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„Wir brauchen die Wölfe“

Eine Bejagung kann sogar kontraproduktiv sein, sagt der Biologe und Wolfsexperte Sebastian Koerner.

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© Gernot Menzel

Wohl kaum jemand in Deutschland kommt wildlebenden Wölfen so nahe wie der Biologe und Naturfilmer Sebastian Koerner aus Spreewitz im Lausitzer Seenland. Seit es wieder Wölfe in Sachsen gibt, ist ihnen der 54-Jährige mit Kamera und Tarnzeug auf der Spur. Seine Filme vom Familienleben der Wolfsrudel sind einzigartig. Er sagt: „Wir brauchen die Wölfe.“ Warum, das erklärt er im SZ-Gespräch.

Mit seiner Kamera kommt Sebastian Koerner den wildlebenden Wölfen so nahe wie kaum ein anderer – hier einem neugierigen Welpen aus dem Milkeler Rudel.
Mit seiner Kamera kommt Sebastian Koerner den wildlebenden Wölfen so nahe wie kaum ein anderer – hier einem neugierigen Welpen aus dem Milkeler Rudel. © Sebastian Koerner

Herr Koerner, wozu sollten wir Wölfe brauchen?

Ich weiß, dass der Wolf eine wichtige Rolle im Ökosystem spielt. Wir Menschen verändern und zerstören die Natur in einem bisher unbekannten Ausmaß. Aber alles in ihr hängt zusammen. Als Top-Beutegreifer komplettiert der Wolf wieder unseren Naturhaushalt. Nur so können sich die Beutetierarten natürlich weiterentwickeln.

Jäger sehen das aber anders. Sie sagen, wo der Wolf ist, verschwindet das Wild.

Das stimmt nicht. Alle Untersuchungen, die dazu gemacht wurden, zeigen: Die Entwicklungen der Wildbestände in Gebieten mit und ohne Wölfen unterscheiden sich kaum. In der Lausitz wird viermal mehr Wild durch Jagd und Straßenverkehr getötet als durch Wölfe. Ein Territorium, das ein Wolfselternpaar gegen andere erwachsene Wölfe verteidigt, ist hier etwa 200 bis 300 Quadratkilometer groß. Auf derselben Fläche leben tausende Rehe, Hirsche und Wildschweine. Für sie sind die Felder, Wiesen und Wälder ringsum das reinste Schlaraffenland. Sie verursachen hier ja auch erhebliche Schäden. Die Wölfe helfen aber nicht nur, die Wildbestände zu begrenzen, sondern auch, sie gesund und vital zu erhalten, indem sie vor allem kranke und schwache Tiere jagen.

Aber hier leben die Wölfe eben auch nahe an Menschen und Nutztieren.

Ja, da gibt es natürlich auch Konflikte. Aber die lassen sich weitgehend vermeiden. Für Menschen sind Wölfe unter hiesigen Lebensbedingungen nicht gefährlich. Der einzige Schaden, den sie wirklich machen, sind Übergriffe auf Nutztiere. Aber dazu kommt es nur, wenn sie an die Nutztiere herankommen. Und genau das muss verhindert werden. Wölfe sind schlaue Tiere. Erhalten sie bei der vorsichtigen Erkundung eines Elektrozaunes einen Stromschlag, halten sie sich fortan lieber an das Reh auf der Wiese daneben.

Sie lernen aber offensichtlich auch, die Schutzmaßnahmen zu überwinden. Gibt es denn einen wirksamen Herdenschutz, der für die Tierhalter überhaupt noch vertretbar ist?

Ich bin überzeugt, den gibt es. Bestes Beispiel ist für mich Schäfer Frank Neumann in Rohne. 2002 gab es in seiner Herde den allerersten Wolfsangriff in der Lausitz. Von da an hat er wirksame und trotzdem praktikable Methoden entwickelt, seine Schafe vor den Wölfen zu schützen. So hat er zum Beispiel die Pyrenäenberghunde „wiederentdeckt“ – eine uralte Hunderasse die Schafe beschützt. Und er gibt seine Erfahrungen an andere Schäfer weiter. Heute ist fast die gesamte Lausitz von Wölfen besiedelt – und trotzdem wird nicht mehr als ein Prozent des Schafbestandes von Wölfen gerissen. Das sind fast immer Tiere, die nicht ausreichend geschützt sind.

Beim Rosenthaler Rudel nützen aber offenbar auch die Schutzmaßnahmen nicht mehr, die bisher als ausreichend galten. Kann und muss dort nicht eingegriffen werden?

Ja. Wenn bestimmte Wölfe es tatsächlich lernen, ordentlich aufgestellte und satt stromführende Elektrozäune mit Flatterband zu überwinden, dann können und sollten diese Tiere getötet werden. Das ist rechtlich auch geregelt. Allerdings haben einige Schafhalter im Rosenthaler Wolfsrevier auch viel zu lange auf nicht-elektrische Zäune gesetzt und diese dann teilweise nur unsachgemäß mit Elektroschutz „nachgerüstet“. Und es gab dort viel zu lange Schafe, die gar nicht gegen Übergriffe geschützt waren. Die Wölfe sind so quasi zum Schafereißen „erzogen“ worden.

Es gab ja auch noch einen anderen Problemwolf: Im Kreis Görlitz war „Pumpak“ vor einem Jahr zum Abschuss freigegeben worden, weil er offenbar keine Scheu mehr vor Menschen hatte.

Auch Problemwölfe werden „erzogen“.. „Pumpak“ war als Welpe in Polen gefüttert worden. Aufgefallen ist er dann hier, weil er sich auf Futtersuche in Gärten und auf Komposthaufen gewagt hatte. Menschen gegenüber ist er aber nicht zutraulich oder gar aufdringlich geworden. Deshalb hätte meines Erachtens vor einer Abschussgenehmigung intensiv versucht werden müssen, diesen Wolf zu vergrämen, zum Beispiel mit Gummigeschossen.

Es mehren sich die Stimmen, die eine generelle Bejagung der Wölfe fordern. Wie sehen Sie das? Brauchen wir eine Obergrenze für Wölfe?

Zunächst erscheint die reguläre Bejagung des Wolfsbestandes plausibel, damit die Raubtiere sich nicht mehr an die Schafherden heranmachen. Doch Erfahrungen aus anderen Ländern Europas zeigen: Es ist völlig egal, ob ein paar mehr oder weniger Wölfe in einem Gebiet leben – es muss ihnen eben so schwer wie möglich gemacht werden, an die Weidetiere, wie vor allem Schafe und Ziegen, heranzukommen. Die Bejagung ist sogar eher kontraproduktiv: Wird nämlich ein Elternwolf eines Rudels geschossen, der den Herdenschutz im Gebiet respektiert hat, wird dieser durch einen meist unerfahrenen zugewanderten Wolf ersetzt, der dann womöglich doch intensiv versucht, an die Schafe heranzukommen.

Nutztierhalter können einen aufwendigen Herdenschutz aber kaum noch stemmen. Sie sagen, dass Sie zu wenig Unterstützung bekommen.

Ob die aktuellen Hilfen ausreichen, kann ich nicht beurteilen. Fakt ist: Konsequenter Herdenschutz ist auch eine gesellschaftliche Aufgabe, bei der die Tierhalter unterstützt werden müssen. Wenn wir die Wölfe hier wollen, müssen wir das als Gesellschaft leisten. Das halte ich für wichtig.

Gespräch: Jana Ulbrich

„Familie Wolf – gefährliche Nachbarn?“ heißt der neue Film von Sebastian Koerner, der am 13. März, 20.15 Uhr, im WDR in der Reihe „Abenteuer Erde“ gezeigt wird.