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Immer mehr Senioren im Gefängnis

Der demografische Wandel zeigt sich in der JVA Waldheim auch hinter Gittern. Der Anteil älterer Straftäter wächst, Sachsens Senioren-Knast füllt sich. Für die meisten eine Premiere hinter Gittern – kurz vor der Rente.

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© Jan Woitas/dpa

Waldheim/Dresden. „Bankräuber, das ist mein Beruf.“ Der weißhaarige Martin sagt das, als wäre es nichts Besonderes. Auch der Alltag hinter Stacheldraht und Stahltüren ist für ihn Normalität, der gebürtige Berliner hat fast die Hälfte seines Lebens hinter Gittern verbracht. „Insgesamt über 30 Jahre - und dazwischen wurde ich meistens von der Polizei gesucht.“ Der 72-Jährige ist eine Ausnahme unter den derzeit 52 Häftlingen in der Seniorenstation des sächsischen Justizvollzugs in Waldheim, Deutschlands ältestem Gefängnis. Seine Mitinsassen sind meist Ersttäter, sagt Sozialarbeiterin Andrea Jessen.

Seit 1716 sind Straftäter in dem Areal in der Kleinstadt im Zschopautal untergebracht, auch Abenteuerschriftsteller Karl May saß dort wegen Betruges. Aktuell verbüßen 369 Männer zwischen 22 und 90 Jahren dort Haftstrafen von zwei Jahren bis lebenslang. Seit 2006 ist die erste Etage im ältesten Hafthaus für Männer ab 55 Jahren reserviert. Nach Angaben des Justizministeriums gibt es dort insgesamt 54 Plätze. „Wir sind voll“, sagt Vollzugsabteilungschefin Ines Föhre. Um Aufnahme in der Spezialstation in dem roten Backsteinbau muss man sich bewerben.

Hier stehen die Zellentüren fast den ganzen Tag offen. Die Männer haben mehr Freiheiten, können auch zwei statt nur ein Mal am Tag frische Luft schnappen. Ein Altenpfleger hilft beim Rasieren oder Baden, eine Ergotherapeutin mit Gedächtnistraining oder Basteln sorgt dafür, dass die Männer nicht versauern. Ein Rollator auf dem Flur, schlurfende Schritte, vieles erinnert an ein Altenheim. „Manche sagen, es ist sogar besser als dort“, lacht Sozialarbeiterin Jessen. Sie kümmert sich um den Draht zu Familie und sozialem Umfeld der Männer.

„Die Seniorenstation ermöglicht eine sichere und optimierte Versorgung dieser älteren Gefangenen“, sagt Justizminister Sebastian Gemkow (CDU). Die Erfahrung zeige, dass deren Bedürfnisse im Vollzug in besonderen Wohngruppen und eigenen Abteilungen besser zu erfüllen sind. „Ziel ist es nicht, es ihnen so angenehm wie möglich zu machen oder gar eine Einrichtung für Privilegierte zu schaffen“, betont ein Ministeriumssprecher. Gewalt oder Drogen, Kriminalität gibt es dort kaum, wie Personalchefin Föhre sagt. „Die Senioren wollen lieber ihre Ruhe haben.“

Wie Wolfgang. Der 64-Jährige ist wegen Totschlags an einer reichen Witwe in Haft. „62 Jahre bin ich geradlinig durchs Leben gekommen“, erzählt der Physiotherapeut. Wegen eines schwachen Moments hat sich sein Radius vom eigenen Haus auf neun Quadratmeter mit Bett, Schrank, Tisch, Stuhl, Regal und Nasszelle verengt. Der sportliche Großvater lenkt sich mit einem Job in der Buchbinderei und drei Mal Sport in der Woche ab - und setzt auf eine vorzeitige Entlassung.

„Rund die Hälfte der Gefangenen in Sachsen sind über 60, Tendenz steigend“, erklärt Anstaltssprecherin Michaela Tiepner. Vor ein paar Jahren noch war die Seniorenstation mit jungen Gefangenen aufgefüllt worden, jetzt ist sie manchmal mehr als ausgelastet. Spätestens mit 65 Jahren bekommen die Männer hinter Gittern Rente. Analog zu „draußen“ sind auch deren Gebrechen: Herz-Kreislauferkrankungen, Bluthochdruck, Diabetes, die gut bestückten Pillenboxen füllen einen ganzen Tisch in der Wache.

Bankräuber Martin will nur eines: raus. Im Oktober sind zwei Drittel der Haftstrafe für die beiden letzten seiner mehr als ein Dutzend Überfälle rum. Seine Knastkarriere begann mit 15, „da war Resozialisierung noch ein Fremdwort“. Als Nachkriegskind sei eben das Stehlen täglich Brot gewesen. Die in der Verwandtschaft arrangierte Lehre als Maler schmeckte ihm nicht, „ich wollte lieber was mit Natur machen, Gärtner oder Tierpfleger.“

Normal gelebt hat Martin nie, dafür ist er rumgekommen in der Welt: Goa, Frankreich, Italien, die Schweiz, Israel. „Ich konnte das Geld nur ausgeben“, sagt er über die Beute. Investieren oder ein Konto eröffnen, das sei auf der Flucht nicht möglich gewesen. „Ich hab das oft bereut.“ Nun hofft er umso mehr auf den Tag X. Mit Banküberfall sei Schluss, körperlich zu anstrengend und nicht mehr so lukrativ. Wenn es bisher nicht auf normalem Wege reichte zum Leben, „hab ich immer gedacht, überfällst Du eben eine Bank“, erzählt er. „Aber nun sind die Voraussetzungen so, dass ich denke, es könnte hinkommen.“ (dpa)