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Therapie mit Pferdestärke

Dagmar Ruppert behandelt auf ihrem Hof Kinder mit Handicap. Statt Tabletten setzt sie auf tierische Hilfe.

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© Daniel Schäfer

Von Katarina Gust

Rosenthal. Strahlend sitzt Tim im Sattel. Der Fünfjährige darf heute auf Chayenne reiten. Liebevoll streicht der Junge dem Pferd übers Fell, spürt die Muskeln, die Wärme. Kuscheln mit Chayenne, darauf freut sich Tim die ganze Woche. Denn die Stunden mit dem Pferd sind für ihn wie Medizin – nicht nur sprichwörtlich. Der Fünfjährige leidet unter einem Gendefekt. Seine Entwicklung ist in allen Bereichen verzögert. Was andere Kinder in Tims Alter schon können, muss er noch lernen – mithilfe von Chayenne und ihrer Besitzerin Dagmar Ruppert.

Die 48-Jährige betreibt den gleichnamigen Natur- und Reiterhof in Rosenthal. Neben ganz normalen Reitstunden oder Reiterferien setzt Dagmar Ruppert auf ein ganz besonderes Konzept. Als gelernte Heilerziehungspflegerin bietet sie eine tiergestützte Therapie für Kinder und Jugendliche. Das heilpädagogische Reiten soll Kindern und Jugendlichen helfen, die einen besonderen Unterstützungsbedarf in den Bereichen motorische, sozial-emotionale und geistige Entwicklung haben. Dazu zählen beispielsweise Kinder, die unter der Aufmerksamkeitsdefizitstörung ADHS leiden. Ihnen fällt es schwer, sich auf eine Sache zu konzentrieren. Sie kämpfen mit körperlicher Unruhe, hören nicht zu oder schweifen gedanklich ab. Beim therapeutischen Reiten werden genau diese Defizite behandelt. Schon Dreijährige können bei Dagmar Ruppert aufs Pferd steigen. Insgesamt elf Pferde leben auf ihrem Hof in Rosenthal. Außerdem ein paar Pensionspferde. Die Tiere, mit denen Dagmar Ruppert arbeitet, gehören zur speziellen Rasse der Appaloosa. Pferde, die ursprünglich von den Indianern gezüchtet wurden. „Sie sind im Gelände schnell und wendig, vom Gemüt her aber sehr geduldig, kontaktfreudig und ruhig“, sagt Dagmar Ruppert. Diese Gelassenheit, die die Tiere ausstrahlen, sei wichtig bei der Therapie. Zwischen Pferd und Patient soll sich eine enge Bindung aufbauen.

Deshalb gehört nicht nur Reiten zur Behandlung. Die meisten der jungen Patienten, die nach Rosenthal kommen, machen alles mit, was zur Arbeit mit Pferden dazu gehört: Stallarbeit und Weidepflege zum Beispiel. Auch Voltigieren steht auf dem Plan. Dabei werden bestimmte gymnastische Übungen oder auch Geschicklichkeitsspiele auf dem Rücken des Pferdes ausgeübt. „Das fördert den Gleichgewichtssinn“, erklärt Dagmar Ruppert. Der monotone Gang des Pferdes, der immer gleiche Bewegungsrhythmus wirke zudem lockernd, ausgleichend und sogar angstlösend. Körper und Seele werden damit gleichermaßen behandelt.

Kinder haben oft soziale Defizite

Dagmar Ruppert sitzt selbst seit Kindheitstagen auf dem Pferd. Die 48-Jährige hat in Wehlen auf einem Pferdehof gearbeitet. Dann lockte die Selbstständigkeit. „Ich habe in der gesamten Region nach einem passenden Hof für meine Familie und die Pferde gesucht“, sagt sie. In Rosenthal sei sie 2003 fündig geworden. Die ausgebildete Heilerziehungspflegerin war bereits in der Schule für Erziehungshilfe auf dem Pirnaer Sonnenstein tätig. Auch mit Senioren im Pflegeheim hat sie schon gearbeitet. „Heilpädagogik ist so vielseitig“, sagt Dagmar Ruppert.

Genau wie ihre Patienten. Etwa 40 Familien suchen regelmäßig bei Dagmar Ruppert Hilfe. Kinder mit körperlichen Handicaps sind darunter. Den Großteil machen jedoch Jugendliche mit sozialen Defiziten aus. „Viele wurden schon auf Tabletten eingestellt“, sagt Dagmar Ruppert und fügt ein „Leider“ hinten an. Die Pillen würden vielleicht die Symptome lindern, nicht aber die Ursache der Erkrankungen. „Genau hier setze die Heilpädagogik an. Nicht wenige der jungen Patienten hätten anfangs Angst vor den Pferden. „Und trotzdem setzen sie sich drauf“, erzählt die 48-Jährige stolz. Dagmar Ruppert staune regelmäßig, welche Entwicklung die Kinder und Jugendlichen auf ihrem Hof machen. Viele beginnen die Therapie im Vorschulalter und bleiben bis zur Pubertät. „Die Kinder haben am Ende ein ganz anderes Selbst- und auch Körperbewusstsein“, erklärt sie.

Eine Entwicklung, die auch bei Tim zu erkennen ist. Seit eineinhalb Jahren kommt der Fünfjährige nach Rosenthal. Regelmäßig sitzt er auf Pferd Chayenne. Mal liegt er auf ihrem Rücken, mal sitzt er rückwärts darauf. Gleichgewicht halten, sich auf die Übungen konzentrieren, all das muss Tim gleichzeitig können. „Das Training fordert und fördert ihn gleichzeitig“, sagt Dagmar Ruppert, die sich über jeden noch so kleinen Erfolg freut. Sorgen bereitet der Pferdebesitzerin derzeit ein anderes Thema. Aufgrund der Trockenheit im Sommer wird das Heu für ihre Tiere knapp. „Wir suchen händeringend nach Weiden in Rosenthal, die wir pachten oder kaufen können“, klagt sie. Vor allem für die Sommermonate. Bisher stehen ihre Tiere auf Weiden im Bielatal. Der Weg dorthin sei für die Patienten aber nicht immer einfach. „Wir hoffen deshalb auf die Unterstützung aus der Gemeinde“, sagt Dagmar Ruppert, die für jede Heuspende dankbar ist.