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Dresden, mal ganz ohne Krawall

Der Bundespräsident tourt zwei Tage durch Sachsen. Erst übers Land, dann in der Hauptstadt. Er entdeckt freundliche Seiten, übersieht aber auch die Probleme nicht.

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© Robert Michael

Von Tobias Wolf

Ruhe liegt über dem Dresdner Neumarkt. Ein paar gut gekleidete Herren laufen über den Platz zur Frauenkirche. Ein Straßenkehrwagen dreht seine Runde. Von Touristen ist an diesem Dienstagmorgen noch nichts zu sehen. Zu früh. Aber etwas ist anders als sonst. Ringsum ist der Neumarkt mit Gittern gesichert. An jeder Ecke stehen Streifenwagen. Polizisten sichern die Zugänge und Straßen zur Frauenkirche. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender werden in der guten Stube der Landeshauptstadt erwartet.

Der Bundespräsident spielte am Montag im Rahmen seines Antrittsbesuchs im Freistaat in Bad Lausick gemeinsam mit den Musikern der Sächsischen Bläserphilharmonie.
Der Bundespräsident spielte am Montag im Rahmen seines Antrittsbesuchs im Freistaat in Bad Lausick gemeinsam mit den Musikern der Sächsischen Bläserphilharmonie. © Robert Michael

Mit Blaulicht rollt Punkt acht Uhr eine ganze Kolonne heran. Sie ist am Gewandhaus-Hotel gestartet. Das Präsidentenpaar hat hier schon die zweite Nacht geschlafen. Die Zimmer kosten zwischen 125 und 240 Euro. Am Montag waren sie im Westen Sachsens und im Erzgebirge unterwegs, Eine bewusste Entscheidung. Zuerst der ländliche Raum, dann die Hauptstadt. Polizei-Motorräder fahren der Kolonne voraus, Streifenwagen, dahinter schwarze Limousinen. Für den Bundespräsidenten gilt höchste Sicherheitsstufe.

Steinmeier kennt die Stadt von Wahlkampfauftritten. In der Frauenkirche steht eine ökumenische Morgenandacht an. Die Polizisten müssen nicht gegen Pöbler oder Störer einschreiten. Bei seinem letzten Besuch in Sachsen war Steinmeiers Vorgänger Joachim Gauck noch als Volksverräter beschimpft worden. Bei den Feiern zum Tag der Deutschen Einheit 2016 in Dresden traf wüstes Geschrei und Trillerpfeifenlärm alle Politiker und Gäste auf dem Weg zur Frauenkirche.

Steinmeier geht durch das Hauptportal, wo ihn Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert begrüßt. Händeschütteln, ein paar freundliche Worte. Der evangelische Landesbischof Carsten Rentzing und Heinrich Timmerevers, der katholische Bischof von Dresden-Meißen warten schon am Aufgang zum Altar. Elke Büdenbender deutet auf die oberen Ränge, zeigt sich beeindruckt von der inneren Schönheit des Gebäudes. Auf der Empore vor dem Altar sind links und rechts Sitzreihen aufgebaut. Ein paar Schüler haben schon Platz genommen. Hilbert setzt sich zu ihnen.

Steinmeier und seine Frau nehmen die erste Reihe rechts, direkt vor Frank Richter, einem der Geschäftsführer der Stiftung Frauenkirche. Richter, ehemaliger Chef der Landeszentrale für politische Bildung, ist bundesweit bekannt für seine Vermittlungsversuche zwischen den besorgten Bürgern von Pegida und Co. auf der einen und der Politik auf der anderen Seite. Angesichts der Größe der Frauenkirche ist es eine fast schon intime Andacht für den Bundespräsidenten und die etwa 40 geladenen Gäste.

Steinmeier guckt am Altar hoch, während Pfarrerin Angelika Behnke über das Symbol Dresdens schlechthin spricht. Die Kirche stehe für den Mut, Stein für Stein beharrlich aufzubauen, sagt sie. Nicht nur der Bau des Gebäudes an sich, sondern um eine Kuppel zu wölben, unter der sich die Menschen versammeln können.

Bischof Timmerevers spricht über Gerechtigkeit. Auch das Flüchtlingsthema schneidet er an. „In unserem Land leben Menschen verschiedener Nationalitäten Tür an Tür“, betet Timmerevers. „Hilf uns, das als Geschenk anzunehmen.“ Der evangelische Bischof Rentzing hält eine Fürbitte: „Gnade sei mit euch.“ Im Gästebuch verewigen sich Steinmeier und Büdenbender mit dem Satz: „Wir wünschen uns Frieden zwischen den Völkern und ebenso Frieden im Inneren.“

Im Landtag liegt gleich das nächste Gästebuch zur Unterschrift bereit. Landtagspräsident Matthias Rößler mit Gattin und die Fraktionschefs der Parteien empfangen Steinmeier. Dann wartet der rote Teppich am Eingang zur Staatskanzlei, bevor es zum Demokratie-Forum in der Dreikönigskirche in der Neustadt geht. Die Landeszentrale für politische Bildung hat zu der Veranstaltung eingeladen, die unter dem Titel: „Unterschiede aushalten. Streit wagen. Demokratie leben. Und was politische Bildung dabei soll ...“ firmiert. In die Heeresoffizierschule, zur Redaktion der Sächsischen Zeitung und zu einer Forschungseinrichtung will Steinmeier auch noch.

Neben der Markthalle gegenüber der Kirche fährt ein Geländewagen aus dem Muldentalkreis vor. Eine Schülerin springt heraus. Der Vater, Hemd, Jeans, Turnschuhe, fragt: „Hast Du auch wirklich Deine Einladung dabei?“ Das Mädchen nickt. Sie will schnell in die Kirche. Den Bundespräsidenten sehen und hören. Nach der Bundestagswahl, bei der die AfD stärkste Kraft in Sachsen geworden ist, gibt es Redebedarf. Knapp 300 Menschen sind aus dem ganzen Freistaat angereist, Senioren, jüngere Frauen und Männer, Schüler. Sie warten.

Eine Stimme tönt über die Lautsprecher. „Meine Damen und Herren, der Bundespräsident und Frau Büdenbender.“ Das Protokoll sieht die offizielle Ankündigung vor. In Begleitung von Ministerpräsident Stanislaw Tillich betritt das Paar den Raum. Am Montag ist Tillich mit seinem Gast durch halb Westsachsen gefahren. Der noch amtierender Ministerpräsident räumt in seiner Ansprache ein: „Wir haben uns in Sachsen zu wenig um die politische Bildung gekümmert.“ Damit meine er nicht das Belehren „mit dem erhobenen Zeigefinger“, sondern, Menschen zu befähigen, sich aktiv und gestalterisch einzumischen. Politische Bildung nicht als Erziehung, sondern Ermächtigung. „Wenn Flaute ist, haben Populisten leichtes Spiel“, so Tillich mahnend. Dann ist Steinmeier dran.

Der streichelt die sächsische Seele. Er will nicht zu denen gehören, die den Freistaat stigmatisieren und das ganze Land als „rechts und rassistisch“ diffamieren. Aber woher kommt die Wut in Sachsen, woher der schlechte Ruf? Extreme gebe es nicht nur hier. „Jeder einzelne Faktor findet sich auch in anderen Regionen Deutschlands, doch die Summe hier in Dresden, in Freital, Meißen, Clausnitz und Bautzen, die Summe ist vielleicht genau das Problem, über das wir zu reden haben“, sagt Steinmeier. „Und dieses Problem muss man klar benennen: harter Rechtsextremismus, wie er uns begegnet, wenn zum Beispiel alte Nazi-Ideologie wieder hochgeholt oder eine ,Neue Rechte‘ beschworen wird.“ Das müsse alle Demokraten auf den Plan rufen. „Da kann man nicht schulterzuckend danebenstehen und zusehen.“ Er habe großen Respekt für jede Initiative, die sich dagegen zur Wehr setze und die Grundrechte der Verfassung verteidige.

„Wir tun uns keinen Gefallen damit, jeden Dissens zu skandalisieren und in jeder Verzögerung immer gleich schon das Scheitern zu sehen“, sagt Steinmeier. In Gesprächen mit Bürgern habe er oft diesen Eindruck: „Die meisten befürworten die Demokratie als Idee, aber vielen ist das zähe Ringen um Kompromisse und Mehrheiten ein Graus.“ Angela Klier vom Kompetenzzentrum Gemeinwesenarbeit aus dem Erzgebirge beklagt, dass es keine Gesprächskultur mehr gebe.

Ein älterer Herr sagt: „Was sollen wir machen, wenn Argumente in der Diskussion nicht mehr helfen und nicht gehört werden.“ Wenn sich Kritiker und Rechte nicht austauschten. Am Stammtisch werde über Lebenslagen gesprochen und dort könne man wieder vorsichtig mit Argumenten diskutieren. Gesprächsfähigkeit statt Pöbelei ist das Stichwort für Steinmeier. „Die Aufgabe von denjenigen, die Verantwortung tragen, ist nicht, denen nur nachzulaufen, die nur den Streit suchen, sondern auch immer wieder die Spielregeln einzufordern.“ Der Saal klatscht. Die Diskussion läuft sachlich. Den Spitzenpolitikern schlägt Sympathie entgegen.

Wie in Penig, westlicher Landkreis Mittelsachsen. Es ist ein Vorzeigestädtchen, dass die Staatsregierung für den Steinmeierbesuch am Montagnachmittag auserkoren hat. Mit gepflegten Häusern und einer fast komplett sanierten kleinen Altstadt. Bei einem kleinen Bürgerfest in Großenhain wollen Tillich und Steinmeier am Abend noch mit Ehrenamtlichen reden.

Die Probleme in Penig sind die gleichen wie anderswo, obwohl es dem Ort eigentlich gut geht. Nur um die fünf Prozent Arbeitslose. Aber keiner weiß, was passiert, wenn die Ärzte mal in Rente gehen. Die meisten Fassaden glänzen, hier und da bröckelt noch der Putz. Am Marktplatz und in den umliegenden Straßen gibt es viele kleine Geschäfte. Hier leben vor allem Alte. Aber es gibt keinen Lebensmittelladen in der Nähe, moniert eine Seniorin. Dazu die Migration der Jugend zur Arbeit in den Westen. Sachsen ist nach der Wende eine ganze Generation abhandengekommen.

Auch in Penig hat die AfD etwa ein Viertel der Stimmen geholt. Der Ortsverband hat ein paar Anhänger mobilisiert. Einer hat ein Transparent, zwei Zweier-Teams tragen jeweils eine blaue Fahne. „Sachsen ist jetzt AfD-Land, deshalb zeigen wir hier Präsenz“, sagt Frank Friedrich vom Kreisverband Mittelsachsen. Dann bekommen sie von der Polizei einen Platzverweis, weil die Demonstration nicht angemeldet ist.

Gut 100 Menschen warten auf Steinmeiers Kolonne. Sie wollen ihn sehen, vielleicht seine Hand schütteln. Wie Wolfgang und Gisela Vogel. „Wenn schon mal so einer herkommt, lassen wir uns das nicht entgehen“, sagt der 69-Jährige. „Ich würde ihn gern etwas Privates fragen, ob er schon einmal mit den Hurtigruten in Norwegen war.“ Dann redet er über das, was nach der Bundestagswahl viele beschäftigt. Das Abschneiden der AfD in Sachsen. Dass Politiker es aber nicht jedem Recht machen können. Seine Frau nickt.

CDU-Bürgermeister Thomas Eulenberger führt das Staatsoberhaupt durch die Stadt. Eine Rentnerin scheint ein Fan von Steinmeier zu sein. „Das ist ein Guter, den Gauck haben wir überhaupt nicht gemocht.“ Obwohl der aus dem Osten kam.

Umringt wie ein Popstar geht Steinmeier in eine Begegnungsstätte der Kirchgemeinde. Einige ältere Damen empfangen Steinmeier. „Hallo, Sie haben es hier aber gemütlich“, ruft er in den Saal. An den Fenstern drücken sich ein paar Kinder die Nase platt. Ehrenamt sei hier wichtig, sagt der Bürgermeister. Gut 8 800 Einwohner, aber 60 Vereine, referiert er die Zahlen. Steinmeier grinst ihn an und fragt mit gespieltem Ernst: „Da sind die Doppelmitgliedschaften aber schon eingerechnet.“

Während des Rundgangs muss Steinmeier immer wieder stoppen. Sieben Mitarbeiterinnen eines Kosmetiksalons winken ihm erst durch die Scheibe und trauen sich dann doch raus für ein Foto mit ihm. Bei einem anderen Verein soll Steinmeier Quittenlikör verlosten, der Bürgermeister will ihm Bier mitgeben.

Es ist ein Parforceritt durch Sachsen und zwei Tage sind eigentlich zu wenig, um ein wirklich treffendes Bild zu bekommen. Aber vielleicht ist es genau das, was der Freistaat nach Jahren des Streits und dem Verlust einer öffentlichen Gesprächskultur einmal braucht. Freundliche Signale, wo sonst oft Lärm den Eindruck prägt.