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Zwei Jahre alt und endlich gesund

Tim aus Weixdorf feiert in wenigen Wochen Geburtstag. Er hat schon so viel durchgemacht wie kaum ein Erwachsener.

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Von Thomas Drendel

Weixdorf. Wenn nur diese Reisen nicht wären. Dann könnten alle Tim für einen ganz normalen Jungen halten. Aber da sind diese Fahrten nach Berlin an die Charité mit seiner Mutter. Da sind Ärzte mit sterilen Instrumenten, mit weißen Masken vor dem Gesicht. Sie schneiden jedes Mal von Tims Beckenknochen ein kleines Stück Knochenmark heraus, legen es unters Mikroskop und schauen nach, ob da nicht diese gefährlichen Krebszellen sind.

Das Bild erinnert an die Krankenhausaufenthalte an der Uniklinik in Dresden und an der Charité in Berlin. Um ihn nicht mit Krankheitserregern anzustecken, musste zeitweilig auch seine Mutter Christina Marquardt Mundschutz tragen.
Das Bild erinnert an die Krankenhausaufenthalte an der Uniklinik in Dresden und an der Charité in Berlin. Um ihn nicht mit Krankheitserregern anzustecken, musste zeitweilig auch seine Mutter Christina Marquardt Mundschutz tragen. © privat

Jedes Mal, wenn die Ärzte sagen „Negativ“, dann ist das wie ein neues Leben, sagt Tims Mutter Christina Marquardt. Negativ heißt, es wurden keine Leukämiezellen gefunden. Genau genommen ist es nicht sein Gewebe, was da untersucht wird, sondern das seiner Mutter. Sie hat es ihm gespendet, nachdem sein eigenes Knochenmark abgetötet worden war. Sie weiß, dass gerade bei Kleinkindern die Rückfallquote nach einer Leukämie-Erkrankung sehr hoch ist. „Nach meinen Informationen ist Tim das erste Kind in seinem Alter, das an der Charité behandelt wurde und keinen Rückfall erlitten hat.“

Es muss einfach einen zweiten Geburtstag geben, einen zehnten und einen zwanzigsten und eine Hochzeit vielleicht, hatte Christina Marquardt vor einem Jahr gesagt. Jetzt ist die erste Etappe fast geschafft. In wenigen Wochen wird Tim zwei Jahre alt. Und er ist ein Junge wie andere auch. Sein Tagesablauf gleicht dem anderer Kinder. Frühmorgens wird er zur Tagesmutter gebracht, am Nachmittag holen ihn seine Eltern wieder ab. „So gesehen sind wir eine normale Familie.“ Aber das Immunsystem von Tim ist noch geschwächt. Die Betreuung durch eine Tagesmutter war die einzige Möglichkeit überhaupt, ihn unterzubringen. Eine Kinderkrippe kann er noch nicht besuchen. „Die Gefahr einer Ansteckung wäre zu groß. In der relativ kleinen Gruppe bei der Tagesmutter fällt sofort auf, wenn eins der Kinder krank wird. Auch der Kreis der anderen Personen, der Eltern oder Großeltern, die ebenfalls eine Krankheit übertragen können, ist geringer.“ Schon ein Schnupfen könnte ernsthafte Konsequenzen haben. Er kann ja auch noch nicht gegen zahlreiche Krankheiten geimpft werden. „Lebendimpfungen, also Impfungen mit abgeschwächten Keimen sind noch nicht möglich“, sagt seine Mutter. Das sind unter anderem Masern, Mumps, Röteln oder Windpocken. „Ich darf manchmal nicht vergessen, dass Tim noch kein vollständig gesundes Kind ist“, sagt Christina Marquardt.

Netzwerk gegründet

In Watte gepackt wird Tim dennoch nicht. Früh gegen 7.30 Uhr geht es aus dem Haus zur Tagesmutter. Erst am Nachmittag so gegen 15.30 Uhr holt sie ihn wieder ab. „Mein Freund und ich sind berufstätig. Ich gebe an der Berufsschule IBB Unterricht in Buchführung und anderen kaufmännischen Dingen. Nach allem, was wir durchgemacht haben, leben wir jetzt glücklicherweise den Alltag einer normalen Familie.“ Neben ihrer Arbeit an der IBB baut sie ihren Verein ,Aktives Deutschland‘ auf, ein Netzwerk von Therapeuten unterschiedlichster Bereiche, die nach einer Krebsdiagnose helfen können. Mit dabei sind unter anderem Logopäden, Ergotherapeuten, Ernährungsberater, Physiotherapeuten oder Heilpraktiker. „Nach der Diagnose bei Tim war es schwer, Fachleute zu finden, die sich auf Krebspatienten spezialisiert hatten. Das wollen wir mit dem Verein ändern.“ Ab Januar wird beispielsweise ein Ernährungsprojekt angeboten.

Im Mai 2016 wurde bei Tim Blutkrebs diagnostiziert. Zu diesem Zeitpunkt war er gerade zehn Wochen alt. Die Prognose sah nicht gut aus. Er bekam eine kräftezehrende Chemotherapie. Gleichzeitig begann die weltweite Suche nach einem Stammzellenspender. Bei seiner Mutter wurde die passende Gen-Sequenz gefunden, eine Sensation. Schließlich fand an der Charité in Berlin die Stammzellentransplantation statt. Sie verlief erfolgreich. Immer begleitet von der Furcht vor einem Rückfall, feierte Tim Anfang 2017 seinen ersten Geburtstag. Jetzt steht der zweite bevor. Christina Marquardt kann das Glück darüber kaum fassen.

www.aktives-deutschland.de