SZ +
Merken

Ruhelose Weltenbummlerin

Mit Schulrussisch und viel Mut brach die Bautzenerin Edda Schlager vor 13 Jahren nach Kasachstan auf.

Teilen
Folgen
NEU!
© Uwe Soeder

Von Miriam Schönbach

Bautzen. Ihre Liebeserklärung an ihre Wahlheimat weckt Bilder. „In Almaty bin ich innerhalb einer Stunde in 3 500 Meter Höhe und die nach Wermut duftende Steppe liegt mir zu Füßen. Ich fühle mich dort sehr willkommen“, sagt Edda Schlager. Vor genau 13 Jahren hat die 45-Jährige ihre Koffer samt ihrem Schulrussisch gepackt, um in 5 000 Kilometer Entfernung über den eigenen Schatten zu springen und sich die Welt aus ganz neuen und eigenen Perspektiven anzuschauen. Inzwischen kennt sich die Journalistin in Zentralasien längst besser aus als in ihrer Lausitzer Heimat. Eines ihrer jüngsten Projekte ist ein Architekturführer durch Duschanbe, die Hauptstadt von Tadschikistan.

Diese Welt liegt für die Bautzenerin an diesem Morgen in weiter Entfernung. Zwei-, dreimal im Jahr kommt sie aus ihrer neuen Heimat – der kasachischen Hauptstadt Almaty – ins alte Leben zurück. In Bautzen besucht sie ihre Mutter, in Berlin und anderswo trifft sie sich mit Freunden, und im Brandenburgischen macht sie noch schnell ein paar Urlaubstage auf einem Reiterhof. Pferde waren schon immer ihre tierischen Lieblinge. „In meiner Schulzeit bin ich schon reiten gegangen, keine Turniere, nur zur Freude“, sagt sie.

Das ist mehr als 30 Jahre her und für die Globetrotterin eigentlich viel weiter weg als Duschanbe heute. Die Erinnerungen kommen schnell zurück. Edda Schlager redet von einem schüchternen Mädchen, das sich nach der zehnten Klasse für eine Facharbeiterausbildung in der Tierproduktion entscheidet. „Die Kühe hatten auch große, weiche Ohren, wie die Pferde“, sagt sie lachend. Ihr Lehrlingswohnheim steht mitten in der mecklenburgischen Pampa zwischen Pasewalk und Neubrandenburg. Ihre Erzählungen „zwischen einem Monat im Stall und einem Monat in der Berufsschule“ erinnern an Joachim Wohlgemuths DDR-Erfolgsbuch „Das Puppenheim in Pinnow“. Der Roman erzählt vom Ausbildungsalltag in einer LPG. Die Liebe kommt darin auch nicht zu kurz.

Für Edda Schlager aber hält das Leben eine ganz andere Wendung parat. In ihrer Nachtschicht vom 9. auf den 10. November hört sie gegen Mitternacht vom Fall der Mauer. Danach geht sie erst mal wieder melken, um sich nach getaner Arbeit in den Zug nach Berlin zu setzen. Acht Stunden später ist sie da, am Sonnabend schlendert sie dann schon durch Westberlin. Am Dienstag darauf ist sie wieder pünktlich zur Schicht im Stall – und die Welt in alle Richtungen offen. Sie weiß, „Kuhschubserin“ will sie nicht bleiben. Doch große Veränderungen kündigen sich zuweilen mit kleinen Schritten an.

Den Weg zum Journalismus findet die freie Auslandskorrespondentin schließlich über ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Agrarfachschule in Wernigerode, dem Abitur auf dem zweiten Bildungsweg und einem Geografie-Studium an der Humboldt-Universität in Berlin. Zwischendurch macht sie immer wieder Praktika bei Zeitungen, TV-Produktionsfirmen oder Verlagen. Ihr Heimweh kuriert sie mit einem halbjährigen Aufenthalt auf einem Ziegenhof mitten in Frankreich.

Ohne Sprachkenntnisse fährt sie 1997 dort hin, mit fast perfektem Französisch und dem Einmaleins in der Käsemacherei kehrt sie zurück. „Dieser Aufenthalt war für mein weiteres Leben entscheidend“, sagt Edda Schlager rückblickend. Jetzt weiß sie, dass sie in der Fremde Wurzeln schlagen kann, wenn man sie lässt. Vielleicht fällt ihr deshalb ihr folgendes Abenteuer leichter. Mit der Öffnung Russlands Mitte der neunziger Jahre kramt sie die Russisch-Kenntnisse aus der Schule heraus. Sie reizt die Region, die Sprache. Doch statt nach Russland bringt der Zufall sie nach Kasachstan. Aus dem halbjährigen Praktikum ist mittlerweile ihr Alltag geworden.

Heute ist Edda Schlager eine von drei deutschsprachigen Journalisten, die aus zentralasiatischen Ländern Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan berichten. Zweimal war sie auch schon als Reporterin in Afghanistan, meistens hat sie ihren Fotoapparat und das Mikrofon dabei. Ihre Geschichten sind unter anderem beim Deutschlandfunk zu hören. Ihr Lebensmittelpunkt ist die Zwei-Millionen-Stadt Almaty in Kasachstan. Im Vielvölkerstaat leben 120 Nationalitäten. „Ihre große Offenheit ist für mich faszinierend“, sagt die Auslandskorrespondentin. Aufgrund ihrer guten Kenntnisse begleitet sie immer wieder Filmteams bei Dreharbeiten durch ihre Wahlheimaten.

Eine dieser Lieblingsorte ist durch die Arbeit am Architekturführer die Stadt Duschanbe geworden. Die Hauptstadt Tadschikistans mit 780 000 Einwohnern beeindruckt durch die persische Geschichte genauso wie durch pure Sowjetarchitektur von den zwanziger Jahren über den Neoklassizismus unter Stalin bis zu Bauten aus den letzten Jahren der UdSSR, zu der Tadschikistan bis zu seiner Unabhängigkeitserklärung 1991 gehörte. Dieser Zeitgeschichte aus Beton droht nun der Abriss für neue Wolkenkratzer-Visionen.

Vielleicht beschreibt Edda Schlagers Buch ein letztes Mal eine Baukultur, die bald verschwunden ist. Vergessen wird Edda Schlager ihre Zeit, ihre Erlebnisse, ihre Begegnungen in Zentralasien wohl nie. „Ich kann keine Antwort sagen, auf die Frage: Wie lange willst Du noch bleiben. Ein bisschen will ich noch für meine Region kämpfen, damit sie etwas mehr wahrgenommen wird“, sagt die Journalistin. Und noch ein zweites Projekt reizt sie. Ein Buch über ihre Zeit in Zentralasien will sie schreiben. Dafür wird sie sich die Welt in 5 000 Kilometer Entfernung weiter aus ungewöhnlichen Perspektiven anschauen. Denn über ihren Schatten muss sie schon lange nicht mehr springen.

Edda Schlager, Architekturführer Duschanbe, DOM publishers-Verlag 2017.