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Sieben Minuten Todeskampf

Die Untersuchungen im Fall Khashoggi deuten auf ein in Saudi-Arabien geplantes Mordkomplott hin.

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© dpa/Hurriyet via AP

Von Martin Gehlen, SZ-Korrespondent

Noch hält das Weiße Haus eisern an dem saudischen Kronprinzen fest. Mohammed bin Salman habe am Telefon „total bestritten, irgendeine Kenntnis von dem zu haben, was sich in dem Konsulat in der Türkei abgespielt hat“, twitterte US-Präsident Donald Trump, warnte vor falschen Vorverurteilungen und stellte „in Kürze“ Antworten in Aussicht.

US-Außenminister Mike Pompeo ließ sich derweil jovial lächelnd mit dem Thronfolger in dessen Palast in Riad fotografieren. Nach dem Gespräch gab sich Pompeo demonstrativ gelassen und erklärte, die saudische Seite habe eine zeitnahe und transparente Untersuchung zugesagt – eine Botschaft, die er am Mittwoch bei seinem Zwischenstop in Ankara auch dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan übermittelte.

Doch das Verschwinden des Journalisten und Regierungskritikers Jamal Khashoggi ist längst kein diplomatischer Routinefall mehr, der in absehbarer Zeit zu den Akten gelegt werden kann. Je mehr gruselige Details ans Tageslicht kommen, desto mehr verdichtet sich der Verdacht, der Thronerbe Mohammed bin Salman könnte unmittelbar in den Mord verwickelt sein. Auch die offenbar von seinen Beratern erwogene neue Strategie, die Bluttat in dem Konsulat jetzt doch zuzugeben, sie aber als eine aus dem Ruder gelaufene Operation schurkenhafter Geheimdienstler hinzustellen, ist mit den jüngsten Enthüllungen nicht mehr vereinbar.

Nach Tonbandaufnahmen von den letzten Minuten Khashoggis, die türkische Ermittler einheimischen Medien zugänglich machten, war die ganze Operation von vornherein ein geplanter Mord. Nach Angaben der Ohrenzeugen ist auf den Bändern zu hören, wie Khashoggi von dem Büro des Generalkonsuls in einen Nebenraum bugsiert und auf einen Tisch geworfen wurde. Unter infernalischem Geschrei des Opfers begannen die Henker, ihm bei lebendigem Leib die Finger abzuschneiden. Generalkonsul Mohammed al-Otaibi ist zu hören, wie er die Schergen aufforderte, „macht das draußen, ihr bringt mich in Schwierigkeiten“. Falls er in Saudi-Arabien am Leben bleiben wolle, wenn er zurückkomme, solle er den Mund halten, beschied einer aus dem 15-köpfigen Killerkommando den Diplomaten. Al-Otaibi verließ am Dienstag die Türkei, um nach Saudi-Arabien zurückzukehren. Seine Residenz soll jetzt ebenfalls, wie zuvor das innen komplett neu gestrichene Konsulatsgebäude, auf Spuren durchsucht werden.

Das Augenmerk der Fahnder richtet sich nach Angaben der Washington Post vor allem auf Salah Muhammad Al-Tubaigy, den mitangereisten, hochrangigen Gerichtsmediziner, sowie auf drei Personen, die zur Sicherheitsentourage des Kronprinzen gehören, und auf einen fünften Mann, einen möglichen persönlichen Leibwächter des 33-jährigen Königssohnes.

Forensiker als zentrale Figur

Als zentrale Figur gilt der Forensiker Al-Tubaigy, der in Glasgow studierte. Er ist Dozent an der „Naif Arab University for Security Sciences“ in Riad und arbeitet mit militärischem Rang im Innenministerium. Der Spezialist hat das nötige Wissen, an einem Tatort die Spuren gründlich zu beseitigen. Auf seine Initiative hin schaffte das Königreich 2014 ein mobiles, auf einem Tieflader montiertes Autopsie-Labor für den Hadsch und für den Einsatz bei Gewaltverbrechen an. In einem Interview brüstete sich der 47-jährige Mediziner, sein Labor könne in sieben Minuten eine erste Analyse der Todesursache eines Pilgers sowie der Kriminalpolizei „eine Autopsie in Rekordzeit“ liefern.

Auch die beiden am 2. Oktober nach Istanbul eingesetzten Flugzeuge legen einen Zusammenhang zwischen dem Mordkommando und dem Königshaus nahe. Nach Angaben des Wall Street Journal wurden die Jets im November 2017 beschlagnahmt, als Mohammed bin Salman rund 350 reiche Geschäftsleute im Ritz-Carlton einsperren und ihnen Vermögenswerte im Wert von 35 Milliarden Dollar abpressen ließ.

Wie das Nachrichtenportal Middle East Eye berichtet, das sich ebenfalls auf eine türkische Quelle berief, gab es keinerlei Versuche, Khashoggi zu verhören. Der Todeskampf des Gefolterten habe sieben Minuten gedauert. Der Autopsie-Spezialist Al-Tubaigy habe den Gemarterten schließlich mit der Injektion einer unbekannten Substanz zum Verstummen gebracht. Während er den Körper in Stücke schnitt, setzte der Mediziner einen Kopfhörer auf und hörte Musik. Seinen umstehenden Komplizen empfahl er, das Gleiche zu tun. „Wenn ich einen solchen Job erledige, höre ich dazu Musik. Das sollten Sie auch machen.“