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Unten Gas und oben Wind

Seit acht Jahren strömt Erdgas durch den größten Windpark im Erzgebirge – ohne rechtsgültige Planfeststellung. Trotzdem kommt nun eine zweite Pipeline. Das beunruhigt Windmüller Dirk Unger.

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© Thomas Schade

Von Thomas Schade

Wenn der Wind nur mäßig über den Saidenberg bläst, sind die mächtigen Rotoren kaum zu hören. Zu sehen sind sie schon von Weitem. Die Windkraftanlagen sind zum Wahrzeichen von Dörnthal geworden. Die Einwohner des kleinen Dorfes im mittleren Erzgebirge haben ihren anfänglichen Groll gegen die Windmühlen abgelegt. Dennoch steht Dirk Unger mit sorgenvoller Mine zwischen den fast 100 Meter hohen Türmen. Der 40-Jährige ist Betriebsführer des größten Windparks auf dem Erzgebirgskamm. Mit seinem Vater und anderen Investoren hat er ihn Mitte der 90er-Jahre errichtet.

Eugal-Trasse: Rohrlager bei Großdobritz, Kreis Meißen.
Eugal-Trasse: Rohrlager bei Großdobritz, Kreis Meißen. © Andreas Weihs
Windmühlen-Havarie bei Sitten in Sachsen.
Windmühlen-Havarie bei Sitten in Sachsen. © André Braun

Ungers Sorge gilt weniger den 25 Windenergieanlagen, die derzeit rund 33 000 Haushalte mit Strom versorgen. „Angst macht uns, was mehr und mehr unter der Erde durch den Windpark strömen soll“, sagt er. Zwei kleinere Leitungen wurden schon vor 1989 verlegt. Durch eine fließt Ethylen, eine organische Grundchemikalie für Kunststoffe. Durch die andere strömt Erdgas. In den 90er-Jahren legten Regionalplaner fest, dass auf dem Höhenrücken zwischen den Bundesstraßen 101 und 171 in Dörnthal bei Olbernhau die Nutzung von Windenergie künftig Vorrang haben soll. Unger und die anderen Investoren verschuldeten sich mit rund 60 Millionen Euro, um den Windpark zu finanzieren.

Aber um die Millionen der Windmüller gehe es lange nicht mehr, sagt Unger, „sondern um Milliarden von Euro und um ganz große Politik“. Jetzt sind große Energiekonzerne wie der russische Staatskonzern Gazprom, wie Wintershall, Tochtergesellschaft der BASF, und die E.ON Ruhrgas am Werk. Deren Tochterfirma Nord Stream AG betreibt seit 2009 die gleichnamige Unterwasserpipeline durch die Ostsee, die jährlich rund 50 Milliarden Kubikmeter Erdgas über mehr als 1200 Kilometer nach Lubmin bei Greifswald befördert. Etwa zwei Drittel dieses Gases fließt anschließend durch die Erdgastrasse Opal in Richtung Süden durch Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen. In Rohren mit einem Durchmesser von 1,4 Metern und mit einem Druck von bis zu 100 bar durchquert die Opal-Pipeline Ungers Windpark auf dem Saidenberg.

Nun bauen dieselben Energieriesen Nord Stream II – eine weitere Gastrasse durch die Ostsee – angeblich das derzeit größte energiepolitische Vorhaben in der EU. Die Trasse endet ebenfalls bei Greifswald. Dort soll ein großer Teil des Gases in die Eugal-Trasse fließen. Die Eugal wird weitgehend parallel zur Opal-Pipeline verlegt und soll nach 460 Kilometern ebenfalls Ungers Windpark queren. Vor wenigen Tagen hat die sächsische Landesdirektion den Planfeststellungsbeschluss dafür gefasst.

Notwendig sei die Eugal, weil die Opal-Pipeline 2017 bereits zu 90 Prozent ausgelastet gewesen sei, heißt es von der Energiewirtschaft. Zu einem anderen Ergebnis kommt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung im selben Jahr. Der Bau von Nord Stream II sei unnötig, wirtschaftlich unrentabel und belaste die Verbraucher, heißt es da. Auch die Kosten der Eugal würden auf die Verbraucher umgelegt.

Bei dem großen Erdgas-Monopoly sitzen mächtige Leute am Tisch. Altbundeskanzler Gerhard Schröder hat Chefsessel bei Gazprom und Nord Stream inne. Mit Putin persönlich soll er das Nord-Stream-Projekt verabredet haben. An der Ostsee spricht der Volksmund von der „Schröder-Putin-Pipeline“. Der Bau beider Trassen verschlingt mehrere Milliarden Euro, und er berührt strategische Interessen zahlreicher Länder. Polen und die Ukraine fürchten Milliardenverluste, wenn ihnen Durchleitungsgebühren für russisches Gas durch bestehende Pipelines verloren gehen. Polen hat sich mit US-Präsident Trump verbündet, um Nord Stream II noch zu verhindern. Deutschland will stabile Erdgaslieferungen und fürchtet Instabilität, sollte es zu neuen politischen Spannungen in der Ukraine kommen. Und es geht um den Braunkohleausstieg. Dafür soll Erdgas zeitweilig ein wichtiger Ersatzenergieträger werden.

Da kämpfte Dirk Unger trotz seiner riesigen Windmühlen wie Don Quichotte gegen die große Energiewirtschaft. Das sei schon vor neun Jahren so gewesen, während des Planfeststellungsverfahrens für die Opal-Pipeline, sagt Unger. „Wir sind nicht gegen die Pipelines, aber wir haben uns die Finger wund geschrieben, um auf die Gefahren hinzuweisen.“ Aber weder Behörden, noch verantwortliche Politiker, hätten auf die Windparkbetreiber gehört, die insbesondere den Havariefall fürchten: „Stürzt ein Maschinenhaus ab oder knickt ein Turm um, so kann sich die Anlage samt Rotor in den Boden bohren und die Trassen beschädigen, wenn sie zu nah an den Windmühlen liegen“, sagt Unger. Solche Fälle seien selten, aber längst nicht auszuschließen. Der 40-Jährige verweist auf die jüngste Havarie in Sachsen vom 27. Dezember 2016. Damals knickte im Windpark Sitten zwischen Döbeln und Leipzig eine etwa 60 Meter hohe Windmühle um. Laut TÜV kommt es jährlich zu rund 50 teils schweren Schäden an Windenergieanlagen. Seit Windenergie genutzt wird, streiten Experten darüber, welche Sicherheitsabstände für den Betrieb notwendig sind, um die Maschinen gefahrlos betreiben zu können.

Schon beim Bau der Opal, so sagt Unger, seien die Havarierisiken als unwahrscheinlich dargestellt und Sicherheitsabstände minimiert worden. Die Firma Wingas hatte das stets dementiert. Auch die Planer der Eugal-Leitung teilen die Sicherheitsbedenken nicht. Ein Umfallen von Windrädern könne „ausgeschlossen werden“, wenn sie vorschriftsmäßig errichtet werden, so Cascade-Sprecher George Wüstner auf Nachfrage. Er verweist auf eineinhalb Meter Erde, die über der Leitung lägen und auf die Wandstärke der Rohre von über 22 Millimetern.

Die Windmüller fürchten auch die sogenannte Ausblasstation der Opal-Trasse, die im Park steht. Aus der wird Erdgas geblasen, wenn die Trasse entleert werden muss. Dann würde das Gas die Generatoren und Schaltanlagen mit Spannungen von bis zu 30 000 Volt umströmen. „Vielleicht wird den Trassenbetreibern bei diesem Gedanken selbst etwas unheimlich“, sagt Unger.

Bei der Planung der Opal-Pipeline, so erzählt der Windparkbetreiber, hätten Gutachter bei der Suche nach einer geeigneten Trasse den Windpark am Saidenberg anfangs offenbar übersehen. Dieser Fehler in der Trassenstudie sei im weiteren Genehmigungsverfahren zwar benannt, aber nie korrigiert worden. Auch für die Behörden sei das kein Hindernis gewesen. „Die Gemeinde Pfaffroda hat damals den Ministerpräsidenten um Hilfe gebeten, und wir haben Petitionen verfasst gegen die Planungen. Vergebens.“

Später klagte Unger gegen den Planfeststellungsbeschluss bis zum sächsischen Oberverwaltungsgericht. Dort entschieden die Richter, dass die Klage den Bau der Opal-Trasse nicht aufschieben könne, aber in der Sache entschieden sie nicht. So sei der Planfeststellungsbeschluss bis heute „nicht rechtskräftig abgeschlossen“, bestätigt das OVG auf Nachfrage, sondern zu einem Mediationsverfahren an das Verwaltungsgericht Dresden verwiesen worden.

Dort ruht die Mediation. So fließen jährlich fast 50 Milliarden Kubikmeter Gas durch die Opal-Pipline, ohne dass es einen gültigen Planfeststellungsbeschluss gibt. Der sei auch nicht nötig, so die Landesdirektion Sachsen. Da die Richter entschieden hätten, dass die Klage gegen die Planfeststellung keine aufschiebende Wirkung habe, sei er „sofort vollziehbar“ gewesen. Und mit der Genehmigung zum Bau sei auch die Genehmigung zum Betrieb der Trasse erteilt worden.

Neun Jahr später, stehen die Windparkbetreiber vor den gleichen Problemen. „Wir haben es mit denselben Leuten zu tun“, sagt Unger. Der Cascade-Sprecher bestätigt, dass ein großer Teil des Opal-Teams heute die Eugal-Pipeline plane und baue. Auch bei den Behörden habe er teilweise dieselben Ansprechpartner, sagt Unger. „Man beruft sich jetzt auf die Opal-Trasse, um auch die Eugal-Pipeline durch den Windpark zu begründen.“ Damit würden Sicherheitsabstände immer geringer, und der Windpark verliere Betriebsflächen.

Nach Ansicht der Trassenbauer ist der Weg durch den Windpark der „raumverträglichste“ Weg, und er wirke sich „nicht signifikant“ auf dessen Entwicklung aus. Dirk Unger bestreitet das und beklagt, dass nur unzureichend untersucht wurde, ob der Windpark umgangen werden könne. Andere Varianten, so behauptet die Firma Cascade wiederum, seien länger oder mit erheblichen Eingriffen in der Natur verbunden. Zudem hätten zwei ältere Trassen schon im Korridor gelegen, als der Windpark errichtet worden sei. Man hoffe sehr, sich mit dem Windpark fachlich einigen zu können, so Cascade-Sprecher Wüstner.

Unger und die anderen Investoren wehren sich nicht allein, weil nun eine vierte Pipeline den Windpark durchqueren soll. Bereits 2017 hatte das Landratsamt des Erzgebirgskreises im Raumordnungsverfahren vorgeschlagen, im Windenergie-Vorranggebiet „vom Vorzugskorridor abzuweichen“. Doch die Landesdirektion folgte dem Vorschlag nicht. Im Frühjahr 2018 sprach sich die Stadt Olbernhau, auf deren Gemarkung die Windräder stehen, gegen die Querung des Windparks aus. Das Sicherheitsempfinden der Bürger sei durch die Bündelung der Trassen „in einem erheblichen Maß gestört und beeinträchtigt“.

Inzwischen verlangen auch Abgeordnete des Landtages von der Staatsregierung Auskunft darüber, auf welcher fachlichen Grundlage die zuständigen Behörden einschätzen, dass die Eugal-Trasse keine Auswirkungen auf das Windenergie-Vorranggebiet habe und ob es ein unabhängiges, von den Bauherren nicht bezahltes Gutachten darüber gibt, ob die Trasse in die potenzielle Umfallhöhe von Windkraftanlagen verlegt wird. Wirtschaftsminister Martin Dulig zog es vor, darüber derzeit keine Auskunft zu geben. Er räumt aber ein, dass Abteilungsleiter dreier Ministerien bereits 2016 Informationsgespräche mit Vertretern der Firma Cascade geführt hätten. „An dieser Stelle hätte man dem kommunalpolitischen Willen an die Bauherren herantragen können, nämlich dass in diesem Abschnitt der Trasse die Windenergie den Vorrang hat“, sagt Unger.

Der Windmüller ist der Auffassung, dass im Planfeststellungsverfahren keine ergebnisoffene Abwägung mehr stattgefunden hat. Schon 2017 habe ihm ein Referent der Landesdirektion mitgeteilt: Man erwarte, dass eine raumverträgliche Nachbarschaft der Eugal mit der vorhandenen und geplanten Windkraftnutzung „möglich beziehungsweise erreichbar“ ist. „Das sagt doch alles“, meint Unger, „die Behörde erwartet, dass die Vorhabenträger die passenden Gutachten vorlegen.“

Noch ehe der Beschluss vorlag, erhielten Ungers und andere Grundeigentümer Post. Darin kündigte die Firma Cascade die vorzeitige Besitzeinweisung in die Grundstücke an, auf denen die Eugal-Trasse durch den Windpark verlaufen soll – der erste Schritt vor der Enteignung. Das Energiewirtschaftsgesetz lässt das zu. Die betroffenen Anlagenbetreiber und Grundstückseigentümer kündigen nun an, gegen den Planfeststellungsbeschluss zu klagen. „Bleibt nur zu hoffen, dass das Oberverwaltungsgericht nicht zu lange zuschaut, wie erneut Tatsachen geschaffen werden.“ Wenige Tage nachdem der Beschluss ergangen war, tauchten erste Bagger vor dem Windpark am Saidenberg auf.