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Spiel mit den Pfeilen

Während die Zuschauer Party machen, brauchen die Sportler volle Konzentration: Dieser Widerspruch macht Darts aus – am Wochenende auch in Riesa.

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© Michael Braunschädel / PDC Europe

Von Timotheus Eimert

Dreimal Triple 20. Die Fans jubeln, feiern und rufen: „One hundred eighty!“ Vor der Bühne steigt die Party. Wie zu Fasching tummeln sich Kobolde, Nonnen, Super-Marios, Asterix und Obelix sowie Biene Maja und die Hawaii-Urlaubscrew unter den Zuschauern. Sie alle schauen gespannt zur Bühne, nippen an ihrem Bierbecher und warten auf die nächste Triple-20, um dann wieder richtig ausrasten zu können. Drei Treffer in das Triple-20-Feld bringen 180 Punkte. Das ist die höchste Punktzahl, die ein Darts-Spieler bei einem Durchgang erreichen kann.

Gesenkter Kopf: In Runde zwei war Schluss. Max Hopp (l.), der beste Deutsche, verlor knapp mit 5:6 gegen den Briten Steve Beaton (r.).
Gesenkter Kopf: In Runde zwei war Schluss. Max Hopp (l.), der beste Deutsche, verlor knapp mit 5:6 gegen den Briten Steve Beaton (r.). © Michael Braunschädel / PDC Europe

Viele der Zuschauer in der Riesaer Arena – über das Wochenende etwa 10 000 – sind angeheitert, für sie ist es ein Gaudi. Auf der Bühne dagegen wird Hochleistungssport betrieben. Die Spieler brauchen extreme Konzentration, um aus 2,37 Metern Entfernung auf die 34 Zentimeter große Scheibe zu werfen. Ihr Ziel dabei: Die Punktzahl von 501 so schnell wie möglich auf 0 zu reduzieren. Zwei Spieler werfen abwechselnd drei Pfeile, die sogenannten Darts. Die erzielte Punktzahl wird von der Restpunktzahl abgezogen. Wer zuerst auf null ist, hat ein sogenanntes Leg gewonnen. Wer zuerst sechs Legs für sich entscheidet, gewinnt das Duell.

In Riesa tritt auch der beste deutsche Spieler an, Max Hopp ist sogar das erste Mal unter den gesetzten Teilnehmern. In der zweiten Runde muss er sich aber dem Engländer Steve Beaton geschlagen geben. Er verliert knapp mit 5:6. Hopp gilt als das größtes Darttalent in Deutschland. 2015 war der Vogtländer Jugendweltmeister. Nach seinem Spiel am Samstagabend darf er aber nicht sprechen, es ist eine der Besonderheiten dieser Sportart: Interviews gibt nur der Sieger.

Mehr als nur Kneipensport

Aber nicht nur Hopp sorgt dafür, dass Darts in Deutschland immer bekannter wird. England gilt zwar als Mutterland des Darts, weil die meisten und besten Spieler von der Insel kommen, doch die anderen Nationen holen auf. „Vielleicht wird es noch zehn, zwanzig Jahre dauern, dann haben wir die Engländer eingeholt“, sagt Robert Marijanovic. Der Freudenstädter startet auch in Riesa und gewinnt sein Qualifikationsspiel, verliert später in Runde zwei. Am wichtigsten sei die Nachwuchsarbeit, sagt er: „Je mehr junge Menschen Darts spielen, desto mehr Talente werden sich herauskristallisieren. Im Fußball zum Beispiel gibt es so viele gute Spieler, weil einfach jeder Junge Fußball spielt.“

Für manche Zuschauer in Riesa, die vor allem das Party-Flair genießen, mag es so aussehen, als müsste man für Darts nicht viel können. Aber das Spiel hat weniger mit Glück als vielmehr mit Können zu tun.

Bereits 1908 wurde Darts in England per Gerichtsbeschluss zum Geschicklichkeitsspiel erklärt, mit der Folge, dass es in Pubs gespielt werden durfte. Vorher galt es als Glückspiel und war in den Kneipen verboten. Es war sozusagen der Beginn für die Entwicklung dieses Sports. Noch heute fangen die meisten Spieler in der Kneipe um der Ecke mit Darts an.

Mit Kneipensport hat es aber kaum noch etwas zu tun. Die schweren, meist übergewichtigen Männer vom Typ Türsteher trainieren mehrmals täglich an der Scheibe. „Jeder hat seinen individuellen Trainingsplan“, sagt Marijanovic. „Ich trainiere derzeit ganz viele Finishs, also das Leg zu beenden. Weil ich da noch Probleme habe, die entscheidenden Phasen mitzunehmen.“ Der 38-Jährige spielt seit 25 Jahren Darts. Angefangen hat er in der Kneipe seiner Eltern: „Ich habe ein bisschen auf dem Darts-Automaten rumgeballert.“ Vor fünf Jahren qualifizierte er sich überraschend für die WM. „Seitdem betreibe ich es richtig ernsthaft.“

Die Weltmeisterschaft wird jedes Jahr im Alexandra Palace ausgespielt, von den Fans nur liebevoll Ally Pally genannt. 2  500 Zuschauer finden in dem Palast in London ihren Platz. Was das Wembley-Stadion für Fußballer ist, ist der Ally Pally für Darts-Spieler. „Das ist für jeden das Ding. Da will jeder hin, davon träumt jeder, auch ich nach wie vor“, meint Marijanovic. Zweimal hat er sich bereits für die WM qualifiziert, und auch in diesem Jahr will er es wieder schaffen. „Man kommt an und ist im Spielerhotel und sieht diese ganzen Größen wie Gary Anderson, Peter Wright, Michael van Gerwen. Die sitzen da und trinken Tee, schauen einen an, nicken und dann weiß man: Okay, hier gehöre ich dazu.“

Anderson, Wright, van Gerwen sind absolute Weltklasse. Dazu gehört Marijanovic noch nicht. Hopp ist auf einem guten Weg an die Spitze. Dass die Deutschen da noch nicht angekommen sind, liegt vor allem daran, dass viele Spieler weiter arbeiten gehen. „Ich bin Lagerleiter in einer Fabrik“, sagt Marijanovic. Ohne die Rückendeckung seines Chefs würde er es deshalb nicht schaffen, regelmäßig an Turnieren teilzunehmen. „Ich habe den Vorteil, dass mein Arbeitgeber mitmacht“, sagt er. Allerdings muss er unbezahlten Urlaub nehmen, wenn er Darts spielen will. „Ich werde mir überlegen, ob ich es Vollzeit mache.“

Damit würde Marijanovic den nächsten Schritt vollziehen, wie er selbst sagt. Klein angefangen hat jeder. „Man merkt es ja selber, ob man ein bisschen Talent hat“, meint er. „Dann fängt man sich an zu interessieren, sieht das vielleicht im Fernsehen und spielt selber mal ein kleines Turnier.“ Die Tippel-Tappel-Tour eben, eine Abkürzung gibt es nicht, auch der beste Spieler der Geschichte musste sich stetig weiterentwickeln.

Hunderttausende am Fernseher

Phil „The Power“ Taylor ist mit 16 Weltmeistertiteln der bislang erfolgreichste Darts-Spieler. Der Engländer hat die Entwicklung geprägt wie kein anderer. Er begann seine Karriere ebenfalls in der Kneipe und ist heute mehrfacher Millionär. Im Darts-Sport steckt unglaubliches Potenzial. Es werden Preisgelder von bis zu zehn Millionen Pfund (11,2 Millionen Euro) ausgeschüttet. Selbst beim Turnier der zweiten Reihe wie in Riesa gibt es insgesamt 135 000 Pfund (ca. 151 000 Euro) zu gewinnen. Der Sieger bekommt insgesamt 25 000 Pfund (ca. 28 000 Euro). Die vorige WM verfolgten vom Auftakt bis zum Finale durchschnittlich 450 000 Zuschauer an den Bildschirmen.

„Die Leute haben immer mehr Interesse an Darts“, sagt Marijanovic. Er wünscht sich, dass sie erkennen, wie viel Arbeit hinter dem Spektakel steckt. „Sie müssen keine teuren Sky-Abos abschließen, um irgendwelche gegelten Fußballer mit rosa Schühchen zu sehen, sondern einfach mal Darts schauen.“ Wie beispielsweise jedes Jahr in Riesa, wenn die Fans an ihrem Bierbecher nippen, gespannt auf die Bühne schauen, auf die nächste Triple-20 warten, um dann „One hundred eighty“ rufen.