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Problemfall Elbaue Pratzschwitz

Teile des Pirnaer Wohnviertels liegen im Hochwassergebiet. Anwohner hoffen bislang vergebens auf zusätzliche Hilfe, der Flutschutz lässt weiter auf sich warten.

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© Archivfoto: Norbert Millauer

Von Thomas Möckel

Pirna. Das Hochwasser traf das Eigenheimgebiet „An der Elbaue“ im Pirnaer Ortsteil Pratzschwitz in den letzen 15 Jahren zweimal besonders hart. 2002 und 2013 überflutete die Elbe heftig das Areal, vor allem die untere Häuserreihe wurde jedes Mal schwer getroffen. Noch immer kämpfen die Bewohner mit den Folgen – vor allem damit, dass eine zunächst geplante Umsiedlung scheiterte und danach zusätzliche Mittel ausblieben, um die Häuser zumindest flutsicherer zu machen. Sie hadern vor allem mit dem Freistaat Sachsen, von dem sie sich zu lange hingehalten fühlen. Viele sind auch noch immer der Ansicht, dass das Baugebiet hätte nie genehmigt werden dürfen. Ihre letzte Hoffnung ruht nun auf einem Flutschutz in Form eines Dammes, der jedoch noch Jahre brauchen wird, ehe er gebaut wird. Die SZ fasst den aktuellen Stand zusammen.

Die Elbeflut 2013 walzte auch durch das Wohngebiet „An der Elbaue“ in Pratzschwitz und ließ jede Menge Unrat zurück. Am schlimmsten hatte es die untere, zur Elbe zeigende Häuserreihe getroffen.
Die Elbeflut 2013 walzte auch durch das Wohngebiet „An der Elbaue“ in Pratzschwitz und ließ jede Menge Unrat zurück. Am schlimmsten hatte es die untere, zur Elbe zeigende Häuserreihe getroffen. © Archivfoto: Dirk Zschiedrich

Der Fall: Wie der Kampf mit den Behörden Andreas Henke zermürbt

Andreas Henke und seine Frau kauften ihr Haus an der Elbaue in Pratzschwitz 2012. Das Flutrisiko in diesem Gebiet, sagt er, sei ihm durchaus bewusst gewesen, nicht aber die Begleitumstände. Aus Unterlagen und Gesprächen habe sich kein Hinweis darauf ergeben, dass das Baurecht für das Gebiet möglicherweise aufgehoben werden und die untere, zur Elbe zeigende Reihe zu einer Wiese gemacht werden sollte.

Das hätte im schlimmsten Fall bedeutet: totaler Wertverlust des Hauses und Abriss im Falle einer erneuten Flut. Ein Jahr nach dem Kauf kam das nächste Hochwasser – und damit jede Menge Ungemach. Henke ging zunächst davon aus, dass nun jener Flutfall eingetreten sei, nach dem die untere Häuserzeile planiert wird. Henke und andere Mitstreiter hofften, dass der Freistaat Sachsen eine Umsiedlung und den Wiederaufbau der Häuser an flutsicherer Stelle finanziert. Viele Wochen machten sie nichts an den überfluteten Häusern, weil keiner wusste, was geschehen würde. Doch statt Zusagen, sagt Henke, habe sich der Freistaat immer mehr zurückgezogen.

Nichts geschah, aus der Umsiedlung wurde nichts, die Bewohner an der Elbaue wurden behandelt wie alle anderen Flutopfer auch. Das hieß: Das Land zahlt einen Zuschuss für die Beseitigung der Flutschäden. Erst Wochen nach der Flut begannen die Geschädigten, die Häuser wiederherzurichten, Henkes hauptsächlich auf eigene Rechnung. Zwar kam die Versicherung für Flutschäden auf, doch mit dem Geld tilgte Henke vor allem noch bestehende Kredite – da er aufgrund des drohenden Abrisses wegen des fehlenden Baurechts keine Perspektive für sein Haus sah und sich für diesen Fall nicht noch Jahre mit einem laufenden Kredit belasten wollte.

Vier Monate nach der Flut 2013 zogen Henkes in ihr wieder hergerichtetes Haus zurück. Hoffnung kam wenig später aus anderer Richtung: Die Stadt hatte das Baurecht für das Gebiet wiederhergestellt, die Häuser hatten nun Bestandsschutz. Ein Wegzug und ein neues Haus, sagt Henke, hätte nun erst recht niemandem mehr in Rechnung gestellt werden können. Immerhin weichte Pirna das Baurecht soweit auf, dass die Häuser nicht mehr an strenge Bauvorgaben gebunden waren, sondern hochwassertauglich umgebaut werden durften.

Vom Land gab es zunächst Signale, dass dieser Umbau gefördert werden, doch das Ergebnis war für Andreas Henke ernüchternd: Um das Gebäude aufzustocken, hätte er von der sächsischen Aufbaubank einen Zuschuss von 9 000 Euro bekommen, hätte aber zugleich 230 000 Eigenanteil aufbringen müssen – ein Ding der Unmöglichkeit. Zu guter Letzt verzichtete er auch auf einen Zuschuss von reichlich 90 000 Euro für die Beseitigung der Flutschäden. Diese hätte er nur in Anspruch nehmen können, wenn er den Anteil der Versicherungsgelder mit in das Vorhaben einbringt – mit ihnen hatte er aber schon die Kredite getilgt. Und am Ende, sagt Henke, habe sein Haus schließlich noch rund 120 000 Euro an Wert verloren. Er hofft aber noch immer auf Entschädigung, denn: Laut Henke hätte das Baugebiet an der Elbaue nie genehmigt werden dürfen.

Die Genehmigung: Baurecht fußt auf uralten Fakten

Nach Auskunft der Landesdirektion Dresden strebte die damals noch selbstständige Gemeinde Birkwitz-Pratzschwitz Anfang der 1990er-Jahre einen Vorhaben- und Erschließungsplan für das Gebiet „An der Elbaue“ an. Im Laufe des Verfahrens erhielt die Gemeinde Hinweise, dass das Areal in einem Überschwemmungsgebiet liegt. Den Hinweisen auf das Flutgebiet lagen uralte Fakten zugrunde – nämlich die Hochwasserschutzlinie von 1890. Dennoch habe sich die Gemeinde für den Plan und das neue Baugebiet entschieden. Das Regierungspräsidium, seinerzeit zuständig, genehmigte diesen am 14. April 1992. Bei der rückschauenden Bewertung der Entscheidung sei laut der Landesdirektion zu berücksichtigen, dass die Hochwasserschutzlinie über 100 Jahre alt war und die Erfahrungen des Augusthochwassers 2002 nicht gemacht waren. Auch das sächsische Umweltministerium könne nicht erkennen, dass das Baugebiet rechtswidrig genehmigt worden sei.

Die Fluthilfe: Umsiedlung wäre theoretisch möglich gewesen

Laut des sächsischen Umweltministeriums seien die Flutschäden von 2013 aus einem Bund-Länder-finanzierten Aufbauhilfefond beglichen worden. Die Höhe der Zuschüsse habe sich an den tatsächlich entstandenen Schäden am Wohngebäude bemessen. Flutopfer hätten damals in der Regel drei Optionen gehabt, aus denen sie wählen konnten: 1.) Wiederaufbau der geschädigten Objekte 1:1; 2.) Wiederaufbau an anderer Stelle; 3.) Schadensbeseitigung am Altobjekt und gleichzeitig weitere Umbaumaßnahmen. In allen drei Fällen hätte es einen Zuschuss in Höhe von maximal 80 Prozent der Wiederaufbaukosten gegeben, der Zuschuss wäre anhand des tatsächlich entstandenen Schadens berechnet worden. Laut des Ministeriums seien also durchaus flutsichere Umbauten oder Umsiedlungen möglich gewesen – der Aufbauhilfefonds hätte dieser Fälle aber weder besser noch schlechter behandelt als die Schadensbeseitigungen am Altobjekt.

Das Baurecht: Pirna wollte die elbnahe Siedlungsreihe zunächst abreißen

Nach der Flut 2002 wollte Pirna den geltenden Bebauungsplan für das Gebiet „An der Elbaue“ den Hochwassergefahren anpassen. Der Vorentwurf sah vor, die vordere elbnahe Siedlungsreihe von der Bebauung zu befreien. Ein hydraulisches Gutachten von 2013 sollte die Änderung untermauern, ergab aber, dass mit der Änderung des Bebauungsplanes nicht alle Konflikte in diesem Bereich gelöst werden konnten. Daher entschloss sich die Stadt 2014, das Baurecht zumindest von strengen Vorgaben zu befreien, damit die Häuser gegebenenfalls flutsicherer umgebaut werden konnten. Laut des Rathauses entfalte das Gutachten keinerlei rechtliche Wirkung für potenzielle Entschädigungsansprüche der betroffenen Grundstückseigentümer.

Der Flutschutz: Baustart für den Schutzdamm ist noch ungewiss

Nach Auskunft der Landestalsperrenverwaltung (LTV) ist im Hochwasserschutzkonzept von 2004 verankert, dass künftig ein Damm den Ortsteil Birkwitz-Pratzschwitz vor Elbefluten schützen soll. Das Vorhaben ist mit der Priorität „mittel“ eingestuft. Derzeit würden aber noch immer Projekt mit der Priorität „hoch“ abgearbeitet. Aufgrund dessen können noch keine verbindliche Aussage getroffen werden, wann mit der Planung und dem Bau des Dammes begonnen wird. Ängste der
Pratzschwitzer, die neue Hochwasserschutzwand in Heidenau könnte die Flutsituation in Pratzschwitz verschärfen, versucht die LTV unterdessen zu zerstreuen: Die Schutzwand wirke sich nicht negativ auf eine mögliche Hochwassersituation in Pratzschwitz aus. Der Wasserstand variiere lediglich in einem Bereich von plus oder minus fünf Zentimetern und stelle somit tatsächlich keine Veränderung dar.