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Wohin mit dem Anderssein?

Der Gerede e. V. aus Dresden ist Ansprechpartner für Lesben, Schwule und Transgender. Auch immer öfter in der Lausitz.

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© René Plaul

Von Ina Förster

Kamenz. Lesben, Schwule, Männer, die sich zur Frau operieren lassen, junge Mädchen, die frühzeitig spüren, dass sie im falschen Körper feststecken – das alles sind für Danilo Ziemen einfach Menschen. Und so benennt und behandelt der Sexualwissenschaftler sie. Seine Mitstreiter vom Gerede e. V. aus Dresden tun das auch. Der Verein arbeitet seit Jahrzehnten für und mit Leuten, die anders sind. Deren sexuelle Neigungen nicht in das allgemeingültige Raster der Gesellschaft zu passen scheinen. Doch was ist schon normal? Dieser Frage gehen die engagierten Leute vom Gerede e. V. nicht erst seit gestern nach. Antworten gibt es mittlerweile viele. Auch für Außenstehende, die nicht unmittelbar etwas mit dem Thema am Hut haben. Aufklären, verbinden, einander näher bringen, Berührungsängste nehmen und Vorurteile abbauen – das gehört zur täglichen Arbeit des Vereines. Und manchmal ist es immer noch recht schwierig.

Danilo Ziemen ist vor allem als Berater auf dem flachen Land unterwegs. Denn das Andersein macht keinen Umweg um das Dorf oder eine Kleinstadt. Wenn man ihn braucht, ihn konkret anfordert, dann ist er da. In Kamenz, Bautzen, Görlitz. Anonym, diskret. Aber mit viel Herz. „Wir müssen uns natürlich immer wieder in das Bewusstsein der Menschen bringen. Viele wissen immer noch nicht, dass es uns gibt. Und das ist schade“, meint er. Gerade für junge Menschen im ländlichen Bereich sei es schwierig, sich zu dem zu bekennen, was man ist. „Auch wenn gerade das Thema Homosexualität in vielen Bereichen der Öffentlichkeit mittlerweile angekommen ist. Keine Vorabendserie ohne lesbische oder schwule Rollen. Immer mehr Stars outen sich. Das ist gut so. Und hilft weiter“, so Danilo Ziemen. Nur im Fußball tut man sich noch schwer. „Aber das ist auch nur eine Frage der Zeit“, meint der Sexualwissenschaftler mit einem Augenzwinkern.

Sicher: Vieles sei lockerer geworden. Und doch ist es für einige immer noch ein riesiger Berg, den es zu überwinden gilt. Die meisten Betroffenen warten bis zur Volljährigkeit, hoffen auf die Anonymität der Großstädte, in die es sie später zum Studium oder zur Ausbildung verschlägt. Nur daheim nicht auffallen, schon gar nicht in der Schule oder Clique. Der Weg durch Pubertät und Jugend kann so sehr schmerzhaft für den Einzelnen sein. Voll von Selbstverleugnung und Scham. Und gelähmt von der Angst, aufzufallen. Der ländliche Bereich ist schlecht abgedeckt mit Beratungsmöglichkeiten. Das ergab bereits eine Strukturanalyse des Gerede e. V. von 2015. Vor allem die Landkreise Bautzen und Görlitz haben Nachholbedarf in Sachen Beratungen.

Mehr Beratungen für Transidentität

Der Verein

Für alle Menschen, die Unterstützung suchen, gibt es im Gerede e. V. ein offenes Ohr. Die Beratungen sind kostenlos, anonym und professionell.

Die Berater/innen sind den Themen Homo-, Bi- und Transidentität gegenüber aufgeschlossen und bringen einige Jahre Berufspraxis mit.

Geboten wird Verständnis, Vertrauen, Unterstützung und konkrete kostenlose Hilfe – unabhängig von Religion, Alter oder Herkunft.

Auch Angehörige und Freunde können die Beratungen wahrnehmen.

Nach vorheriger Terminvereinbarung trifft man sich auch gern in den Landkreisen Bautzen und Görlitz vor Ort.

Kontakt: Danilo Ziemen, 0351 79213530 01525 3262948, [email protected].

www.gerede-dresden.de

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Dabei steigt der Bedarf. Im letzten Jahr standen etwa 50 Beratungen sachsenweit zu Buche. „Viele recherchieren im Internet, wo es Hilfe gibt. Wir haben natürlich Flyer ausliegen – vom Jugendhaus, über Erziehungsberatungsstellen bis hin zum Landtag. Überall, wo Menschen zusammenfinden, sind wir präsent. Doch das reicht noch nicht“, findet Ziemen. Denn gerade die Nachfrage bei den sogenannten Transgendern nimmt stark zu. Mittlerweile nehmen die Trans-Beratungen beim Gerede e. V. sogar den Hauptanteil ein.

„Es ist dabei keineswegs so, dass es plötzlich massenhaft Menschen mit einer Transidentität gibt. Das gab es schon immer, in allen Jahrhunderten. Und so etwas sucht man sich ja nicht aus, weil es gerade in Mode kommt“, sagt Danilo Ziemen. Die Sichtbarkeit des Ganzen sei aber größer geworden. Man spricht offener darüber. Zudem sind Menschen mit einer Transgeschlechtlichkeit oft gut vernetzt. „Der Weg einer Geschlechtsumwandlung mit allen Konsequenzen ist kein Spaziergang. Trans-Jugendliche, Transerwachsene – keiner wird so gemacht“, so der Fachmann. Aber die meisten spüren das Anderssein früh.

In vielen seiner Beratungen sieht er anfangs große Fragezeichen in den Gesichtern. Vor allem, wenn Angehörige, Familie oder Freunde der Transgender zu Danilo Ziemen kommen und nach Antworten suchen. Und meistens führen die Gespräche zu Erleichterung und Verständnis. „Vor allem Eltern geben sich oft die Schuld, wenn ihre Kinder anders sind. Nach der Beratung sehen sie klarer. Das ist, als ob ihnen eine Schuld genommen wird“, weiß der 36-Jährige. Eine Schuld, die sich niemand aufbürden muss. Traurige Situationen sind vorprogrammiert. Tränen fließen. Doch manchmal wird gelacht. Das wäre immer noch die beste Art, zu kommunizieren.

Fakt ist: Der Gerede e. V. hilft mit seiner psychosozialen Beratung. Ganz praktisch, zum Beispiel mit der Vermittlung an Ärzte, wie Endokrinologen. „Hier sind wir dabei, in der Lausitz ein Netzwerk aufzubauen“, sagt Ziemen. Hormontherapien, Geschlechterangleichung, Psychotherapien – alles kein Kinderspiel. Auch die rechtliche Komponente bis hin zur Personenstandänderung sei nicht zu unterschätzen. Aber man hilft auch auf der Gefühlsebene. Empathie und Unvoreingenommenheit sind die Zauberworte, mit denen die Arbeit des Gerede e. V. gut funktioniert.