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Wurstconnection zu den Fußball-Weltstars

Eine Gruppe von pfiffigen Schönfeldern verschaffte sich 1990 Zugang zum Dresdner Stadion, um ihre Kicker-Helden ganz nah zu erleben.

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© Kristin Richter

Von Manfred Müller

Schönfeld. Schönfeld gilt allgemein als fußballverrückter Ort, als ländliche Fan-Hochburg des Zweitligisten Dynamo Dresden. Am fußballverrücktesten jedoch ist der Bürgermeister der 1700-Seelen-Gemeinde. Seit Jahrzehnten reist Hans-Joachim Weigel den deutschen und internationalen Kicker-Stars hinterher, um am besten persönlich eine Unterschrift zu ergattern und ein paar Worte mit ihnen zu wechseln. Denn Weigel ist leidenschaftlicher Autogrammsammler. Um die 10 000 hat er mittlerweile zusammengetragen. Natürlich hat der Schönfelder nicht alle Autogramme selbst erjagt, sondern viele auf Tauschbörsen erworben. Wichtig ist ihm nur die Original-Unterschrift. Aufgedruckte Dutzendware sucht man in seiner Sammlung vergebens. Um eine Unterschrift zu erhaschen, schleicht er sich schon mal ins Hotel-Foyer, in die Stadion-Katakomben oder sogar in die Kabinen. Das ist allerdings schon ein Weilchen her, da waren die Spieler noch keine Fußball-Millionäre und nicht so abgeschirmt wie heute.

Am besten funktioniert so ein Coup, wenn die Stars ihre aktive Karriere beendet haben und ihre Töppen noch einmal für ein Benefizspiel schnüren. Wie etwa am 26. März 1990, als in Dresden eine Gala für den Wiederaufbau des Residenzschlosses veranstaltet wurde. Ein halbes Jahr vor der Wiedervereinigung trat im Rudolf-Harbig-Stadion eine deutsch-deutsche Fußballauswahl gegen eine Weltauswahl an, und beide waren mit Ex-Weltmeistern nur so gespickt. Da liefen die deutschen WM-Helden Franz Beckenbauer und Uli Hoeneß ebenso auf wie die 1966er Champions Bobby Charlton und Bobby Moore. Selbst die Südamerikaner Jairzinho (Brasilien) und Mario Kempes (Argentinien) waren nach Ostdeutschland gekommen. Und mittendrin: der Schönfelder Hans-Joachim Weigel.

„Wir hatten damals im Ort eine Gruppe der Deutschen Sozialen Union gegründet“, erinnert er sich. Die DSU gehörte dem Bündnis mit der CDU an, das die letzte DDR-Regierung stellte, und über kaum noch nachvollziehbare politische Kanäle gelang es einigen Schönfeldern, zu denen auch die Unternehmer Gerald Bauer und Eckhard Schleinitz gehörten, Zugang zum Stadion zu bekommen. Die pfiffigen Dörfler hatten zu diesem Zweck zwei Schweine gekauft, sie zu hausschlachtener Wurst verarbeitet und durften diese an einem Stand in der Arena verkaufen. Aber die Wurst kümmerte Weigel an diesem Tag herzlich wenig. Er streifte unermüdlich durch die Stadion-Katakomben und jagte den Fußball-Legenden nach. „Leider kam man damals in der DDR kaum an Fotos der Welt-Fußballer heran“, erzählt er. Deshalb hatte sich Hans-Joachim Weigel über Freunde im Westen ein Buch besorgt, in dem etliche berühmte Kicker abgebildet waren. Und es gab darin auch etliche weiße Seiten für Autogramme. Dort sind nun all die Weltmeister früherer Zeiten verewigt. „Wir hatten sogar Arbeitskarten für Ordnungskräfte ergattert, die uns den Zugang zu den Spielerkabinen erlaubten“, sagt Weigel. Das habe er natürlich weidlich ausgenutzt, denn er sei sich sicher gewesen, dass er so etwas nie wieder erleben wird.

Wenn am Samstag das aktuelle deutsche WM-Team gegen Schweden aufläuft, wird sich Bürgermeister Weigel zum Public Viewing aufmachen. Der Schönfelder Jugendklub hat im Gemeinschaftsraum auf dem Schlossgelände eine Leinwand aufgebaut, wo die Dorfbewohner das Vorrundenspiel gemeinsam verfolgen wollen. Hans Joachim Weigels Erwartungen sind allerdings nach der Pleite gegen Mexiko gedämpft. „Die etablierten Spieler wirkten so satt und träge, dass ich mir, ehrlich gesagt, keine großen Hoffnungen auf die Titelverteidigung mache“, sagt er. Klar werde er der Nationalmannschaft die Daumen drücken, aber die Spieler müssten am Sonnabend schon Gras fressen, um gegen die Schweden zu gewinnen. Seine Hoffnung: ein 2:1 für Deutschland. Beim Mexiko-Spiel habe er auf 3:1 getippt, aber leider stimmte daran am Ende nur die Torausbeute der Mexikaner. Als eine der Ursachen für das schwache Ergebnis sieht Schönfelds Bürgermeister die politische Kampagne gegen Mesut Özil und Ilkay Gündogan an. „Man sah auf dem Platz deutlich, dass die beiden den Kopf nicht frei hatten“, sagt er. Dazu die Trainer-Fehlentscheidung, statt des flinken Leroy Sané den Chancentod Mario Gomez mitzunehmen. Kein Wunder, dass die Deutschen nun mit dem Rücken zur Wand stünden. Angesicht der vielen müden Vorrunden-Kicks bisher sei so ein frühes Schicksalsspiel für die Zuschauer allerdings eine hoch spannende Angelegenheit.