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Der Physiotherapeut für die Hosentasche

Die Reha ist auch ein weites Feld für Forscher. Ein Beispiel aus Leipzig zeigt, was noch besser laufen kann.

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© eCovery

Von Steffen Klameth

Knochenbrüche, Bänderrisse, Gelenkersatz: Dr. Alexander Georgi weiß, wie verletzlich unser Bewegungsapparat ist – und wie Betroffenen geholfen werden kann. Als Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie am Leipziger Uniklinikum hat er aber auch die Erfahrung gemacht, dass Patienten nach dem Krankenhaus oft alleingelassen werden: „Die Rehabilitation läuft häufig nicht optimal.“

Mitunter müssten Patienten sogar noch mal auf den OP-Tisch, weil die Anschlussbehandlungen unzureichend oder falsch durchgeführt wurden. Als Beispiel für die Defizite in der Reha nennt er die limitierte Anzahl von Behandlungen in der Physiotherapie etwa nach einer komplexen Gelenkverletzung. Hier passiere zu wenig, moniert Georgi. Zumal zwischen den Besuchen beim Physiotherapeuten häufig eine ganze Woche verstreiche. „Um so wichtiger ist es, dass Patienten zu Hause üben.“

Diese Erkenntnis brachte den Arzt eines Tages auf eine Idee. Wie wäre es, wenn man den Patienten ein ähnlich effektives Hilfsmittel mit nach Hause geben könnte? Das war die Geburtsstunde des „Physiotherapeuten für die Hosentasche“. Er soll weder Ersatz noch Konkurrenz für die menschliche Fachkraft sein, aber eine effektive Ergänzung zum Praxisbesuch. Zwei Sensoren am betroffenen Gelenk messen jede Bewegung und melden sie an eine App auf dem Handy oder Tablet. Die App zeichnet alles auf, bei falschen Bewegungen schlägt sie Alarm.

Klingt gut, aber ist das wirklich neu? Georgi betont, dass es auf diesem Gebiet bereits viele „Insellösungen“ gebe. „Deshalb ist eCovery keine Produkt-, sondern eine Prozessinnovation.“ Soll heißen: Die Anwendung biete Vorteile, die sonst kein anderes Produkt besitzt. Denn in der App sind medizinisch erprobte Behandlungspfade mit den entsprechenden Übungen hinterlegt. Je nach Erkrankung liefert sie maßgeschneiderte Anleitungen. In Kombination mit den Sensoren erhält der Patient sofort die Rückmeldung, ob er alles korrekt ausführt. Hat er die geforderte Zahl an Wiederholungen in der entsprechenden Qualität erfüllt, springt die App zum nächsten Level. „Es geht um maximale Individualität.“

Und das ist nicht alles – aber alles will der 34-Jährige auch nicht verraten. Denn das Produkt ist noch in der Entwicklung, die Konkurrenz schläft nicht. Selbst die Firma ist noch kein richtiges Unternehmen: Fünf junge Leute – Arzt, Sportwissenschaftler, Jurist, BWLer, Ingenieur – bilden das Start-up, das wie ihr Produkt heißt: eCovery. Der Team-Mix zeigt, dass auf dem Weg zur Marktreife nicht nur medizinische und technische Probleme zu lösen sind. „Weil es sich um ein Medizinprodukt handelt, braucht es eine Zertifizierung“ erklärt Georgi. Dafür seien extrem hohe Vorgaben zu erfüllen, bis hin zu einer großen Studie. Viele Firmengründer haben mit diesen Hürden zu kämpfen.

Doch das Team um Alexander Georgi sieht gute Chancen. Zumal es jetzt ein halbes Jahr lang unter den privilegierten Bedingungen des Leipziger SpinLabs arbeiten kann. In den ehemaligen Fabrikhallen werden Start-ups finanziell und vor allem methodisch gefördert. „Der schnelle Kontakt ist Gold wert, man lernt voneinander“, sagt Georgi. Die Erfinder von eCovery profitieren zusätzlich von einem Mentorprogramm der AOK Plus. Vorstand Stefan Knupfer: „Das Produkt kann die Versorgung zahlreicher Versicherter sinnvoll ergänzen.“

Das große Ziel der Leipziger Erfinder ist die Aufnahme in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Versicherte hätten dann einen Anspruch auf den digitalen Reha-Assistenten. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Georgi hofft, dass die Zertifizierung in anderthalb Jahren erfolgt sein wird. Und wenn nicht? Dann wäre immer noch der Vertrieb als sogenanntes Wellness-Produkt auf dem freien Markt möglich – „zu einem für alle Patienten erschwinglichen Preis.“