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Zaungast an der Abrissschule

Der Anblick schmerzt, sagt der langjährige Schulhausmeister. Nicht nur er verbindet Erinnerungen mit dem Haus in Bischofswerda.

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© Wolfgang Schmidt

Von Wolfgang Schmidt

Bischofswerda. Der Abriss der Schule an der Bonhoefferstraße in Bischofswerda Süd ist in vollem Gange. Am Montagmittag stand noch etwa ein Drittel des einstigen Schulgebäudes. Viele im Stadtteil Süd schauen hin, was sich da tut in ihrer Nachbarschaft – und einer ganz besonders: Anton Müller.

Eins von zwei Keramik-Bildern im Foyer der Schule.
Eins von zwei Keramik-Bildern im Foyer der Schule. © Wolfgang Schmidt
Das Umfeld war noch Baustelle, als die Schule am 1. September 1977 feierlich eröffnet wurde.
Das Umfeld war noch Baustelle, als die Schule am 1. September 1977 feierlich eröffnet wurde. © Wolfgang Schmidt
Ein Foto aus dem Jahr 1976. Ein Bagger planierte die Fläche, auf der wenig später der Bau begann.
Ein Foto aus dem Jahr 1976. Ein Bagger planierte die Fläche, auf der wenig später der Bau begann. © Wolfgang Schmidt

„Es schmerzt schon etwas, die Bilder vom Abriss zu sehen“, sagt der Bischofswerdaer. Er hat eine besondere Beziehung zum Schulhaus. Denn von den 70er Jahren an bis zum Jahr 1983 war er der Schulhausmeister. Seine Ehefrau Christa arbeitete in der Essensausgabe. Mit Anja und Rita besuchten auch zwei der drei Müller-Töchter diese Schule. „Wir wohnten in der Nähe, hatten Arbeit, unsere Kinder waren umsorgt, wir waren zufrieden“, ergänzt der jetzt 77-Jährige. Und er war ein Meister seines Faches mit dem Anspruch „Geht nicht, gibt’s nicht“. Anton Müller reparierte wo nötig; fügte Neues hinzu. „Anton, der Zauberer“ wurde er in Anspielung an eine DDR-Filmkömödie aus dem Jahr 1978 anerkennend genannt.

Der Bau einer vierten, zehnklassigen polytechnischen Oberschule (POS) in Bischofswerda war nötig geworden. Im Stadtteil Süd begann 1974 der Bau von 1000 Wohnungen in Blockbauweise. Damit war wesentlich der Zuzug von Familien mit Kindern verbunden. Zugleich besuchten immer mehr Kinder und Jugendliche aus umliegenden Gemeinden die Schulen der Kreisstadt, weil in deren Schulen nicht mehr alle Klassenstufen unterrichtet wurden. 1976 wurde das Areal der künftigen Bischofswerdaer Schule planiert. Im Frühjahr des folgenden Jahres wurden erste Platten angeliefert. Der Hochbau begann. In diesen Monaten wurden bereits Möbel angeliefert, die der Rat der Stadt zunächst einlagern ließ. Zusammengestellt wurde auch das Kollegium der hier zu unterrichtenden Pädagogen – nach Fachkompetenz und wohl auch nach Mitgliedschaft in der SED, um die staatstragende DDR-Politik durch eine Parteigruppe auszustrahlen.

Erst die Schule, dann die Turnhalle

Die Umgebung des Schulgebäudes war noch Bauland. Dennoch konnte die Schule, wie vorgesehen, am 1. September 1977 übergeben werden. Die Pädagogen, Mitarbeiter vom Rat der Stadt und weitere Helfer hatten sich nachhaltig dafür mit eingebracht: Tische und Schränke zusammengeschraubt, Fenster und Hausinneres gereinigt, die künstlerische Ausgestaltung der Räume vorgenommen. Die Schule Bischofswerda erhielt am 7. Oktober 1978 den Namen „Wilhelm Pieck“ verliehen. Im Jahr 1979 erfolgte der Neubau der nahen Sporthalle. Kinder und Jugendliche von der ersten bis zur zehnten Klasse wurden unterrichtet. Dazu konnte die ganztägige Betreuung der Kinder im Hort abgesichert werden. Durch Initiative von Lehrern, Eltern und Schülern wurde ein umfangreiches Angebot von Arbeitsgemeinschaften ermöglicht.

Nach der politischen Wende wurde das Haus bis 1992 als Mittelschule weitergeführt, dann als Grundschule. Nach deren Umzug an die Thälmannstraße wurde das Haus stillgelegt, später aber wieder baulich reaktiviert. Denn aufgrund der Sanierung von anderen Schulen in der Stadt wurde das Gebäude mehrfach als Interimsschule gebraucht. Kinder aus beiden Schulen an der Kirchstraße sowie Schüler des Goethe-Gymnasiums wurden in den vergangenen Jahren zeitweise im Gebäude an der Bonhoefferstraße unterrichtet.

Bereits in den 90er Jahren zeichnete sich ein deutlicher Geburtenrückgang sowie Wegzug von Familien ab. Die Zahl schulpflichtiger Kinder ging dramatisch zurück. In einer Schulnetzplanung wurde nach 2000 durch Stadtratsbeschluss entschieden, das Gebäude abzureißen. Es habe den schlechteren Bauzustand als die nahe, 1970 errichtete, jetzige Grundschule-Süd, hieß es zur Begründung.

Kunstwerke geschleift

Seit ein paar Wochen nun wird das Gebäude abgerissen. Im Bauschutt liegen auch die Keramikkacheln zweier im Foyer angebrachter Mosaikbilder. Diese hatte der Pulsnitzer Künstler Werner Schmidt als Auftragswerk entworfen und 1978 geschaffen. Dargestellt waren Motive mit Kindern in ihrer Freizeit, bei Sport und Spiel. Die Kunstwerke seien fest mit dem Bauwerk verbunden; man könne sie nicht herausnehmen, begründete Bauamtsleiter Holger Berthel im Mai dieses Jahres die Entscheidung vor den Stadträten. Nicht jeder kann diese Entscheidung nachvollziehen. Manch einer spricht von „Bilderstürmerei“. Auch der Sohn des Künstlers, Töpfermeister Eberhard Schmidt, widerspricht der Darstellung, wonach die Mosaikbilder angeblich nicht zu retten waren. Mit gewissem handwerklichen und finanziellen Aufwand hätte man die Kacheln doch lösen können. Dafür hatte er der Stadtverwaltung bereits vor etwa fünf Jahren ein Angebot gemacht. Das wurde abgelehnt. Damit verschwinden auch weitere Zeugnisse der jüngeren Bischofswerdaer Stadt- und Baugeschichte – und einmalige Kunstwerke.

Außer dem Schulhaus wird auch der Schulhof abgerissen. Beides kostet die Stadt rund 663 000 Euro. Auf einem Teil des Schulgeländes soll Neues entstehen: Geplant ist der Bau eines Kinderzentrums. Zwei Tagesstätten – die Regenbogenvilla im Stadtteil Süd und das Kinderhaus Sonnenschein aus der Innenstadt – sollen dort ihr neues Domizil finden. Die vom Unternehmen Bauplanung Bautzen im Auftrag der Stadt erarbeiteten Pläne sehen ein schneckenförmiges Gebäude für zwei separate Kindertagesstätten vor, so dass jede Kita nach ihrem bisherigen Konzept weiter arbeiten kann.