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Türen auf in alten Industriebauten

Kultur, Wohnen, Arbeiten – für viele Nutzer ist in den Produktionshallen Platz. Dafür brauchen Investoren aber Mut.

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© René Meinig

Von Annechristin Bonß

Mit Schwung geht die Wand aus roten Klinkern in die Kurve. Sie formt ein Rund ohne Kanten und geht in den angrenzenden Gebäudekomplex über. Hoch über dem Rund thront ein Turm. Spitz läuft er gen Himmel. Ein imposanter Anblick. „Die rote Moderne“ wurden die rötlich schimmernden Wände der Konsumfabrik an der Fabrikstraße 13 in Löbtau genannt. Der Komplex aus den späten 1920er-Jahren sollte nicht nur zweckmäßig sein – als Standort für die Produktion von allerlei Genussmitteln. Er sollte auch schön sein.

Von der Schönheit ist nur die Außenhülle geblieben. Seit 1991 steht der Komplex leer und verfällt. Investoren haben sich über die Jahre nicht an das Gebäude getraut, auch weil die Denkmalschutzauflagen enorm sind. Eine Kartbahn hat schon vor Jahren dichtgemacht. „Schade, dass die Bauten verfallen“, sagt Marc Schmidt. Der 30-jährige Landschaftsarchitekt interessiert sich für die alten Industriebauten in der Stadt. Und setzt sich für die Nutzung der imposanten Gebäude ein. Zusammen mit seinem Kompagnon, dem Architekten Jan Minack, will er den Dresdnern die teils vergessenen Bauwerke zeigen.

Am Freitag beginnt der „Industrie Kultur Parkour“. Bei zwei Stadtrundgängen und vier Führungen öffnen sich die Türen von einstigen Produktionsstätten. So auch die an der Rosenstraße. Einst wurden hier Textilien produziert. Heute haben sich auf den 9 000 Quadratmetern zwischen Freiberger und Rosenstraße sowie dem Jagdweg unzählige Künstler, Handwerker, Kleingewerbe und auch eine große Paintball-Anlage eingerichtet. Die Firma Nestler vermietet die Räumlichkeiten. Bis zu 60 verschiedene Mieter gibt es hier. Freie Flächen dafür kaum noch. „Der Standort ist extrem gefragt“, sagt Marc Schmidt.

Die beiden Fans der Industriekultur engagieren sich im Verein Konglomerat. Der hat in der ehemaligen Fabrik eine offene Werkstatt eingerichtet. Wer zum Beispiel etwas zu reparieren hat, einen Prototypen für eine Geschäftsidee oder eigene Möbel bauen will, ist hier richtig. Kulturelle und handwerkliche Bildung steht im Mittelpunkt. Eine Kombination, die zum Gebäude passt. So wie früher hier produziert wurde, wird es heute auch noch getan. Und das zu günstigen Preisen. „Wir zahlen die Hälfte der Dresdner Standard-Gewerbemiete“, sagt Marc Schmidt.

Dafür nehmen die Mieter in Kauf, dass sie nicht in einer topmodernen und sanierten Hülle sitzen. Heizung und Wasser laufen, der Müll wird abgeholt, auch Internet gibt es. „Was fehlt, ist jemand, der sich kümmert“, sagt der Architekt. Jemand, dem die alten Bauten am Herzen liegen und der darauf achtet. Ein einheitlicher Name wäre auch gut. „In Leipzig klappt das schon super“, sagt Jan Minack. Die Spinnerei in Leipzig sei Vorzeigebeispiel: jung, hip, innovativ. From Cotton to Culture ist das Motto in der Alten Fabrik. Galerien und Ausstellungen locken die Laufkundschaft an, Künstler probieren sich aus. Selbst übernachten können Besucher hier. „So etwas wäre auch für Dresden schön“, sagt Marc Schmidt.

Ein Beispiel in diese Richtung gibt es hier bereits. Die einstige Druckerei „Völkerfreundschaft“ auf der Riesaer Straße in Pieschen hat 22 Wohnungen und 66 Ateliers. Bis zu 150 Menschen leben und arbeiten hier. Die Mitglieder in dem gleichnamigen Verein haben viel in Eigenregie am Gebäude gemacht. Wer hier mietet, zahlt vergleichsweise wenig. Und auch die Stadt geht mit gutem Beispiel voran. Das Kraftwerk Mitte wurde aufwendig saniert. Auch hier sind viele der kleinen und großen Flächen bereits vergeben. Theater, Jungunternehmer und Firmen haben sich angesiedelt. „Der Erfolg motiviert vielleicht auch die Investoren an anderen Standorten“, sagt Marc Schmidt.

Dabei machen die beiden Initiatoren der Tour durchaus auch Kompromisse. Wo sich kein alternativer Kulturstandort umsetzen lässt, können durchaus moderne und teils hochpreisige Lofts entstehen. So wie in der Bienertmühle. „Hauptsache, die Gebäude verfallen nicht“, sagt Jan Minack. Auch Standorte für neue Industrie und Forschung wären möglich. So das alte Universelle-Werk auf der Zwickauer Straße, das seit diesem Jahr zum neuen Leichtbau-Campus in Dresden umgebaut wird. Schon bald sollen die ersten kleinen Ausgründungen hier einziehen.

Informationen zu Programm, Preisen und Anmeldung der Industrie Kultur Parkour gibt es auf der Website.