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Zuhause auf Zeit

In Bannewitz gibt es eine neue Wohngemeinschaft für Mädchen. Hier finden sie Halt und neuen Lebensmut.

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© Karl-Ludiwg Oberthür

Von Verena Schulenburg

Bannewitz. Die Wände in ihrem Zimmer sind mit Postern von Mike Singer tapeziert. Den Teenie-Schwarm und Popstar findet Maria* toll. Etwas vertrauter sind ihr allerdings die Gesichter auf den Fotos, die im Schrank lehnen. Sie zeigen die 15-Jährige mit ihrem Papa und auch mit ihrer besten Freundin, innig und lachend.

Am 14. Oktober findet ein Tag der offenen Tür in der Mädchenwohngemeinschaft statt.
Am 14. Oktober findet ein Tag der offenen Tür in der Mädchenwohngemeinschaft statt. © Karl-Ludiwg Oberthür

Maria ist ein lebensfrohes Mädchen. Sie lacht gern, auch wenn sie es damit nicht immer einfach hat. Die junge Dresdnerin hatte eine schwierige Kindheit in einem zerrütteten Elternhaus. Seit gut einer Woche wohnt sie nun in Bannewitz. Im Ortskern der Gemeinde hat Maria ein neues Zuhause gefunden.

In den alten Bannewitzer Gasthof sollten vor zwei Jahren Asylbewerber einziehen. Der Eigentümer wollte das Haus aber nicht an den Landkreis verkaufen. Schließlich griff die Diakonie Dippoldiswalde zu und sanierte den Hotelanbau aus den 90er-Jahren. Seit Mitte August ist die Wohngemeinschaft bezugsfertig. Zwölf Mädchen wohnen derzeit in Gruppen auf drei Etagen. Jede Bewohnerin hat ihr eigenes Zimmer. In den Aufenthaltsräumen wird nach der Schule gemeinsam gegessen, werden Hausaufgaben gemacht, wird ferngesehen oder gequatscht, eben wie zu Hause – mit einem Unterschied. Sie leben nicht in ihrer eigenen Familie. Stattdessen stehen ihnen Betreuer und Psychologen zur Seite.

Die minderjährigen Mädchen, die hier leben, haben es bisher schwer gehabt. Gewalt, Verwahrlosung, sogar Missbrauch mussten sie erfahren. Viele der Mädchen haben dadurch ein verzerrtes Männerbild. Die Wohngemeinschaft ist der letzte Anlaufpunkt für die Kinder und Jugendlichen. Hier finden sie neuen Halt und Schutz. Sie kommen hierher, wenn selbst Familienhelfer erfolglos waren. „Unsere Aufgabe ist es, den Mädchen wieder eine Perspektive zu geben, sie auf das Leben vorzubereiten“, sagt Eric Maes. Der 36-jährige Bannewitzer ist Chef der neuen Wohngemeinschaft, er leitet seit 2009 auch die anderen drei Wohngemeinschaften für Jungen und Mädchen in Schmiedeberg und Bärenstein.

Die Diakonie reagiert mit der neuen Wohngemeinschaft in Bannewitz auf einen dringenden Bedarf, auch wenn er damit wohl noch nicht gedeckt ist. 136 Anfragen lagen der Diakonie beispielsweise Anfang des Jahres zur Betreuung vor. In allen vier Häusern gibt es derzeit 45 Plätze für Kinder von sechs bis 18 Jahren. Die aktuell noch vier freien Zimmer in Bannewitz werden sicher bald bewohnt sein.

Familienleben hat sich verändert

Ob tatsächlich mehr Kinder als früher diese Art Hilfe benötigen, vermag Eric Maes nicht zu sagen. „Ich denke, die Gesellschaft ist dafür einfach sensibler geworden“, sagt er. Problemfälle, wenn man sie so nennen kann, fallen eher auf. Während früher mehrere Generationen unter einem Dach lebten und so familiäre Probleme aufgefangen wurden, leben immer mehr Familien allein. Mütter und Väter tragen allein die Verantwortung. Nicht jeder sei den heutigen gesellschaftlichen Anforderungen gewachsen, beobachtet Eric Maes.

Genau hier setzt die Arbeit der Betreuer an. Denn spätestens ab ihrem 18. Lebensjahr, also mit der Volljährigkeit, sind alle Hausbewohner auf sich gestellt. Eine Betreuung darüber hinaus ist von der Jugendhilfe des Landkreises nicht vorgesehen. Die jungen Leute, die es in ihrem Leben ohnehin nicht einfach hatten, müssen schnell erwachsen werden. Nicht immer gelingt die gesellschaftliche Integration. „Wichtig ist es deshalb, dass alle hier lernen, selbstständig zu werden, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Dazu braucht es ein gesundes Selbstwertgefühl, das viele Mädchen hier erst einmal wieder erlangen müssen“, erklärt der Heimleiter.

Auch Maria geht es so. „Ich möchte selbstbewusster werden“, sagt die 15-Jährige. „Wenn ich in der Schule gehänselt werde, dann will ich drüberstehen können und es mir nicht mehr so zu Herzen nehmen.“ In Bannewitz fühlt sie sich wohl. Auch das Miteinander in der Wohngemeinschaft gefällt der Jugendlichen. Hier kann sie sein, wie sie ist. So geht es auch Susanne*. „Es ist besser als zu Hause“, sagt die 15-Jährige. Sie wirkt dabei nachdenklich.

Und was wünschen sich die Mädchen für die Zukunft? „Ich will Krankenschwester werden“, sagt Maria. „Für später wünsche ich mir, eine eigene Familie zu gründen und dass ich mich mit meiner eigenen wieder verstehe.“

*Namen von der Redaktion geändert.

Am 14. Oktober, von 14 bis 18 Uhr, findet ein Tag der offenen Tür in der Mädchenwohngemeinschaft Bannewitz auf der Winckelmannstraße 1 statt.