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„Unser Strom wird auch im Sommer gebraucht“

Der Boxberger Kraftwerksleiter erklärt, warum die Anlagen ihre Leistung drosseln, aber nicht vom Netz gehen können.

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© Ronald Bonß

Seit Wochen prasselt die Sonne auf die Lausitz. Wann, wenn nicht jetzt sollten die zahlreichen Fotovoltaikanlagen den Strombedarf decken können. Stattdessen dampft es wie im tiefsten Winter aus den Schloten der Braunkohlekraftwerke. Wie passt das zusammen? Und geht den Kraftwerken nicht langsam das Kühlwasser aus?

Die SZ stellte diese Fragen Carsten Marschner. Er leitet das Braunkohlekraftwerk Boxberg der Lausitz Energie Kraftwerke AG (Leag).

Herr Marschner, Strom aus erneuerbaren Energien hat Vorfahrt im Netz. Warum laufen trotz der gegenwärtigen Hochleistungsschicht der Sonne auch die Braunkohlekraftwerke der Leag auf Hochtouren?

Kurz gesagt, sie laufen, weil der Strom in Deutschland von den Kunden, das heißt den privaten Haushalten, dem Gewerbe und der Industrie, gebraucht wird. Trotzdem spüren wir den Einfluss der Sonne in unserem Betriebsablauf. Mit dem Aufgehen der Sonne fahren wir unsere Leistung, entsprechend der Vorgaben des Netzbetreibers, sukzessive zurück. In den Mittags- und Nachmittagsstunden erreicht die Leistungseinsenkung dann ihr Maximum, ehe wir mit Untergehen der Sonne wieder mehr Strom produzieren. So lieferten die Leag-Kraftwerke am 7. August in der Mittagszeit zwischen 12 und 14 Uhr anstatt der bereitstehenden Leistung von 6 600 Megawatt nur 4 835 Megawatt. Um die Mittagszeit zeigt sich in diesen Wochen die Problematik der Stromversorgung in Deutschland.

Bitte erklären Sie das.

Stromerzeugung und -verteilung sind ein sehr komplexes System, in dem es viele Einflussfaktoren gibt. Ein wesentlicher Einflussfaktor ist dabei die Verteilung, also der Transport des Stromes. Es fehlen schlichtweg leistungsfähige Stromleitungen, insbesondere in den Süden Deutschlands. Das bundesdeutsche Stromleitungsnetz ist nicht dazu geeignet, ein plötzlich anfallendes Überangebot an Elektroenergie gleichmäßig im Land zu verteilen. Es ist zur Mittagszeit mehr Strom da, als gleichzeitig von A nach B transportiert werden kann. Aufgrund der gesetzlich vorgeschriebenen Vorrangeinspeisung der erneuerbaren Energien drosseln wir im daher zu den Mittagszeiten unsere Produktion. Damit sichern wir die Stabilität des gesamten Stromnetzes und es kommt nicht zu Ausfällen beim Verbraucher.

Ließe sich das Problem lösen, wenn die Kraftwerksbetreiber wie die Leag in der Mittags- und Nachmittagszeit ihren Kohlestrom vom Netz nähmen?

Nein. Indem wir unsere Leistung entsprechend den Vorgaben des Netzbetreibers in solchen Phasen einsenken, leisten wir einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung des Versorgungssystems. Mit unseren flexiblen Kraftwerken sind wir inzwischen in der Lage, die Leistung in einem Bereich von 20 bis 25 Prozent der installierten Leistung zu reduzieren. Ein vollständiges Herunterfahren ist keine sinnvolle Lösung, da wir einerseits oft gefordert sind, wieder schnell die Leistung zu erhöhen und andererseits mit dem Kraftwerk ja auch weitere Leistungen wie Regelleistung oder im Winter Wärme bereitstellen. Des Weiteren wird der Kohlestrom trotz solarer Höchstzeiten gebraucht. Denn allein Solarstrom kann den Bedarf nicht decken und im Übrigen können die Solarmodule bei hohen Temperaturen nicht mehr ihre volle Leistung bringen.

Das klingt paradox.

Ist es aber nicht, sondern physikalisch begründbar. Einfach erklärt: Warme Solarzellen haben eine geringere Spannung bei gleichem Strom und können deshalb nicht so viel Leistung abgeben. Ihr Wirkungsgrad lässt bei großer Hitze nach. Deshalb stehen um die Mittagszeit auch nur rund 25 000 Megawatt Solarstrom in Deutschland zur Verfügung. Installiert sind aber 44 000 Megawatt. Das heißt, rechnerisch ist die knappe Hälfte der Solarzellen mittags überflüssig.

Wie hoch ist der durchschnittliche Strombedarf in Deutschland?

Er schwankt um die 60 000 Megawatt und erreicht derzeit in der Spitze mehr als 70 000 Megawatt.

Nun mussten ja in den jüngsten Wochen einige Kernkraftwerke ihre Leistung drosseln, weil nicht mehr genügend Kühlwasser zur Verfügung stand. Haben die Kohlekraftwerke der Leag das gleiche Problem?

Nein, und das aus zweierlei Gründen. Anders als andere Kraftwerke, die ihr Kühlwasser aus Oberflächengewässer wie Flüssen nehmen, benutzen wir unser in den Tagebauen gehobenes Grubenwasser. Der Vorteil dabei ist, dass das behandelte Grubenwasser eine gleichbleibend niedrige Temperatur aufweist und in ausreichender Menge zur Verfügung steht. Die Besonderheit für das Kraftwerk Boxberg liegt dabei in der Zuleitung zum Kraftwerk. Hier nutzen wir den Schwarzen Schöps, der diese Aufgabe übernimmt. Der zweite generelle Unterschied liegt im Kühlsystem begründet. Die Leag-Kraftwerke nutzen das Rückkühlsystem mittels Kühltürmen, die ja sehr imposant und weithin zu sehen sind. Damit leiten wir nicht in signifikanten Mengen aufgewärmtes Wasser in Flüsse ein, wie es bei den von Ihnen angesprochenen Kraftwerken mit Durchflusskühlung der Fall ist. Das macht uns unabhängig gegenüber Temperaturen, so wie sie derzeit herrschen, und sichern somit die Energieversorgung.

Und, genügt das Wasser aus dem Schwarzen Schöps?

Ja, und zwar problemlos. Da das Wasser aus unseren Tagebauen kommt, können wir unseren Bedarf zu 100 Prozent decken, ohne das ökologische System zusätzlich zu belasten. Im Kraftwerk wird das Kühlwasser mehrfach genutzt, ehe es zum Teil auch wieder dem regionalen Wasserhaushalt zugeführt wird. Der größere Teil wird über die Kühltürme verdunstet.

Gespräch: Tilo Berger