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Revolution mit Lynchmord

Es beginnt mit Versammlungen auf dem Altmarkt. Anders als 1989 bleibt die Revolution vor 100 Jahren nicht gewaltlos.

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© Sammlung Naumann

Von Ralf Hübner

Das Gebäude am Wettiner Platz hat die Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg überdauert. Dort sind während der Novemberrevolution im Januar 1919 zwölf Menschen im Feuer eines Maschinengewehrs gestorben, als Demonstranten versuchten, Redaktion und Verlag der „Dresdner Volkszeitung“ zu stürmen. In dem Haus wohnte der Gewerkschafter, SPD-Politiker und Kriegsminister Gustav Neuring, der Wochen später von Demonstranten gelyncht wurde. Dabei war die Revolution in Dresden lange friedlich verlaufen. Vor 100 Jahren begannen sich im Oktober 1918 die Ereignisse zuzuspitzen.

„Auf dem Altmarkt hat alles begonnen“, erzählt der Gewerkschaftshistoriker Willy Buschak, der unlängst bei einem historischen Spaziergang zu einigen Stätten des damaligen Geschehens führte. „Seit Anfang Oktober hatten sich dort beinahe täglich Menschen getroffen, die sich darüber unterhielten, wie es nach dem Krieg weitergehen soll.“ Am 8. November seien es dann plötzlich sehr viel mehr Menschen gewesen, unter ihnen viele Soldaten. Ein Demonstrationszug formierte sich und zog durch die Schloßstraße über die Augustusbrücke zu den Kasernen im Norden. Weitere Soldaten schlossen sich an. Nach Verhandlungen kapitulierte sogar die Stadtkommandantur und übergab die Gewalt einem provisorischen Arbeiter- und Soldatenrat.

Schon am nächsten Tag wurden die Karten neu gemischt. Die Sozialdemokraten beriefen einen eigenen Arbeiter- und Soldatenrat mit dem späteren Ministerpräsidenten Georg Gradnauer an der Spitze. Am Abend gab es eine große Kundgebung auf dem Theaterplatz. Etwa zur gleichen Zeit konstituieren Vertreter der USPD, abgespaltene linke Sozialdemokraten, sowie die von Otto Rühle geführten „Internationalen Kommunisten Deutschlands“ (IKS) ihren „revolutionären Arbeiter- und Soldatenrat“ und fordern die Errichtung einer Räterepublik. Nur mit Mühe können sich beide Räte einigen. Am 10. November versammeln sie sich im Zirkus Sarrasani. Der gemäßigte USPD-Führer Hermann Fleißner verkündet das Ende der Monarchie. Einige Teilnehmer ziehen zum Schloss. Eine kleine Gruppe wird eingelassen und hisst am Georgentor die rote Fahne. „Bei der Revolution in Dresden spielte das Schloss kaum eine Rolle“, sagt Buschak. Die Hoflieferanten in der Schloßstraße montierten ihre Schilder ab. Das wars.“ Am 13. November dankt König Friedrich August III. ab.

Am 24. November wird von den Dresdner Arbeitern abermals ein neuer, 50-köpfiger Arbeiter- und Soldatenrat gewählt. Die SPD erzielt die Mehrheit. Sitz ist das Ständehaus am Schlossplatz, das jetzige Oberlandesgericht. Der Arbeiter- und Soldatenrat hatte für Ordnung und Sicherheit sowie für Lebensmittel zu sorgen und die Wahlen für die Nationalversammlung vorzubereiten. Er musste die heimkehrenden Soldaten empfangen und integrieren.

Am 10. Dezember kommt es im Automatenrestaurant des Palasthotels Weber am Postplatz zu ersten Gewalttaten. „Ein Soldat wollte dort Zigaretten verkaufen und wird rausgeschmissen“, erzählt Buschak. Er kommt mit anderen zurück. Sie schlagen alles kurz und klein. Es gibt einen Toten. Fortan reißt die Gewalt nicht mehr ab. Nach einer Kundgebung im Zirkus Sarrasani war am 10. Januar 1919 ein Teil der Menge vor das Gebäude der „Dresdner Volkszeitung“ gezogen, das militärisch bewacht wurde. Die Tore wurden aufgedrückt. Im Hof stand ein Maschinengewehr. Neben den 12 Toten gab es auch 52 Verwundete.

In dem Haus befand sich auch die Zentrale der SPD. In der 4. Etage des Hauses wohnte Gustav Neuring, seit Februar 1919 Minister für Militärwesen. Als bekannt wird, dass den Kriegsgeschädigten und Verwundeten die Pensionen gekürzt werden sollen, ziehen diese am 12. April vor das Kriegsministerium im Blockhaus. Das Gebäude wird mit einem Maschinengewehr beschossen und Neuring von der Augustusbrücke in die Elbe geworfen. Der 39-Jährige stirbt, von Gewehrkugeln getroffen. „Dessen Tod hat für die Gewerkschaften etwa die Bedeutung, wie bei den Kommunisten die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg“, sagt Buschak. Die Revolution habe der Dresdner Arbeiterbewegung einen Impuls gegeben. Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder sei von 1917 bis 1921 von 50 000 auf 180 000 gestiegen. „Die Stadt hatte die meisten organisierten Beschäftigten und eine der stärksten Arbeiterbewegungen in Deutschland. “