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Zschadraß – viel mehr als eine Irren-Colonie

Der Ort ist durch den falschen Arzt Gert Postel deutschlandweit bekannt geworden. Im Museum spielt der Hochstapler aber nur eine ganz kleine Nebenrolle.

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© André Braun

Von Heike Heisig

Region Döbeln/Zschadraß. Olaf Beyer hatte sich die Mühe gemacht, und für den Internationalen Museumstag am Sonntag etwas Besonderes vorbereitet. Beyer ist Mitarbeiter des Kunst- und Museumsprojektes Krankenhaus Zschadraß. Dieses animiert Radfahrer und Wanderer, sich auf das Klinikgelände zu begeben an einen „Ort jenseits der Straße“. So heißt auch das Projekt des in Berlin und Wien lebende Künstlers Christoph Meyer.

In angekokelten Schränken werden die Exponate gezeigt.
In angekokelten Schränken werden die Exponate gezeigt. © André Braun

Anlässlich des Museumstages hat Olaf Beyer einen zusätzlichen Raum in dem Backsteinbau, der in den oberen Etagen die Verwaltung des Diakoniewerkes Zschadraß beherbergt, eingerichtet. Teils unter einer schützenden Folie liegen alte, weit über 100 Jahre alte Bauzeichnungen. Denn: Seit inzwischen 150  Jahren gibt es die „Irren-Colonie“ Zschadraß schon.

„Colonie heißt so viel wie Außenstelle“, erklärt Beyer. Eingerichtet wurde die psychiatrische Klinik Zschadraß als Außenstelle des Krankenhauses Colditz, das auf dem Schlossgelände untergebracht war und dort keine Entwicklungsmöglichkeiten hatte. Damals jedoch setzte ein Umdenken bei der Behandlung psychisch Kranker ein. Wurden sie bis dahin ausgegrenzt, sollten sie in Zukunft am Alltag teilhaben.

Das gelang in dem kleinen Örtchen, indem die Patienten auf den Bauernhöfen und später in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) mitarbeiten durften. Der Staat kaufte zunächst eines der insgesamt zehn großen Güter, eröffnete die Außenstelle mit nicht mal einem Dutzend Patienten. „Es sollte geschaut werden, wie die Akzeptanz in der Einwohnerschaft ist“, erklärt Olaf Beyer. Offenbar gab es ein gutes Auskommen. Die Patientenzahl wuchs – zeitweise auf mehr als 1 000. Auch aus den Gefängnissen Waldheim und Torgau wurden psychisch kranke Straftäter nach Colditz und Zschadraß verlegt. Immer mehr Grundstücke wurden gekauft, neue Gebäude gebaut.

Im Jahr 1924 entstand eine Lungenheilstätte. Die nahm nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Arbeit wieder auf und machte sich auf dem Gebiet der Forschung einen Namen. TBC-Patienten wurden behandelt. Als die Zahl der Erkrankten zurückging, implantierten die Ärzte in der bis zur Wende staatlichen Klinik Herzschrittmacher.

An diese Etappen erinnert ein Zeitstrahl. Der klammert auch nicht aus, dass Zschadraß im Zweiten Weltkrieg Durchgangslager für rund 3 500 Patienten war, die Hitler für lebensunwürdig hielt und die letztlich in die Gaskammer nach Pirna geschickt wurden. Außerdem sind 1 482 Zwangssterilisationen belegt.

Alle diese „Stationen“ der Klinikgeschichte werden in Rauminstallationen des Kunst- und Museumsprojektes aufgegriffen. In einem rot gestrichenen Raum stehen zum Beispiel angekokelte, tiefschwarze Schränke. Darin befinden sich die Exponate. Völlig unterschiedlich wirkt auf Besucher ein Raum, in dem alles verspiegelt ist und ein dicker Metalldraht die Form des menschlichen Gehirns nachbildet. Dorthin gelangen Besucher durch einen vollkommen dunklen Raum. Darin berichten Betroffene über ihre psychische Erkrankung und wie ihre Familie damit umgegangen ist. Eine Frau erzählt aus ihrer Kindheit und ist überzeugt, dass ihre Krankheit für die Mutter eine Schande war, sie daher die Einweisung in eine Klinik verhinderte. Dem Mädchen hätte das aber wahrscheinlich geholfen, so mündeten ihre Hilferufe in zwei Selbstmordversuchen.

„Zu unseren Besuchern zählen hauptsächlich Touristen, manchmal Angehörige von Patienten, aber auch Betroffene“, sagt Beyer. Letzteren sei es ein Bedürfnis, sich nach einer gewissen Zeit nochmals mit ihrer Situation auseinanderzusetzen. „Manche finden Trost, indem sie hören, was andere durchgemacht haben und dass sie mit ihren Problemen nicht allein dazustehen.“

Seit 1999 ist das Diakonische Werk Träger der Klinik in Zschadraß, die vorher das Spezialgebiet der Lungenheilkunde an Chemnitz verloren hat. Heute betreibt die Diakonie in Zschadraß eine Klinik für Neurologie, eine für Psychiatrie und ein Wohnheim für Menschen mit Behinderungen. Ein Teil der Gebäude ist ungenutzt. Der falsche Arzt Postel hatte im November 1995 eine Stelle im Fachkrankenhaus für Psychiatrie angenommen. Im Museum stehen seine Bücher. „Besucher fragen aber so gut wie nie nach ihm“, sagt Olaf Beyer.