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Der Frauenbändiger

Mädchen, Göttinnen und Tiere des Bildhauers Hans Scheib bevölkern in Pirna Bastionen und Museum.

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© Ronald Bonß

Von Birgit Grimm

Behandelt man so eine Dame? Mit einer Kettensäge rückt Hans Scheib seinen Frauen zu Leibe, vor allem jenen, die ihm über den Kopf gewachsen sind. Drei Meter siebzig hoch ist der „Engel“ neben der Schloss-Schänke an der Pirnaer Festung Sonnenstein. Eigentlich ist das eine Engelin. Alle Frauen sind Engel, aber nicht alle Engel sind Frauen. Oder ist es umgekehrt?

Diese hier ist sehr schlank, mit schmalen Hüften und festen Brüsten. Sie steht kerzengerade, die Hände zu Fäusten geballt, kahler Schädel, erstaunter Gesichtsausdruck: Was wollt ihr? Die schwarzen Flügel geben ihr Rückendeckung, wenn sie losmarschiert; und sie geben ihr Halt, wenn sie ihren Standpunkt verteidigt. Zum Abheben braucht sie die Flügel nicht, sie könnte auch einfach ihre Segelohren aufspannen. So ist das häufig in Hans Scheibs Figuren: Mit feiner Ironie nimmt er mancher Situation den bitteren Ernst. Die Eiche, aus der sein „Engel“ gemacht ist, musste einst der Dresdner Waldschlößchenbrücke weichen. Das Thema war Protest. Als der sich zu Pegida-Spaziergängen formierte, wurde aus der Protestierenden ein Engel.

Der Berliner Bildhauer bekam beim Pirnaer Skulpturensommer eine doppelte Soloshow in den Bastionen und im Stadtmuseum. „Eigentlich wollte ich 2018 mal die Füße stillhalten“, sagt er. „Aber als ich die Bastionen sah, war ich bestochen.“

In den Festungsmauern zeigt er die Holzskulpturen und die großen Bronzen, im Museum die kleineren Figuren und einige Grafiken. Hier wie da erweist sich der Künstler als Frauenbändiger und Tierversteher. Eine bronzene Katze schleicht auf der Festungsmauer über Scheibs „Hexentanzplatz“ hinweg. Eine andere setzt im Museum zum Sprung an, während Frauchen sich nackt mit gespreizten Beinen in den Kissen räkelt. Steinerne Löwinnen bewachen einen Durchgang. Es gibt Pferde mit und ohne Amazonen, eine Giraffe, die gekonnt Balance hält, und einen Stier, auf dem es mit Europa abwärts geht. Sie verlässt den Palast, reitet eine Treppe hinab.

Und – Glasauge, sei wachsam – der Dodo ist doch noch nicht ausgestorben. Der dicke Watschelvogel, der gern vergorene Früchte frisst, er lebt! Hat sich in den Festungsmauern eingenistet, dieses bronzene Schwergewicht, als wäre dort sein Nest.

Hans Scheib, das ist nicht zu übersehen, liebt das Leben mit allem, was da kreucht und fleucht. Ohne Wenn und Aber ist er ein Freund von Mensch und Tier. Das schließt auch kritische Beobachtung ein, der Mann hat viel erlebt, viel erfahren. 1949 kam er in Potsdam zur Welt. Sein Talent wurde früh gefördert, er wusste, was er wollte. Sein Künstler-Diplom erwarb er Mitte der 1970er-Jahre an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste. Nach dem Studium begann er in Berlin, mit Holz zu arbeiten, weil das verfügbar war, wenn man sich kümmerte. Er fand es in alten Häusern, während das Material für einen Bronzeguss für ihn unerreichbar blieb. Er erfüllte sich diesen Wunsch, als er im Westberlin angekommen war. 1985 verließ er mit seiner Familie die DDR.

Scheibs Arbeiten blieben auch im Westen figürlich und sehr lebendig. Aber das steckt ja bereits in dem gewachsenen Material, dem auch Jane, Bella, Marie, Ruth, Alma und Brown Sugar entsprungen sind. Dünn und nackt stehen die Mädels herum, aber gar nicht hölzern. Sexy die eine, verschämt die andere, gelangweilt, kess, naiv, abgeklärt. Ein amüsantes Arsenal spätpubertärer Gemütsregungen ist hier versammelt und posiert mit wilden Haaren und grell geschminkten Lippen.

Hans Scheib veredelt seine Figuren mit Farbe. Das grob behauene Holz der stolzen Sphingen ist ein ausdrucksstarker Malgrund. Der „Madonna“, einer modernen Frau, zieht er ein Kleid an, das so rot ist wie ihr Haar. Scheib macht sie zur Heiligen, indem er sie gütig und fröhlich ein zappelndes, wütendes Kind tragen lässt. In dieser Madonna bringt er all die übergroßen Ansprüche auf den Punkt, die berufstätige Mütter an sich stellen. Die Kinderfigur „Hurra, ich bin ein Schulkind“ bekommt mit der Farbfassung ihre endgültige Aussage: Von wegen Hurra! Der Junge mit dem viel zu großen Kopf steckt in einem seltsam getüpfelten Anzug und hält sich starr an der Zuckertüte fest. Das Kind ist vom Ernst des Lebens schon gezeichnet, obwohl der noch gar nicht begonnen hat.

Hans Scheib „Spiel, Symbol und Fest“ bis 30. September in den Bastionen der Festung Sonnenstein, Pirna. Geöffnet Mi – So, 14 – 17 Uhr. Katalog 12 Euro.

Grafische Arbeiten und kleinere Figuren von Hans Scheib bis 31. August im Stadtmuseum Pirna, Klosterhof 2. Geöffnet Di – So, 10 – 17 Uhr.

Am 14. Juli und 11. August, jeweils 11 Uhr, findet in den Bastionen ein Wandelkonzert mit Annette Jahns statt.