Merken

Stadtchef im Ehrenamt

Als Unternehmer vertretungsweise Bürgermeister zu sein, ist ein Kraftakt. Wie das in Rothenburg und Niesky gelingt.

Teilen
Folgen
© Jens Trenkler

Von Carla Mattern

Niesky/Rothenburg. Das große Händeschütteln und die Dankesreden für den Vertretungseinsatz durch Hartmut Steinert und die Unterstützung dafür durch die Rathausmitarbeiter bleiben am Mittwoch in Rothenburg aus. Denn diese Stadtratssitzung haben Bürgermeisterin Heike Böhm und das Verwaltungsteam vorbereitet, so wie es normalerweise ist. Und der CDU-Stadtrat Hartmut Steinert liest in diesen Tagen die Beschlussvorlagen und stimmt sich darüber mit den Kollegen aus der Fraktion ab, so wie meist. Doch was ist schon normal, wenn ein hauptamtlicher Bürgermeister für einige Woche den Arbeitsplatz im Rathaus tauschen muss mit einem Zimmer im Krankenhaus und der Reha-Einrichtung?

Hartmut Steinert (57) ist seit 40 Jahren Orthopädie-Schuhmacher in Rothenburg. Der Selbstständige ist außerdem CDU-Stadtrat und stellvertretender Bürgermeister in seiner Heimatstadt.
Hartmut Steinert (57) ist seit 40 Jahren Orthopädie-Schuhmacher in Rothenburg. Der Selbstständige ist außerdem CDU-Stadtrat und stellvertretender Bürgermeister in seiner Heimatstadt. © André Schulze

Dann sind die Stellvertreter gefragt. Im Rothenburger Fall kam das von jetzt auf sofort. „Ich bekam einen Anruf aus dem Rathaus mit der Info, dass die Bürgermeisterin auf dem Weg ins Krankenhaus ist“, sagt Hartmut Steinert. Dass der Ausfall länger dauert, war da noch nicht absehbar. Nun ist Hartmut Steinert als Orthopädie-Schuhmachermeister selbstständig und kann sich als sein eigener Chef auch mal auf den Weg ins Rathaus machen, wenn es dringend ist. Und das war es in den Vertretungswochen einige Male. Beispielsweise, als es darum ging, einen Auftrag für weitere Bauarbeiten am Sportkomplex auszulösen. Im Rathaus hat sich der 57-Jährige alles genau erklären lassen - und schließlich die Vergabe mit einem Wert von 64 000 Euro unterschrieben. „Die hätten dort die Geigen eingepackt und es wäre nicht weitergegangen“, sagt Hartmut Steinert. Seine erste Stadtratssitzung vorzubereiten wurde auch ein Lauf durch das Rathaus, bei dem er sich gemeinsam mit den Mitarbeitern vorbereitete. Dafür ist er dankbar, dass sie sich die Zeit nahmen. Aufgeregt sei er auch in die Bürgerversammlung hineingegangen, in der es unter anderem um den neuen Standort für die Oberschule ging. Aber auch ganz praktische Fragen trieben ihn um in seiner Zeit als Rothenburger Bürgermeister: Was ist, wenn so viele Einwohner zur Sitzung kommen, dass die Stühle nicht reichen?

Zwei Monate als Stellvertreter für Heike Böhm waren zwar anstrengend, aber auch bereichernd. In Erinnerung wird bleiben, wie das Feuerwerk fürs Sommerfest gerettet wurde, oder der ganz andere Blick auf den Festumzug, wenn man als Bürgermeister alle Teilnehmer mit Handschlag begrüßt, statt das Ereignis zu organisieren, der Satz „Wir lassen euch nicht im Regen stehen“ zum Sportverein beim Thema Sportplatz oder auch die Sorgen, als die Hochwasserwarnung kam. Froh ist der Unternehmer, dass seine Kunden trotzdem zur Stange gehalten haben und eben ein zweites Mal wiederkamen, wenn außer der Reihe die Ladentür an der Bahnhofstraße geschlossen und der Schuhmacher statt in seiner Werkstatt im Rathaus war. Auch wenn die Feuerprobe bestanden ist, mal ein Seminar in Sachen Bürgermeistervertreter will Hartmut Steinert unbedingt absolvieren.

Auch der Nieskyer Vertreter der Oberbürgermeisterin arbeitet selbstständig. Frank Mrusek ist Inhaber einer Versicherungsagentur - allerdings hat er zwei Mitarbeiterinnen. Und in die Stellvertreterrolle ist er schon in der Rückert-Ära geschlüpft - mit rechtzeitiger Ansage, wie er sagt. Im Vergleich zu dem Rothenburger Steinert, der erst seit 2014 Stadtrat ist, kennt er das Geschäft schon seit 18 Jahren und folgte seinem Fraktionskollegen Bernd Funke ins Stellvertreteramt. Mit der Oberbürgermeisterin Beate Hoffmann werden sogar die Urlaube miteinander abgesprochen, so Frank Mrusek. Auch er hat Aufgaben bewältigt, die im Nachhinein die Herzfrequenz erhöhen: beispielsweise die Architekturausschreibung fürs Eisstadion, die Wachsmannhaus-Einweihung, eine Bürgerversammlung zum Thema Ausgleichsbeiträge - bei der es nicht an Beschimpfungen mangelte - oder auch eine kurzfristig zu treffende Personalentscheidung. „Mit gesundem Menschenverstand und einer Einarbeitung durch die Rathausfachleute lässt sich das machen“, sagt Frank Mrusek. Seine Arbeit in der Agentur, die muss er nacharbeiten, aber das gehöre eben dazu.