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Träume im Sperrgebiet

„Birkenbiegen“ am Theater Bautzen: souveränes Spiel mit Ost-West-Klischees.

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© Miroslaw Nowotny

Von Rainer Kasselt

Bautzen. Die 17-jährige Ruby ist im Westen geboren. Ihre Eltern Sabine und Volker verließen nach der Wende die Lausitzer Heimat, um in Bayern ihr Glück zu finden. Träumten von der Dachterrasse des Lebens und machten sie doch nur sauber. Sind wie so viele Ostler drüben nie richtig warmgeworden. Jetzt kommen sie zurück und wollen ihre Erbschaft – Haus und riesiges Grundstück an der Lausitzer Seenplatte - zu Geld machen. Möchten eine noble Strandbar errichten. Sie müssen Grund und Boden mit der buckligen Verwandtschaft teilen. Mit Sabines resoluter Schwester Vera und deren arbeitslosem Mann Peter, der sich als Internet-Händler ein paar Euro dazuverdient.

Am Wochenende hatte Oliver Bukowskis Komödie „Birkenbiegen“ im Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen ihre deutschsprachige Premiere. Der Cottbuser Autor erzählt eine Ost-West-Familiengeschichte vor dem Hintergrund aktueller politischer Auseinandersetzungen. Im Gespräch mit der Zeitschrift Theater der Zeit spricht er über Ängste und Fremdenfeindlichkeit vieler Bürger „vom Mittelstand abwärts“.

Die Rückkehrer und die Dagebliebenen raufen sich mühsam zusammen, es fließt viel Bier. Das gemeinsame Haus soll zum Generationenhof ausgebaut werden. Wenn sich Schwestern und Schwager in die Haare kriegen, geht die altersweise Großmutter dazwischen. Auf Oma hören alle. Ihre bodenständigen Sprüche begeistern das Publikum. „Generationenhof? Je mehr Leutchen sich ein Klo teilen, desto glücklicher sindse“, spottet sie. Bukowski, 56, der mehr als 30 Stücke schrieb, schaut den Leuten aufs Maul. Er hat ein Herz für die sozial Schwachen und Abgehängten. Seine Sprache ist bissig, zupackend, witzig, melancholisch und dialektgefärbt. Bukowski spielt souverän mit Ost-West-Klischees. Die Ostseele wird nicht gestreichelt, aber sie bekommt viel zu lachen. Manchmal etwas plakativ, manchmal kritisch und subversiv. Sinnentleerte Werbeslogans wie „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause“ werden ebenso aufgespießt wie Entlassungstexte: „Nehmen Sie es nicht persönlich, sehen Sie es als Chance“.

Nichts ist sicher, alles wankt

Regie führt Intendant Lutz Hillmann. Seine turbulente und temporeiche Inszenierung reichert mit Videoeinspielen und kontrapunktischer Musik das Geschehen an. Das farbige Bühnenbild von Katharina Lorenz vermittelt Idylle mit Hollywoodschaukel, Bierkasten und Wäscheleine. Das Schild „Betreten verboten! Lebensgefahr!“ weist auf die Nähe zum Ufer hin, das urplötzlich ins Rutschen gerät. Nichts ist sicher, alles wankt und schwankt. Aus Bauland wird Sperrgebiet. Der Traum vom dicken Geschäft geht baden.

Die Aufführung meistert den Spagat zwischen Groteske und Gegenwartsdrama. Keine Figur wird in die Ecke gestellt, keine diffamiert, jede hat ihr Päckchen zu tragen, sucht ein Stückchen Zukunft. Aus dem guten Bautzener Ensemble ragen zwei Darsteller heraus. Jan Mickan zeigt die Figur des arbeitslosen Peter als Verlierer der Einheit, verachtet selbst von der eigenen Familie. Doch er bewahrt seine proletarische Würde, lässt sich nicht unterkriegen. Lisa Lasch spielt aufgedreht und schräg den Teenager Ruby. Mit ihrer Handy-Kamera wird sie zur rasenden Reporterin. Ironisch schlüpft sie in Pionierbluse mit blauem Halstuch. Einerseits gruselt ihr vor dem Osten, andererseits ist sie neugierig auf das Land ihrer Eltern. Sie befreundet sich mit dem schwulen Sohn der Ostfamilie. Dieser Karl, gehemmt und gedemütigt, taut an ihrer Seite auf. Als Ruby rauskriegt, dass er von Rechtsradikalen verprügelt wurde, hüllt sie sich in eine Burka, improvisiert aus einer Deutschlandfahne, und wird von Neonazis vergewaltigt und krankenhausreif geschlagen. Regisseur Hillmann zeigt diese brutale Szene als Videoaufnahme.

Stück und Inszenierung setzen ihre Hoffnung auf die jungen Leute. Für Ruby und Karl, die beiden 17-Jährigen, wird eine verbotene Insel zum Sehnsuchtsort, wo sie von der Utopie einer gerechten Welt träumen. Sie wollen weg aus der Wirklichkeit mit „Bergbaurenten für die Alten, Crystal für die Jungen“. Am Ende heulen sie wie Wölfe den Mond über der Lausitz an, stoßen ausgelassen Huuuh-Schreie aus. Frei und wild wie Wölfe wollen sie sein. Nicht auszuschließen, dass sie eines Tages wie die Alten mit den Wölfen heulen.

Wieder am 1. Dezember, 19.30 Uhr, Kartentelefon: 03591 584270