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Warum man „Senior“ nicht sagen sollte

Die Älteren kommen auf Arbeit nicht mit und die Jüngeren verlangen zu viel? Beim Marketingtag wurde mit Vorurteilen aufgeräumt.

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© Dirk Zschiedrich

Von Domokos Szabó

Neustadt/Pirna. Der drahtige Mann mit der eckigen Brille reckt auf der Bühne ein überdimensionales Überraschungsei in die Höhe. „Ein Prototyp für Senioren“, scherzt er. Stellt jedoch im gleichen Atemzug klar: So etwas braucht niemand. Genauso wenig wie die Senioren-Bahncard oder Versicherungen speziell für Ältere.

Für einen frischen Blick für Kunden jenseits der 50 warb am Mittwoch der Autor und Betriebswirt Helmut Muthers beim Marketingtag Sächsische Schweiz in der Neustadthalle. Die Babyboomer, also die, die in den 1950ern und 60ern geboren wurde, seien mit die wichtigste Kundengruppe. Jeder zweite Euro, der in Deutschland ausgegeben wird, kommt von ihnen. Die Botschaft des ehemaligen Bankvorstands aus Rheinland-Pfalz: Firmen sollten sich unvoreingenommen mit den Bedürfnissen von Älteren auseinandersetzen. Sie haben zwar – hormonell bedingt – andere Bedürfnisse als die Jüngeren. So geht es im Alter verstärkt um Sicherheit. Dagegen seien sie nicht weniger Individualisten als die nachfolgenden Generationen. Vor allem sollte man sich dringend von der Ansprache „Senior“ Abschied nehmen. Da schwingen Senilität und Defizite mit.

Für die rund 150 Zuschauer aus regionalen Unternehmen sind das wohl vielfach keine Neuigkeiten, auf jeden Fall aber ist es eine Sensibilisierung für das Thema ältere Konsumenten – auch als Arbeitnehmer. Muthers plädiert hier für größtmögliche Flexibilität. Jeder soll stärker mitentscheiden können, wann er in Rente gehen will und kann. Dass Leistungsfähigkeit im Alter abnehme, stimme in den meisten Berufen nicht, sagt Muthers. Ganz nach dem Motto: „Die Jungen laufen schneller, aber die Alten kennen die Abkürzung.“

Defizite werden aber auch den Jungen nachgesagt, sie seien etwa im Job zu fordernd, wenig loyal und selten bereit, Verantwortung zu übernehmen. Steffi Burkhart, Psychologin und und Sportwissenschaftlerin, zweite Referentin des Marketingtages, geht es weniger darum, Vorurteile zu widerlegen. Vielmehr erklärt sie die Unterschiede zu früheren Generationen mit einer veränderten Welt. Sprunghaftigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguitäten (Mehrdeutigkeit) beeinflussen die Generationen Y und Z, die Jahrgänge ab 1981, in ihrer Entwicklung. Da wundere es nur wenig, dass Jüngere versuchen, aus den Zick-Zack-Karrieren das Beste zu machen, indem sie etwa Freizeit und Freunden ein höheres Gewicht geben.

Und trotzdem könne man auf die Kompetenz dieser Generation nicht verzichten, schließlich seien junge Menschen die Treiber für neues Denken und Handeln in Organisationen, weil sie die Deutungshoheit über eine Schlüsseltechnologie haben: das Internet.

Hier setzen auch die Vorschläge der Kölnerin an: Um junge Leute in ländliche Regionen zu bekommen, sollten sich Städte und Gemeinden um die Ansiedlung von Digitalfirmen bemühen. Die Unternehmen selbst müssen stärker deutlich machen, was für die als Arbeitgeber spricht, auch jenseits von finanziellen Aspekten. Das beginnt schon bei den Internetseiten, die viel zu oft nur auf potenzielle Kunden abzielen.

Eine Erfolgsgarantie gibt es aber nicht: Deutschland steht vor ähnlichen Herausforderungen wie etwa Großbritannien, Spanien oder China. Der Mangel an Fachkräften wird in internationalem Maßstab zunehmen und zu mehr Wettbewerb führen – und zwar so stark, dass dafür schärfste Worte herhalten müssen: Wir befinden uns schon jetzt im „war for talents“.