Merken

Zauberei erwünscht

Zum Schloss Noschkowitz am Rande der Lommatzscher Pflege gehört ein ganz besonderes Rittergut. Ob das Ensemble erhalten bleibt, hängt auch an einem Zwist unter den Besitzern.

Teilen
Folgen
© Thomas Schade

Von Thomas Schade (Text und Fotos)

Gegen Ende des Mittelalters sollen im Kurfürstentum Sachsen etwa ein Dutzend Damen aus adeligem Stande der Hexenverfolgung zum Opfer gefallen sein. Eine dieser Damen lebte Mitte des 16. Jahrhunderts im Schloss Noschkowitz zwischen Riesa und Döbeln.

Der Innenhof mit den sanierten Türmen.
Der Innenhof mit den sanierten Türmen. © Thomas Schade
Ilse und Walter Uhlemann besaßen vor 1945 das Schloss.
Ilse und Walter Uhlemann besaßen vor 1945 das Schloss. © Archiv
Horst Klimes, Ortschronist und ehrenamtlicher Bürgermeister nach 1990.
Horst Klimes, Ortschronist und ehrenamtlicher Bürgermeister nach 1990. © SZ Döbeln

Ihr Name: Sophia von Taubenheim. Es ist nicht bekannt, wann sie geboren wurde. Dokumentiert ist, dass sie in jungen Jahren auf Schloss Schnaditz lebte an der Seite des Junkers von Zaschnitz. Nach dessen Tod wurde Sophia die zweite Frau des Hofrates Hans von Taubenheim, der 1568 vom sächsischen Kurfürsten mit dem Rittergut Noschkowitz belehnt wurde.

„Wir wissen nicht, wer das Schloss ursprünglich gebaut hat“, sagt Horst Klimes, der Ortschronist des Dorfes. „Das erste herrschaftliche Haus hat vermutlich schon im 12. Jahrhundert hier gestanden“, erzählt der 80-Jährige, der vor zwei Jahren zusammen mit seiner Frau eine fast 500-seitige Ortschronik vorgelegt und dafür unzählige Stunden in Archiven gelesen hat.

Hans von Taubenheim und seine Frau Sophia zählen zu den interessantesten Persönlichkeiten Noschkowitzer Geschichte. Der Mann aus sächsischem Uradel hatte vermutlich eine mittelalterliche Wasserburg übernommen. Er modernisierte sie zu dem Renaissanceschloss, das heute zu sehen ist. Sein Wappen und das seiner Frau finden sich noch über dem Torbogen.

In der Chronik widmet Horst Klimes Hans von Taubenheim und seiner Frau Sophia ein eigenes Kapitel. Taubenheim galt als strenger Lehns- und Gerichtsherr – unbeliebt bei seinen Untertanen, die von ihm abhängig waren, unter hohen Abgaben litten und darüber am Dresdner Hofe auch Beschwerde führten. Als Hofrat ging Taubenheim dort ein und aus. Doch aus bisher unbekannten Gründen fiel er 1574 bei Kurfürst August in Ungnade. Um die Gunst des Kurfürsten wiederzugewinnen, soll Sophia mit einer Komplizin versucht haben, den Kurfürsten zu bezaubern. Sie soll ein Stück von Augusts Kleidern „verhext“ haben. Außerdem gestand sie einen Seitensprung ein mit einem Sigmund von Miltitz.

So redete man am Dresdner Hof über die beiden Adligen aus Noschkowitz, die zudem erhebliche Schulden hatten und angeblich unrechtmäßig Besitz ihrer Untertanen pfänden ließen. Im Jahre 1585 führten die Gerüchte zu einem Hexenprozess. Ein Dieb brachte alles ins Rollen. Als Gerichtsherr hatte Taubenheim den Dieb zuvor zum Tode verurteilt. Um seine Haut zu retten, bezichtigte der Verurteilte Sophie im Gericht öffentlich der Zauberei. Damit war der Vorwurf der Hexerei offiziell geworden, und die Justiz musste der Sache nachgehen. Im Verlaufe der Generaluntersuchung wurde die Adelsfrau gefoltert und am 23. Juli 1585 auf dem Dresdner Marktplatz öffentlich mit dem Schwert hingerichtet – angeblich im Alter von 39 Jahren. Hans von Taubenheim verkaufte das Schloss zwei Jahre später und ging nach Wittenberg.

Der Adelsmann hinterließ ein Schloss, das aus zwei Hauptgebäuden bestand. Ein Treppenturm verbindet das Haupt- mit dem Torhaus. Im Süden und Westen begrenzen zwei Kavaliershäuser den rechteckigen Schlosshof. Im Süden schließt sich ein kaum noch erkennbarer Schlosspark mit Teich an. Im Norden vor dem Torhaus erstreckt sich das riesige Rittergut mit einem Innenhof, fast so groß wie zwei Fußballfelder. Ställe, Scheunen, Wirtschaftsgebäude bilden einen mächtigen Dreiseithof, der im Süden vom Schloss begrenzt ist. Damit sei Noschkowitz eines der letzten nach allen Seiten geschlossenen Rittergüter Sachsens, sagt Horst Klimes. Die Anlage befindet sich jedoch in einem beklagenswerten Zustand. Die Postfrau öffnet täglich ein provisorisches Tor, um Briefe und Päckchen zu den verbliebenen Bewohnern zu bringen.

Seine Blütezeit erlebte das Rittergut in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nachdem es Walter Uhlemann 1932 bei einer Zwangsversteigerung erworben hatte. Uhlemann entstammte einer Rittergutsfamilie und führte eine moderne Landwirtschaft ein. Nach wenigen Jahren beschäftigte er bis zu 30 Landarbeiter. Nach zehn Jahren erntete er fast 170 Tonnen Weizen, 230 Tonnen Kartoffeln und 750 Tonnen Zuckerrüben von insgesamt 260 Hektar Nutzfläche. In seinen Ställen standen fast 40 Pferde, bis zu 132 Rinder, 240 Schafe und fast 200 Schweine. 1943 lieferte sein Gut mehr als 176 Tonnen Milch ab. „Beachtliche Leistungen für diese Zeit, und man sieht sofort, dass ein ausgebildeter Landwirt das Gut bewirtschaftete“, sagt Horst Klimes. Die Einnahmen erlaubten es Uhlemann, die ruinösen Gebäude instand zu setzen und zu modernisieren. Er ließ Dächer neu decken und eine Zentralheizung einbauen.

Die letzte bürgerliche Herrschaft auf Noschkowitz bewohnte das gesamte Schloss. Es gab ein Herrenzimmer mit zwei Sitznischen neben dem Festsaal, ein Musikzimmer mit Konzertflügel. Im Gartenzimmer speiste die Familie. Von dort führte eine Glastür auf die Terrasse. So schilderte eine inzwischen verstorbene Tochter das Leben auf Schloss Noschkowitz vor 1945. Als im Juli 1934 das erste von vier Kindern geboren wurde, Tochter Sybille, soll der damalige Pastor erklärt haben, dass das Baby das erste Kind sei, das seit 100 Jahren in Schloss Noschkowitz geboren wurde.

Nach Uhlemanns Enteignung 1945 verteilte die Bodenkommission einen Teil der Felder an Neubauern. Eine Hälfte verblieb beim Gut, das ab Oktober 1945 als volkseigenes Staatsgut bewirtschaftet wurde.

Im Schlosshof deutet ein Pkw darauf hin, dass Leben ist in den alten Gemäuern. Ein Hund beginnt zu bellen, sobald man sich der offenen Tür eines der Kavaliershäuser nähert. Das fragende „Hallo“ wird mit einem „Gleich“ beantwortet, und wenig später steht eine junge Frau in der Tür. Etwas reserviert bestätigt sie, dass sie zur Familie Bachmann gehöre. Mehr möchte sie nicht sagen. Zu viel Unsinn sei über Noschkowitz und ihre Familie schon geschrieben worden.

Dabei gibt es allerhand Fragen zum Schloss und zu den Besitzern. Auf den ersten Blick macht der Renaissancebau den Eindruck einer Baustelle. Nord- und Ostfassade des Haupthauses sind eingerüstet. Auf dem Walmdach des markanten Erkers liegen neue Ziegel. In den Fenstern sind teilweise neue Sandsteingewände eingesetzt. Auch im Innenhof des Schlosses und an einem der Gutshäuser stehen Gerüste. Bauleute sind nicht zu sehen. Der Ostrauer Bürgermeister Dirk Schilling hebt ratlos die Schultern. Das Schloss präge das Bild des Ortsteiles Noschkowitz. „Aber ein Aushängeschild für das Dorf ist es derzeit nicht.“ Dabei sei das Schloss mit seinen Besitzern mal „auf einem ganz guten Weg gewesen“, so der Bürgermeister.

Der Ort habe gute Chancen gehabt, das Schloss zu erhalten, sagt auch Horst Klimes, der nach 1990 ehrenamtlich Bürgermeister in Noschkowitz war. „Doch es wurde wertvolle Zeit verschenkt.“ Zu verantworten hat das die Treuhand und ihre Nachfolger. Sie hatten die Immobilie nach 1990 übernommen. „Damals war das Schloss noch in einem guten Zustand, die Fassaden mussten erneuert werden, aber alle Wohnungen waren in Ordnung“, erzählt Horst Klimes. Interessenten hätten in den 90er-Jahren im Ort und bei der Treuhand nachgefragt. „Da waren auch Spekulanten dabei, aber es gab auch ernsthafte Bewerber mit guten Konzepten.“ Alle scheiterten an der Treuhand. So verfielen die Gebäude zunehmend.

Noschkowitz erarbeitete einen Dorfentwicklungsplan und wurde in das sächsische Dorfentwicklungsprogramm aufgenommen. „Damit hatten wir eine gute Grundlage für Investitionen, die in hohem Maße gefördert wurden“, erzählt Ex-Bürgermeister Klimes. So sei es gelungen, die dörfliche Infrastruktur entscheidend zu verbessern. „Nur beim Schloss konnten wir die Chance nicht nutzen, weil die Treuhand nicht privatisierte.“ Stattdessen bereitete sie die Versteigerung vor.

Die fand im August 1999 statt. Zwei Söhne der Familie Bachmann aus Österreich, Reinhard und Wieland, erhielten für 285 000 DM den Zuschlag. Die Noschkowitzer wussten zunächst nicht, wer sich da ihres Schlosses bemächtigt hatte. Vater Raimund Bachmann war kein Unbekannter, er firmierte eine Zeit lang als Schatzmeister der oberösterreichischen NDP, einer Schwesterpartei der NPD. Diversen Veröffentlichungen ist zu entnehmen, dass sich nach Bachmanns Einzug Rechtsextremisten im Schloss getroffen haben sollen. Bürgermeister Schilling sagt, dass er dazu Anfragen bekommen habe, aber solche Aktivitäten nie feststellen konnte. Auch Horst Klimes sagt: „Hier hat es keine für uns erkennbare Neonaziaktivitäten gegeben.“ Im Gegenteil. Bachmann habe versucht, sich in die Gemeinschaft zu integrieren, sang im Männergesangsverein mit, bot dem Förderverein zu Rettung des Schlosses die Zusammenarbeit an und stellte den Gemeinderäten vor, was er mit dem Schloss vorhatte. „Seine Pläne waren allerdings nie sehr konkret, ein Gesamtkonzept gab es nie“, sagt Klimes. 2001 war das Schloss zentraler Veranstaltungsort zum Tag des offenen Denkmals im Landkreis Döbeln. Im Jahr darauf fand der erste Bauernmarkt statt.

Doch da gab es schon „Krach im Gebälk des Schlosses Noschkowitz“ wie die Döbelner Allgemeine Zeitung im Herbst 2001 schrieb. Wichtige Leute im Förderverein legten ihr Ehrenamt nieder und erklärten, es habe nie eine richtige Zusammenarbeit gegeben. Fortan stellte sich Bachmann selbst an die Spitze des Fördervereins. Ab 2005 begann die Rekonstruktion des kleinen Schlossturms. Dach, Außenputz und Fenster wurden erneuert. Während dieser Arbeiten eskalierte der Streit um Bachmanns Tierhaltung. Seine Ziegen begannen, die Bäume im Schlosspark anzufressen. Zwei Hunde verängstigten die Einwohner und jagten Hasen und Hühner. Dennoch begannen 2009 erneut Bauarbeiten, mit denen auch der große Treppenturm des Schlosses rekonstruiert werden konnte. Das Geld kam hauptsächlich vom Denkmalschutz. Aber auch Bachmann habe sein ganzes Geld in das Schloss gesteckt, sagt Jörg Liebig vom zuständigen Denkmalschutzamt in Freiberg. „Die Rekonstruktion der Türme war auch ein weithin sichtbares Zeichen, dass wir das Schloss retten wollen“, sagt Liebig. Aber diese Aufgabe sei beträchtlich. Und Bachmann habe sich damit sicher übernommen.

Dass auch die Familie daran zerbrochen ist, merkten die Noschkowitzer nach Raimund Bachmanns Tod im Frühsommer 2013. Der Streit wurde offen sichtbar, als im Frühsommer 2015 zwei Brüder vor dem Amtsgericht Döbeln erscheinen mussten. Geschwister beschuldigten sich gegenseitig. Der Amtsrichter stellte das Verfahren am Ende ein, weil der Sachverhalt nicht aufzuklären gewesen sei. Vermutlich hat der Streit auch zu der Teilversteigerung geführt, bei der vergangenes Jahr einer der Brüder seinen Anteil am Schloss verloren hat. Demnach ist seither Wieland Bachmann Eigentümer von Schloss Noschkowitz. Im Förderverein hat laut Vereinsregister Ehefrau Heidelinde den Vorsitz inne, dort sind aber auch weitere Familienmitglieder im Vorstand.

Bis heute werde am Schloss gebaut, sagt Denkmalschützer Jörg Liebig. Dass es nicht zügig vorwärtsgeht, liege wohl auch daran, dass die Besitzer nicht mehr vor Ort leben. Die teils mehr als 400 Jahre alten Gemäuer werden vom Denkmalschutz als „baugeschichtlich, regionalgeschichtlich sowie baukünstlerisch bedeutsam“ eingestuft. Das Schloss und die zahlreichen Nebengebäude würden „eindrucksvoll die funktionale Zusammengehörigkeit von Adelssitz und Landwirtschaft“ zeigen. Doch dem Ostrauer Bürgermeister sind aktuell weder Bau- noch Fördermittelanträge zum Schloss bekannt. Dirk Schilling lächelt bei der Frage, ob Noschkowitz wieder einmal so etwas bräuchte wie einen Zauber. „Ja, so etwas ähnliches.“

Mitarbeit: Ulrich Wolf