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Wege aus der seelischen Abhängigkeit

Über Frauen mit körperlichen Symptomen ohne medizinischen Befund sprach die SZ mit Fachärztin Uta Blome-Hennig.

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© Kristin Richter

Von Kathrin Krüger-Mlaouhia

Großenhain. Eine Patientin kommt mit schweren chronischen Schmerzen in die Psychotherapie von Fachärztin Uta Blome-Hennig in Großenhain. Sie nimmt starke Mittel gegen Schmerzen im Rücken, vor allem im Lendenwirbelbereich. Doch einen medizinischen Befund gibt es nicht. Es stellt sich heraus, dass es eine einfache Frau ist, die sich mit der Welt arrangiert hat. Ihr Mann ist Berufspendler und Alkoholiker, der psychische und körperliche Gewalt gegen die Söhne ausübt. Als der ältere Sohn auszieht, den Kontakt zu seinen Eltern abbricht, sucht die Frau Hilfe. „Sie hat sich selbst nur noch als Schmerz definiert“, so die Ärztin.

Uta Blome-Hennig ist Fachärztin für psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Sie arbeitet auch in der Traumaambulanz.
Uta Blome-Hennig ist Fachärztin für psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Sie arbeitet auch in der Traumaambulanz. © Kristin Richter

Frau Blome-Hennig, wie häufig sind solche Patientengeschichten?

In der Großenhainer Region werden außergewöhnlich viele Klientinnen von Hausärzten für eine psychotherapeutische Behandlung überwiesen, weil keine organischen Befunde für die Symptome gefunden werden konnten. Erst nach langer Zeit in der Therapie überwinden sie Angst und Scham und berichten über Partnerschaftsprobleme. Das hängt vielleicht zusammen mit traditionellen Strukturen in der Region, mit festen Rollenzuschreibungen und dem Einfluss der Großfamilie. Selbstbewusstsein ist auch eine Frage der Erziehung in der Ursprungsfamilie und deren Vorbildwirkung. Die Betroffenen wollen es nicht wahrhaben, dass sie in einer gewaltbesetzten Partnerschaft leben, auch mit psychischer Unterdrückung.

Wie muss man sich solche Partnerschaften vorstellen?

Da werden die Frauen kleingehalten, haben kein eigenes Konto, können nicht allein Auto fahren, haben keinen Einblick in die Geldangelegenheiten der Familie. Ihr Freundeskreis wird eingeschränkt, ihre Hobbys werden kontrolliert. Diese Frauen, häufig so um die 50 Jahre alt, stellen sich mit zahlreichen körperlichen und seelischen Beschwerden vor, u. a. Angst und Panik, Verdauungsproblemen oder Schwindel. Von psychischer Gewalt können Frauen und Männer jedes Alters betroffen sein. Die große Stressbelastung, die Freisetzung von Stresshormonen, führt zu physiologischen Prozessen, die chronischen Schmerz auslösen können. Das kann sich sogar über Generationen hinweg wiederholen.

Wo kann die Therapie ansetzen?

Es geht darum, den versteckten, oft massiven Druck dahinter offenzulegen und die Abwertung und Demütigung klar zu benennen. Also die eigenen Empfindungen zuzulassen. Oft machen sich die Betroffenen auch selber klein und nehmen ihren Peiniger in Schutz. Ziel der Therapie ist es, sich eine eigene Meinung und eigene Lebensziele zu erlauben. Und auch klar zu benennen, dass psychische Gewalt eine Straftat darstellt und angezeigt werden kann.

Endet eine solche Aufarbeitung zwangsläufig in der Trennung vom Partner?

Angestrebt ist die Lösung aus einer abhängigen Beziehung, das Erkämpfen von Freiräumen, die Veränderung einer krankmachenden Atmosphäre. In vielen Fällen funktioniert das nur durch Trennung. Durch Paargespräche eine Verbesserung zu erreichen, ist in meiner Praxis auch möglich. Aber das ist eine Riesenaufgabe. Voraussetzung ist natürlich auch die Veränderungsbereitschaft des Partners.

Welche Hürde müssen Frauen überwinden, um sich diesem Prozess zu stellen?

Einige Betroffene trauen sich nichts mehr zu, sie fühlen sich dumm und unnütz. Manchmal sind sie auch bequem. Als Therapeutin kann ich ihnen Strategien an die Hand geben, die eigene Ohnmacht zu überwinden, traumatische Erlebnisse aufzuarbeiten und zu lernen, Grenzen zu setzen.

Und was wird aus dem Partner?

Täter psychischer und körperlicher Gewalt müssen lernen, ihre innere Anspannung zu regulieren. Das ist deren Aufgabe. Vielleicht müssen sie Drogen, Alkohol- oder Spielsucht hinter sich lassen. Der drohende Verlust der Partnerin kann die Chance bieten, Verhaltensmuster zu verändern. Auch dafür gibt es Hilfe von außen.

Interventions- und Beratungsstelle Dresden: Tel. 0351 8567210, Frauenschutzhaus Radebeul: Tel. 0351 79552105, Hilfetelefon Frauen gegen Gewalt: Tel. 08000116016, Täterberatung Escape: Tel. 03517966350

www.traumanetz-sachsen.de