Merken

Wieder aufstehen lernen

Die 15-jährige Celine aus Kamenz hat ein Bein verloren. Eine besondere Therapie hilft ihr ins Leben zurück.

Teilen
Folgen
© Uwe Soeder

Von Jana Ulbrich

Kamenz. Celine lässt die Arme baumeln und schließt die Augen. Bäuchlings liegt die 15-Jährige auf einem Pferderücken und lässt sich von Ina Haue den Nacken massieren. Celine genießt diesen Augenblick und lächelt still. Das junge Mädchen aus Kamenz hat nicht viele solcher Momente, die ihr guttun. Meistens hat sie Schmerzen.

Celine ist neuneinhalb, als ihr zum ersten Mal das rechte Bein wehtut. „Du wächst“, beruhigt sie ihre Mutter. Aber die Schmerzen werden immer stärker. Verena Mager geht mit ihrer Tochter zum Arzt. Celines Mutter ist Tierarzthelferin. Auf dem Röntgenbild sieht sie es sofort: „Ist das Knochenkrebs?“, fragt sie den Arzt mit zitternder Stimme. Der Arzt nickt. Celine bekommt Chemotherapie, muss am Oberschenkel operiert werden, verbringt viele Monate im Krankenhaus und in der Reha-Klinik. Die erste OP bringt keinen Erfolg. Celine ist 13 Jahre alt, als man ihr sagt, dass es noch eine Chance gäbe: Der Oberschenkel müsse ab. Celine schreit. Sie hat Angst. Sie will das nicht. Ein paar Tage später sagt sie ihren Eltern: „Wir machen das.“

Es ist eine sehr komplizierte Operation, eine „Umkehrplastik“, die nur in wenigen deutschen Kliniken vorgenommen wird. Celines Oberschenkel wird entfernt und durch ihren Unterschenkel ersetzt. Aus dem Fuß- wird das Kniegelenk, an dem nun die Prothese sitzt.

Celine ist jetzt 15. Sie sieht an sich hinunter mit einem sarkastischen, aber auch sehr energischen Blick, ungewöhnlich reif für eine 15-Jährige. Sie weiß, dass sie sich jetzt anfreunden muss mit der Prothese. Aber nach einem Wachstumsschub ist das rechte Bein jetzt kürzer, das Becken steht schief, ihr ganzer Körper ist schief. Ihre linke Körperhälfte mit dem unversehrten Bein ist völlig überlastet. Alles tut weh. Nicht nur die Wunden von der Operation. Ihre verhassten Krücken bekommt Celine einfach nicht los.

„Wir waren alle verzweifelt, wussten nicht mehr, wie wir ihr noch helfen konnten“, erzählt ihre Mutter leise. Bis zu diesem wunderbaren Zufall, der Celine nun einmal pro Woche von Kamenz nach Seeligstadt führt. Stolz sitzt das Mädchen jetzt wieder im Sattel – und Kollin, Ina Haues Therapiepferd, leistet geduldig Schwerstarbeit. „Für ein Pferd ist es ein harter Job, schiefe Menschen zu tragen“, erklärt die Reittherapeutin, die auf dem Reiterhof in Seeligstadt das Eli-Therapiezentrum gegründet hat. Auf dem Pferderücken kann Celine jetzt ganz ohne Krücken Gleichgewichtssinn und Balance trainieren. Die 15-Jährige strahlt. Sie liebt Pferde. Deswegen war sie mit ihrer Mutter auch auf der Messe „Partner Pferd“ in Leipzig, auf der Ina Haue ihren Stand aufgebaut hatte.

Jetzt führt die Therapeutin das Pferd im Kreis und korrigiert immer wieder Celines Haltung. „Es ist schon viel besser geworden“, freut sich die 15-Jährige. „Ich kann das Becken schon viel leichter bewegen.“ Celines blonder Pferdeschwanz wippt fröhlich im Takt der Bewegungen. Ihre Mutter steht am Zaun und lächelt: „Celine ist auch wieder viel aufgeweckter“, freut sie sich. Bei den Trainingsstunden kümmert sich Ina Haue wie nebenbei auch um die Seele ihres jungen Schützlings. Die 34-Jährige ist auch zertifizierte Trauma-Therapeutin.

Annegret Riemer vom Dresdener Sonnenstrahl-Verein ist an diesem Vormittag nach Seeligstadt gekommen, um sich nach Celines Fortschritten zu erkundigen. Der Förderverein für krebskranke Kinder und Jugendliche finanziert die Reittherapie für Celine. Auch Annegret Riemer freut sich sehr, wie gut sie dem Mädchen tut. Die Sonnenstrahl-Mitarbeiterin kennt Celine schon seit den ersten Monaten auf der Kinderkrebsstation in der Dresdener Uniklinik. „Wir wollen den Kindern und ihren Familien in der schweren Zeit so viel Hilfe und Unterstützung wie nur möglich geben“, sagt sie. Celine ist beim Verein auch in psychologischer Betreuung, ihre Eltern können kostenlos in der „Sonnenstrahl-Villa“ gleich gegenüber der Uniklinik übernachten, wenn ihre Tochter auf Station muss. „Wir sind dem Verein sehr dankbar für alles“, sagt Verena Mager.

Aber jetzt sieht es erst einmal so aus, dass Celine nicht mehr auf die Krebsstation muss. „Klaus-Peter ist weg“, lacht die 15-Jährige und lässt die silberne Zahnspange blitzen. „Den haben wir eliminiert.“ „Klaus-Peter“ hat sie ihre Erkrankung genannt. Das Wort „Krebs“ hat sie nie in den Mund genommen. Jetzt balanciert sie auf dem Pferd mit ausgebreiteten Armen. Celine muss wieder aufstehen lernen. Ina Haue hält die Zügel und schmunzelt: „Das wird wieder“, ist die Therapeutin sich sicher. Vielleicht wird Celine die verhassten Krücken schon bald in die Ecke stellen können.

Der Sonnenstrahl e. V. ist auf Spenden angewiesen: www.sonnenstrahl-ev.org

Angebote des Eli-Therapiezentrums unter www.eli-therapie.de