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Vertriebene Künstler

Kulturhauptstadt will Dresden werden, aber vielen Kreativen fehlen bezahlbare Räume. Jetzt werden sie aktiv.

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© C. Ahner/Konglomerat e.V.

Von Sandro Rahrisch

Im August ist Schluss. Dann muss Ronald Kämmerer die Kisten packen. Instrumente, Mischpulte, Computer. Kämmerer hatte sich im Hochhaus an der Könneritzstraße ein Studio aufgebaut. Über die Zeit ist ein Musikproduzenten- netzwerk entstanden, zusammen mit anderen Mietern, quer über alle Etagen. Doch der Grundstückseigentümer will den Bürokomplex aus den 80er-Jahren abreißen lassen. Er macht Platz für den Schützengarten – 500 Wohnungen, mit denen in Zukunft deutlich mehr Miete reinkommen dürfte als bisher.

Für Kämmerer ist dieser Abriss symptomatisch für die schwierige Lage, in der sich viele Dresdner Künstler derzeit befinden. „Kulturhauptstadt werden zu wollen, ist ein schönes Thema“, sagt der Musikproduzent. Doch für einen solchen Titel müsste mehr getan werden, als die Dresdner Hochkultur ins Rampenlicht zu rücken. Er fordert die Stadtpolitik auf, den Raummangel für Künstler und Kreative endlich ernst zu nehmen. Kämmerer hat sich der Initiative „Na dann mach doch“ angeschlossen, die mittlerweile mehr als 50 Organisationen und Personen als Unterstützer zählt. „Wir müssen uns Gedanken machen, wie es in Zukunft weitergehen soll.“ Allein durch den Abriss des Hochhauses verlieren mehr als 150 junge Unternehmer, Kreative, Künstler und Vereine eine bezahlbare Bleibe. Für die unsanierten Räume zahlten sie fünf Euro pro Quadratmeter.

Die Not, günstige Räume zu finden, sei auch das Ergebnis einer verfehlten Stadtplanung, meint Carsten Ungewitter vom Verein Elixir. Dieser wurde 2016 mit dem Ziel gegründet, ein interkulturelles Zentrum an der Königsbrücker Straße aufzubauen. In einem Flügel der alten Arbeitsanstalt sollten Wohnungen für Flüchtlinge, Migranten und Dresdner entstehen. In einem anderen Bereich des Hauses waren Gemeinschaftsräume geplant, die auch von Kulturschaffenden genutzt werden sollten. Doch die Stadt verkaufte die Immobilie auf Beschluss des Stadtrates für 2,7 Millionen Euro an einen privaten Investor. „Die Stadt muss ihre Flächen behalten, um Stadtentwicklung betreiben zu können“, so Ungewitter. „Es geht nicht nur um das Gemeinwohl. Auch Kleingewerbe wird sich die Mietpreise bald nicht mehr leisten können. Das muss die Stadt begreifen.“

Geschlossene Kreativschmieden

Im Bandhaus Reick an der Gasanstaltstraße teilten sich 17 Bands Probenräume. Das alte Drewag-Gebäude ist inzwischen abgerissen worden. Den alten Mietern seien neue Räume in Dresden und Heidenau angeboten worden, so eine Drewag-Sprecherin.

In der Friedrichstadt konnte die gemeinnützige Outlaw-Gesellschaft bis vor kurzem noch eine Freifläche für ihren Jugendtreff nutzen. Wo früher Fußball gespielt wurde, entstehen jetzt Tiefgaragen.

In der Neustadt musste Ende 2017 der Kellerclub Sabotage schließen. Dort wurde vor allem elektronische Musik gespielt – ein Konflikt mit den Nachbarn, denen es zu laut war.

An der Lößnitzstraße am Neustädter Bahnhof müssen mehr als 40 Künstler raus. Bis 2007 hatte die Drewag das Areal an der Lößnitzstraße genutzt. Danach hatten sich dort Kreative niedergelassen. Bis Ende September sollen die Mieter ausgezogen sein. Dann entsteht dort eine Schule.

An der Könneritzstraße laufen Ende August die Mietverträge aus. Einen konkreten Termin für den Abriss des Bürohauses „Kö 25“ gibt es noch nicht. (SZ/sr)

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Konkrete Forderungen wollen die Kampagnen-Unterstützer erst einmal nicht aufstellen. „Es geht darum, einen Prozess zu initiieren, bei dem wir zusammen nach Lösungen suchen“, sagt Felix Rüdiger, Sprecher des federführenden Vereins Konglomerat. Die Anstrengungen der Stadt, den Künstlern finanziell unter die Arme zu greifen, und günstige Räume zu vermitteln, seien gut, könnten aber nur der Anfang sein.

Maklerbüro öffnet am Montag

Die Wirtschaftsförderung hatte am Mittwoch mitgeteilt, 25 Projekte mit insgesamt 100 000 Euro zu unterstützen. Diese Förderung helfe bei der Modernisierung von Arbeitsräumen, bei Investitionen in die Raumausstattung oder Energiesparmaßnahmen, hieß es. Bei der Raumsuche hat die Stadt die sogenannte Kreativraumbörse ins Leben gerufen. Dafür wird am 25. Juni an der Louisenstraße ein Büro eröffnet, ab Juli geht eine Internetseite online. „Wir sind in den ersten Monaten von unglaublich vielen Anfragen überlaufen worden und haben erst einmal versucht schnell zu helfen“, sagt Torsten Rommel von der beauftragten Kreativraumagentur. Der Chef der Wirtschaftsförderung, Robert Franke, sehe die Fülle an Anfragen als Zeichen dafür, dass der Raumbedarf ein drängendes Problem für die Branche sei.

Ob das reicht, bezweifelt Felix Rüdiger. „Man kann uns nur Immobilien vermitteln, wenn auch welche vorhanden sind.“ So sieht das auch Marko Dziallas vom Architekturnetzwerk Ostmodern. Die Gebäude aus den 60er- und 70er-Jahren seien wertvolle Ressourcen. Nicht nur der Abriss des Hochhauses an der Könneritzstraße sei deshalb schade. Auch im alten Telegrafenamt, das derzeit abgetragen wird, um Platz für Appartements zumachen, hätte man viele Projekte ansiedeln können.

Anja Oseander von der Initiative Wohnen am Leipziger Bahnhof hofft, dass an der Leipziger Straße bald Platz für Künstler entsteht. Der Stadtrat hatte vor drei Wochen auch beschlossen, das alte Künstlerhaus wieder Kreativen zugänglich machen zu wollen.