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Warum der Pflegedienst Patienten ablehnt

Weite Wege, lange Fahrzeiten – auf dem Lande ist eine Betreuung oft unwirtschaftlich. In einem Fall wurde aber geholfen.

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© dpa

Von Yvonne Popp

Sächsische Schweiz. Rita und Dieter Krabel lieben ihr Häuschen im Königsteiner Ortsteil Halbestadt. Eigenhändig haben sie es zu Beginn der 1980er Jahre gebaut und darin ihre drei Kinder großgezogen. Obwohl diese ihr idyllisches, im Elbtal zwischen Festung Königstein und Lilienstein gelegenes Nest längst verlassen haben, stand für die Krabels nie zur Debatte, ihr Häuschen zu verkaufen.

Doch genau dazu sind sie vielleicht bald gezwungen, denn Dieter Krabel ist gesundheitlich angeschlagen. Der gelernte Maurer und ehemalige Wismut-Bergarbeiter leidet an verschiedenen Erkrankungen, die ihn in seiner Bewegungsfreiheit stark einschränken. Mit Unterstützung seiner Frau konnte er den Alltag bisher aber gut allein meistern. Langfristig, das zeichnet sich jetzt schon ab, werden er und seine Frau auf die Unterstützung eines ambulanten Pflegedienstes angewiesen sein.

Und genau hier liegt das Problem. Nach einer Operation im Frühjahr bekam der 69-Jährige keine Unterstützung. Weder seine Ärzte noch seine Frau fanden einen Pflegedienst, der die tägliche Wundversorgung übernehmen wollte. Fünf Dienstleister aus der näheren Umgebung lehnten ab, nach Halbestadt zu fahren. Als Grund gaben die meisten fehlende Kapazitäten an. Doch die Krabels vermuteten, dass die Absagen ausschließlich auf die zeitraubende Anfahrt zurückzuführen sind. Denn Halbestadt ist nur über eine einzige, sehr schmale Straße erreichbar, die zudem auch noch als verkehrsberuhigter Bereich ausgewiesen ist. Hilfesuchend hatte sich das Seniorenpaar schließlich mit dem Problem an die Öffentlichkeit gewandt.

Nach dem der Fall bekannt geworden war, fühlten sich viele Pflegedienste zu Unrecht in ein schlechtes Licht gerückt. „Wir würden ja gerne helfen“, sagt Ines Krause, Leiterin des Pflegedienstes Krause und der Villa Herbstgarten in Bad Schandau. Doch seien ihr und ihren Berufskollegen die Hände gebunden. „Wir sind den Kranken- und Pflegekassen gegenüber verpflichtet, wirtschaftlich zu arbeiten“, erklärt sie. Gemeint ist damit, dass die Kassen Sonderfälle zu wenig berücksichtigen und somit nicht genug Geld geben, damit das Unternehmen mindestens kostendeckend arbeiten kann.

Ein Verbandwechsel etwa werde in Sachsen mit nur rund zwölf Euro vergütet. Davon, so führt Ines Krause weiter aus, müssen Personalkosten, Kosten für Verbandsmaterialien und Fahrtkosten abgedeckt werden. Angesichts der Tatsache, dass allein eine Strecke von ihrem Firmensitz in Bad Schandau bis zum Haus der Krabels in Halbestadt etwa 15 Minuten in Anspruch nimmt, sei das ein Ding der Unmöglichkeit. Insgesamt wäre eine einzelne Fachkraft beinahe eine Dreiviertelstunde unterwegs und das für 12 Euro. Um wirtschaftlich arbeiten zu können, muss Ines Krause aber wenigstens 45 Euro pro Stunde einnehmen.

Auch sonst machen es die aktuellen Vergütungsregelungen den Pflegediensten schwer, kostendeckend zu arbeiten, sagt Ines Krause. So sind die verschiedenen Tätigkeiten am Patienten in fünf Leistungsgruppen unterteilt. Gruppe eins umfasst medizinisch und pflegerisch leichte Tätigkeiten wie Blutzucker- und Blutdruckmessungen. Diese werden mit rund sieben Euro vergütet. Unter die Gruppe fünf fallen aufwendige Tätigkeiten wie das Legen und Wechseln von Magensonden oder die Bedienung und Überwachung von Beatmungsgeräten. Dafür bekommt der Pflegedienst pro Einsatz knapp 14 Euro. Fallen aber bei einem Patienten mehrere Behandlungen an, was meist der Fall ist, bekommt der Pflegedienst nur die Tätigkeit abgerechnet, die in die jeweils höchste Leistungsgruppe fällt. Alle anderen müssen quasi gratis erbracht werden. Aber warum? „Beim Bäcker bekommt doch auch niemand drei Brötchen geschenkt, wenn er ein Brot kauft“, sagt Ines Krause.

Geregelt werden die Vergütungen für häusliche Krankenpflege zwischen den Verbänden der Krankenkassen und denen der Pflegedienste. Die Kosten seien hierbei pauschalisiert, erklärt Diana Kunze, Sprecherin der Knappschaft, bei der Dieter Krabel versichert ist, auf Anfrage. Sie seien so veranschlagt, dass im Einzelfall auftretende Mehrkosten durch weniger aufwendige Einsätze ausgeglichen würden. Diese Mischkalkulation sei also auskömmlich.

Vor allem für Pflegedienste in ländlichen Gebieten ist sie das aber nicht. Denn hier würden allein durch die Wegstrecken mittlerweile enorme Fahrtkosten anfallen, die nicht mehr gedeckt seien, sagen sie. Erschwerend komme hinzu, dass die Fahrzeit von den Kassen nicht berücksichtigt wird. Gäbe es außer Dieter Krabel in Halbestadt noch vier bis fünf andere Pflegebedürftige, würde sich der Weg dahin aber rechnen, sagt Ines Krause.

Dieter Krabel muss sich in den nächsten Wochen erneut einer Operation unterziehen. Für die anschließende Wundversorgung hat sich inzwischen die Diakonie angeboten. Eine weiterführende Pflege hat diese aber ebenfalls abgelehnt.