Merken

Reservearmee auf Rädern

Die Fahrer des Lieferdienstes Foodora werden aus der Ferne gesteuert – und gefeuert. In ersten Städten beginnt der Arbeitskampf.

Teilen
Folgen
© DAVIDS/ Florian Boillot

Von Jonas Gerding

Wenn die Tage kurz und es draußen nass und kalt ist, bestellen viele ihr Essen lieber bequem an die Wohnungstür. Seit einem Jahr machen sich in Dresden auch Radfahrer zu ihnen auf den Weg, ausgestattet mit rosafarbenen Foodora-Boxen. Sie transportieren die Gerichte von Restaurants, die keinen eigenen Lieferdienst unterhalten. Doch auch nicht jeder der Fahrer will bei solch widrigen Umständen raus auf die Straße. Und so hat Foodora im vergangenen Winter die Belegschaft kurzerhand auf 60 Personen aufgestockt. Völlig überzogen sei das gewesen, berichtet einer der Fahrer. Ein Viertel von ihnen hat Foodora im Frühjahr darauf wieder gefeuert. Sorry, kein Bedarf mehr.

Seit diesem Sommer ist ein weiterer Bestellservice mit einer Radkolonne in Dresden unterwegs: Deliveroo, die sich ebenfalls der sogenannten Plattformökonomie zuordnen lassen. Immer mehr jener Geschäftsmodelle breiten sich aus, die meist keine Niederlassung vor Ort aufbauen, sondern Arbeiter über digitale Plattformen koordinieren – und oft in prekären Beschäftigungsverhältnissen halten. Als moderne Tagelöhner, wie Kritiker behaupten. Während sie in manchen Städten Deutschlands bereits den Arbeitskampf organisieren, halten sie sich in sächsischen Städten wie Dresden noch still.

Eigentlich müssen die Fahrer von Foodora über ihre Verträge Stillschweigen bewahren. Mit seinem Namen möchte einer der Fahrer daher nicht zitiert werden, der sich kritisch über die Unternehmenspraktiken wie die vergangene Kündigungswelle äußert: „Das hat gezeigt, was man als Fahrer für einen Stellenwert in dem Unternehmen hat“, sagt er und verweist auf die unsicheren Arbeitsverhältnisse: Auch nach der halbjährigen Probezeit können die Fahrer innerhalb einer vierwöchigen Kündigungsfrist entlassen werden. „Ich finde das ganz schön hart“, sagt er. „Aber es ist halt ein nützliches Mittel, um flexibel zu sein“.

Einmal die Woche tragen die Fahrer die Zeiten ein, in denen sie verfügbar sind – und bekommen dann Schichten zugewiesen: mal bereits vormittags um 11.30 Uhr, mal erst abends bis 22.30 Uhr, jeweils zwischen drei und sechs Stunden lang. 60 Kilometer für eine Schicht sind das oft, zwischen Abgasen und dem ständigen Anfahren und Abbremsen des trubeligen Stadtverkehrs. „Das kann schon mal ganz schön anstrengend sein“, sagt der Foodora-Fahrer.

Löhne nur auf dem Papier

Im Internet wirbt das Start-up mit Stundenlöhnen von 14 Euro, einschließlich Trinkgeld. Das fällt manchmal jedoch eher spärlich aus, berichtet der Fahrer: „Es gibt schon Schichten, in denen man die 14 Euro erreichen kann“, berichtet der Fahrer. „Aber normal ist das nicht“. Der vertraglich vereinbarte Stundenlohn hingegen beträgt neun Euro – plus einem zusätzlichen Euro für sogenannte „Ridercaptains“, die die Organisation der Fahrer mitverantworten. Abziehen müssen sie den Verschleiß der Fahrräder, die sie selber stellen müssen.

Bislang konnten sich viele der Fahrer auch nicht auf ein festes monatliches Gehalt verlassen. Denn wer vertraglich ein Gehalt unterhalb der 450-Euro-Grenze vereinbart hat, hat in Dresden erst seit Oktober dieses Jahres ein Anrecht auf eine Mindeststundenzahl. Zum Problem wurde das vor allem in Zeiten wie in diesem Frühjahr, in denen Foodora mehr Fahrer als nötig unter Vertrag hatte. Je weniger Schichten Foodora einzelnen Fahrern zuweisen konnte, desto geringer fiel das monatliche Gehalt der einzelnen Fahrer aus, die mitunter gerne mehr gearbeitet hätten. Jene Unsicherheit verkauft Foodora den Bewerbern als lockere Arbeitsatmosphäre ohne strikte Routine. Immerhin hat in Dresden ein Drittel der Beschäftigten einen Minijob und somit überhaupt ein halbwegs ordentliches Gehalt. Foodora interessiert sich wenig für die Lage vor Ort. Eine Niederlassung in Dresden und Leipzig existiert nicht. In Berlin hat das Start-up das Geschäftsmodell entwickelt, das nun zu möglichst geringen Kosten auf immer mehr Städte ausgeweitet werden soll. Überall laden die Fahrer die gleiche App herunter, die ihnen maschinell erstellte Routen ausspuckt. Ähnlich gehen auch andere Firmen der Plattformökonomie vor – Helpling beispielsweise, die Reinigungskräfte vermittelt, MyHammer, wo Handwerker ihre Arbeit anbieten und andere Portale für Designer, Informatiker, Anwälte, Texter und Lektoren. Digital angeheuert, hangeln sie sich oft von Auftrag zu Auftrag, arbeiten gar als „Tagelöhner“, als austauschbarer Teil einer „Reservearmee“, wie Moritz Altenried kritisiert, der an der Berliner Humboldt-Universität über die digitale Arbeitswelt forscht.

Die Stundenlöhne variieren stark, können sich auf vier Euro die Stunde oder nahezu branchenübliche Summen belaufen, hat er beobachtet. „Man kann die Löhne auf dem Papier jedoch nicht ernst nehmen“, wendet Altenried ein und verweist auf Materialkosten, unbezahlte Acquise und den mangelnden Kranken- und Urlaubsschutz. Mit auf einem Jahr befristeten Verträgen ist Foodora sogar noch „auf der sichereren Seite“, so Altenried. Beziffern ließe sich die Verbreitung des undurchsichtigen Metiers der Plattformökonomie nicht. Der Wissenschaftler ist sich jedoch in einem sicher: „Die Relevanz wird in den nächsten Jahren weiter wachsen.“

Gewerkschaften stelle das vor eine „riesige Herausforderung“, mahnt Altenried: „Die haben da einiges nachzuholen“. Der sächsische Ableger der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi möchte kein Interview zu ihrer Verantwortung für die prekär Beschäftigten geben. Mit Foodora-Fahrern gäbe es „keine Berührungspunkte“, heißt es knapp in einer Mail. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) hat das Problem immerhin erkannt und stehe in „erstem Kontakt mit ein paar Fahrern, die unzufrieden sind“. Es würde jedoch an deren Bereitschaft mangeln, sagt Volkmar Heinrich, Geschäftsführer der Region Dresden-Chemnitz. Mindestens die Hälfte der Fahrer müsse der Gewerkschaft beitreten, nennt er als Bedingung, um tätig werden zu können: „Sonst bin ich nicht legitimiert“. Dabei beweisen seine Kollegen in Köln bereits, dass es auch anders geht. Mit nur zehn der 250 Fahrer hat sich Elmar Jost von der dortigen NGG bereits zusammengesetzt und im Juli dieses Jahres im einen Kölner Betriebsrat gegründet. Sie hoffen nun, Auswüchse bei den Neueinstellungen verhindern zu können. „Widerspruch ist jeweils möglich, wenn dadurch Mitarbeiter benachteiligt werden würden“, sagt er und plädiert dafür, vorerst denjenigen mehr Arbeitszeit zuzugestehen, die bereits für Foodora tätig sind. „250 Fahrer braucht Foodora nicht, wenn mit Vollzeit-Beschäftigten gearbeitet und es Teilzeitbeschäftigte für die Überbrückung von Schwankungen geben würde“, sagt Jost.

Start-ups vergessen die Menschen

Gleichzeitig kann sich der NGG-Gewerkschafter vorstellen, von dem Prinzip der flexiblen Schichten abzuweichen. Foodora müsse zu einem gewöhnlichen Unternehmen werden, das die Krankheitstage von Mitarbeitern fair entlohne, so Jost. Er verteidigt die Fahrer gegen ein unerfahrenes Start-up und setzt durch, was ihnen nach dem Arbeitsrecht zustehen würde: ein Büro beispielsweise. Dazu wäre es mittlerweile sogar fast gekommen, wenn Foodora den unterzeichneten Mietvertrag nicht erst so spät abgeschickt hätte, dass die Frist ablief, ärgert sich Jost: „Was ich bei solchen Unternehmen vermisse, ist der Gedanke an die Menschen, die dort arbeiten“. Neulich haben sich auch Fahrer vom Konkurrenten Deliveroo an ihn gewandt. Auch für sie will der Gewerkschafter kämpfen.