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Eine tierische Freundschaft

Sandra Hempel hat ihr Pferd vor dem Schlachter gerettet. Die Möglichkeit zum Dank bekam der Vierbeiner schnell.

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© Sven Ellger

Von Annechristin Bonß

Veli nervt heute. Sie bettelt. Und stupst immer wieder mit der Nase an die Jacke von Sandra Hempel. Sie will eins der Leckerlis, die in der Tasche der jungen Frau sind. Die duften so verlockend. „Veli“, sagt die im ruhigen Ton. „Nicht betteln.“ Böse sein kann die 23-Jährige ihrem Haflinger-Pferd nicht. Sie liebt das Tier, lässt sich gern von ihm anstupsen. Die beiden verbindet eine besondere Geschichte, eine, bei der erst das Leben des Pferdes auf dem Spiel stand und dann das Leben der jungen Frau.

2013 hat Sandra Hempel das Pferd vor dem Schlachter gerettet. Veli hatte eine gerissene Sehne am linken Hinterbein. Auf dem kleinen Reiterhof, wo sie zu Hause war, blieb keine Zeit, ein solches Pferd lange im Stall zu lassen. Wenn die Kundschaft reiten will, müssen die Tiere gesund sein. Sandra Hempel kümmerte sich in ihrer Freizeit um die Tiere auf dem Hof. Dann hieß es, in ein paar Tagen ist das Pferd weg. Einen Abend lang überlegte Sandra Hempel, ob sie die Haflinger-Dame wirklich kaufen sollte. Kurz vor Mitternacht rief sie noch die Mutter an. Die riet ab, machte sich Sorgen, dass der Kauf zu viel Stress für ihre Tochter bringen und zu viel Geld kosten würde. Geändert haben die Zweifel nichts. „Am nächsten Morgen habe ich Veli gekauft“, sagt Sandra Hempel.

Schlaganfall mit Anfang 20

Vom verletzten Hinterbein ist heute nichts mehr zu spüren. Veli ist ein gesundes, älteres Pferd. Gemeinsam unternehmen die beiden viel, reiten aus oder gehen auch mal spazieren. Von Laubegast aus, wo Sandra Hempel wohnt, fährt sie beinahe täglich nach Gombsen. In dem kleinen Dorf zwischen Lockwitz und Kreischa hat Sandra Hempel einen Stall gefunden, wo sie Veli unterstellen kann. Für die Box inklusive Vollpension, regelmäßige Arztbesuche und die Pflege zahlt sie einen dreistelligen Betrag im Monat. „Rücklagen für den Tierarzt müssen immer da sein“, sagt sie. Sandra Hempel arbeitet als Pharmakantin und stellt Medikamente her. Ihr Hobby lässt sie sich viel kosten.

Sie weiß, welch wichtige Rolle das Pferd für sie spielt. Denn nur ein Jahr, nachdem sie Veli vor dem Schlachter gerettet hatte, schlug das gesundheitliche Schicksal bei Sandra Hempel zu. Die junge Frau erlitt einen Schlaganfall. Der zählt zu den häufigsten Erkrankungen in Deutschland und betrifft eigentlich hauptsächlich ältere Menschen. Kann aber auch bei jungen Menschen auftreten. So wie bei Sandra Hempel. Die dachte zunächst nichts Schlimmes, als sie ein Taubheitsgefühl im Arm spürte. „Ich bin sogar noch auf Arbeit gegangen“, sagt sie. Vielleicht ein eingeklemmter Nerv? Wer weiß?

Schließlich ist sie nach der Arbeit doch ins Krankenhaus gefahren. Schnell ging es von dort mit Blaulicht weiter, Untersuchungen folgten, dann drei Wochen in der Klinik. Sandra Hempel war linksseitig gelähmt. Es folgten Wochen in der Ergo- und Physiotherapie, Medikamente, eine Zeit zu Hause. Die Ausbildung musste warten. Das Pferd und die Reiterei auch. „Ich war lange deprimiert“, sagt Sandra Hempel heute. Zurückgeblieben ist von dem Schlaganfall nichts. Trotzdem konnte die junge Frau lange nicht auf ihrer Veli reiten. Zwar galt der erste Ausflug nach dem Krankenhaus ihrem Pferd. Doch wenn sie das Reiten versuchte, fing das Bein an zu kribbeln. Die Sorge war groß, dass sich erneut ein Anfall ankündigte. Also sind die beiden spazieren gegangen. Sandra Hempel führte ihr Pferd an der Leine aus. Veli musste sich schließlich bewegen. Die Wälder rund um den kleinen Hof eigneten sich gut dafür.

Schleife ist Preis fürs Durchhalten

Dann endlich im vergangenen Jahr setzte sie sich wieder regelmäßig in den Sattel. Die Freundinnen überredeten sie, doch an einem Turnier teilzunehmen. Einmal gegen andere Pferde antreten und eine Schleife bekommen. Bei einem Dressurturnier in Jessen versuchte Sandra Hempel schließlich ihr Glück. Das Einsteigerturnier für Freizeitreiter war perfekt für dieses eine Mal. Den Lohn zeigt sie stolz. Eine knallig gelbe Schleife. Sandra Hempel und Veli haben den ersten Platz erobert.

Einer, den die 23-Jährige dennoch nicht wiederholen will. Das eine Turnier reicht. Im hohen Alter soll Veli nicht zu viel Stress haben. Im Hänger fahren, andere Pferde, das Klatschen der Zuschauer und die Ansagen durch das Mikrofon – das alles kann die Tiere bei einem Turnier durchaus überfordern. Viel lieber gehen die beiden für sich allein ausreiten. Oder Sandra Hempel setzt sich in das frische Stroh im Stall. Das Pferd leistet ihr Gesellschaft. Bereut hat sie den Kauf nie. „Ich könnte sie niemals weggeben“, sagt sie. Auch wenn Veli mal wieder allzuoft mit der Nase gegen die Jacke ihrer Besitzerin stupst.