelt sich nach dem Tarifvertrag der Länder, heißt es aus dem Kultusministerium. Nach Paragraf 16 werden Lehrer die mehrjährige Berufserfahrung haben, aber länger als sechs Monate aus dem Dienst ausgeschieden sind, in Erfahrungsstufe 3 von bisher 5 eingruppiert. Eine Zulage werde nicht gewährt, sagt eine Sprecherin des Kultusministeriums. Als finanzieller Anreiz gelte, dass Lehrer ab der Regelaltersgrenze von 65 Jahren ungemindert die gesetzliche Rente und den tariflichen Lohn beziehen, wenn sie wieder arbeiten.

Für Christel Richter gilt das ab Januar 2018. Ihr Vertrag an der Oberschule Mücka läuft noch bis zum Ende des Schuljahres. Auch danach könnte sie sich vorstellen, weiter zu unterrichten – allerdings weniger Stunden. „Es ist ja auch anstrengend, und ich bin nicht umsonst in Rente“, sagt die 65-Jährige. „Es macht mir aber nach wie vor Spaß.“

Damit Schulleiter in Zukunft flexibel Lösungen finden können – etwa weil sie die Rentner persönlich kennen – sollen Schulen ein Budget bekommen. Nach den Plänen der CDU/SPD-Koalition sollen nicht zugewiesene Lehrerwochenstunden als Barmittel zur Verfügung stehen. Damit können Schulleiter unkompliziert mit Externen Honorarverträge abschließen. „Ich würde auch auf Abruf Vertretungsstunden geben, wenn Lehrer krank sind“, sagt Richter. Dafür gebe es bisher keinen Spielraum. Man müsse aber „kurzfristig, flexibel, marktbezogen auf die Situation reagieren und nicht nur jammern, dass es keine Lehrer gibt“, so die Lehrerin.