Von Tobias Winzer
Freital. Die Idee mit der Axt findet Lothar Brandau nicht schlecht. Als es darum geht ein passendes Porträtbild für diesen Artikel zu machen, schlägt der Fotograf den riesigen Holzstapel vor Brandaus Haus als Motiv vor. Einmal pro Jahr lässt sich der 67-Jährige große Baumstämme anliefern und bringt sie nach und nach mit Motorsäge und Axt in Form für den eigenen Kamin. „Holzmachen ist eine Männerdomäne“, sagt Brandau selbstironisch und schlüpft in seinen Arbeitsanzug. Dass er wegen des Fotos aggressiv oder bedrohlich wirken könnte, stört den Freitaler nicht. „Das passt doch“, sagt er. Ihm ist bewusst, dass er als Bundestags-Direktkandidat der kleinen FDP auch provozieren muss, um vom Wähler wahrgenommen zu werden. Dabei zeigt er häufig ein ganz anderes Gesicht.
Im Freitaler Stadtrat, in dem er seit 2009 sitzt, hat Brandau eine Sonderrolle. Seit der vergangenen Kommunalwahl vor drei Jahren ist er das einzige verbliebene Mitglied der FDP im Stadtparlament und versucht, dies auf seine Weise zu interpretieren. Brandau weiß, dass er allein wenig ausrichten kann. Deshalb ist er ständig im Gespräch mit den Kollegen der anderen Fraktionen. Er schreibt den Amtsleitern im Rathaus und dem Oberbürgermeister. In den Stadtratssitzungen ist er bekannt für seine fast schon präsidialen Wortmeldungen. Wenn zwei sich streiten, meldet sich Brandau – so das Muster.
Geprägt vom Vater
„Ich lebe in Freital und setze mich für Freital ein. Punkt“, sagt er. „Im Sinne der Fortentwicklung.“ Brandau ist jemand, der anpacken, etwas verändern will. Das habe er von seinem Vater übernommen. „Stagnation ist Rückschritt.“ Aufgewachsen ist Brandau im nordhessischen Heinebach, 2000 Einwohner in der Nähe von Melsungen. Der Vater, Jahrgang 1915, kam 1948 zurück aus der französischen Kriegsgefangenschaft. „Als er zurückkam, standen die Brennnesseln zweieinhalb Meter hoch ums Haus, hat er mir mal erzählt“, sagt Brandau. Der Vater gründete eine Familie und machte aus einem Maurerbetrieb eine Baufirma. Brandau, der 1950 geboren wird, hat diese Aufbaujahre miterlebt. „Das hat mich geprägt.“
Der Werdegang von Lothar Brandau
Schnellfragerunde: Wie Lothar Brandau folgende Satzanfänge vervollständigt.
Er macht später selbst eine Lehre als Maurer und Bauzeichner, studiert Bauingenieur, und übernimmt das väterliche Geschäft. Als er 20 Mitarbeiter hat, bekommt er ein Angebot von einem alten Studienfreund, in den Osten zu gehen. 1990 war das. „Bei mir ist es so: Wenn ich Erfolg habe, dann ist das Thema für mich abgehakt. Ich wollte Neuland betreten. Außerdem war ich damals ungebunden. Und zum Glück war mein Vater sehr tolerant.“ Brandau ist geschieden, hat eine 38-jährige Tochter und einen 17 Jahre alten Sohn, mit dem er zusammenwohnt. In Freital übernimmt Brandau in Freital die ostdeutsche Dependance eines westdeutschen Planungsbüros. Bis zu 30 Mitarbeiter leitet er. „Ich hatte einen sehr kooperativen Führungsstil“, sagt er. 1994 steigt er aus und arbeitet danach als selbstständiger Planer und Bauleiter. Seit sechs, sieben Jahren tritt er bewusst kürzer. „Auch, um Zeit für meinen Sohn zu haben.“ Heute arbeitet Brandau noch zwei, drei Stunden pro Tag. Er bezeichnet sich als Rentner.
Letztlich war das auch der Grund dafür, dass der FDP-Kreisverband ihn zum Direktkandidaten für die Bundestagswahl im September bestimmt hat. „Ich habe die Zeit, mich um die Dinge zu kümmern“, sagt Brandau. Um seine Chancen, gewählt zu werden, macht er sich keine Illusionen. „Die Chancen sind null. Das ist einfach so.“
Trotzdem hat er eine politische Agenda. Brandau, der sich als Patriot bezeichnet und dies auch offen mit einer großen Deutschlandfahne vor seinem Haus zeigt, will sich für eine flächendeckende Digitalisierung stark machen, für gut ausgestattete Schulen und vor allem für gut ausgebildete und fortschrittlich denkende Lehrer, für den Erhalt der Infrastruktur, für die Bahnstrecke von Dresden nach Prag und für ein Zusammenrücken Europas – und, ganz konkret, für eine intelligente Stadtentwicklung in Freital.
Tante-Emma-Läden als Problemlöser
Um das zu erläutern, schlägt Brandau eine kleine Rundfahrt durch Freital vor. Also hinein in den 30 Jahre alten Benz, weg vom idyllisch gelegenen Grundstück am Rand von Freital-Potschappel und hinunter zum Areal am ehemaligen Sächsischen Wolf – dort, wo bald Freitals neues Zentrum entstehen soll. Brandau ärgert sich über die Herangehensweise der Stadt. Das Rathaus hatte einen Investorenwettbewerb ausgeschrieben. Es gab fünf Bewerbungen. Für einen von ihnen sollen sich die Stadträte im September entscheiden. „Ein Markt mit ein paar Parkplätzen ist zu wenig“, sagt Brandau mit Blick auf die aus seiner Sicht dürftigen Vorschläge. „Es braucht vorher ein Stadtentwicklungskonzept.“ Er will das bisherige Verfahren am liebsten stoppen und einen Wettbewerb unter renommierten Stadtplanern ausloben. „Man muss sich erst einmal Gedanken machen, was dorthin soll, bevor man losbaut.“
Er findet, dass Freital zu klein denkt – auch CDU-Oberbürgermeister Uwe Rumberg. „Das sehe ich null Vision.“ Brandau würde lieber am großen Rad drehen und verzweifelt mitunter an der „heftigen Provinzialität“ in Freital. Die Fördertöpfe seien voll. Es brauche nur Ideen und den Mut, etwas auszuprobieren. „In Freital gibt es kein italienisches Restaurant. Eine Stadt mit 40 000 Einwohnern. Ich lache mich tot.“ Freital und die Freitaler müssten viel selbstbewusster sein.
Überhaupt findet Brandau, dass sich die Politik und die Gesellschaft zu sehr auf die großen Zentren, wie Dresden oder Berlin, konzentrieren. Der 67-Jährige will stattdessen das Miteinander vor Ort, in den kleinen Städten, Ortsteilen und Dörfern, stärken. „Ich glaube schon, dass die Gemeinschaft in einem bayrischen Dorf eine andere ist als in einer Großstadt im Ruhrgebiet“, sagt er. „Die Menschen haben verlernt, miteinander zu reden. Die Aufmerksamkeit füreinander fehlt. Das befremdet mich“, sagt Brandau. Er ist der Meinung, dass sich die Werte in der Gesellschaft auf gefährliche Weise verschoben haben. Es gehe nur noch um die Verteilung von Geld anstatt um das Verständnis füreinander. „Gerecht ist, wenn eineinfacher Mensch genauso geachtet wird wie jemand, der in seinem Leben einfach Glück hatte.“
Wie will er diesen Wertewandel schaffen? Mit neuen Tante-Emma-Läden, sagt Brandau. Er möchte in jedem Ort mindestens einen zentralen Treffpunkt für die Menschen schaffen – zum Einkaufen, mit einer Postfiliale und einem Internetzugang. „Damit die Leute miteinander ins Gespräch kommen“, sagt Brandau. „Dafür könnte ich mir auch eine Anschubfinanzierung des Staates vorstellen.“ In dem kleinen Ort, in dem er aufgewachsen ist, gab es früher eine ganze Reihe an Läden. „Ich weiß, wie wichtig das war.“