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Leiche im Teppich

Die saudische Version im Mordfall Khashoggi löst weltweit Kritik aus. Der Druck auf den Kronprinzen wächst.

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Von Martin Gehlen, SZ-Korrespondent in Tunis

Der gewaltsame Tod des saudischen Regierungskritikers Jamal Khashoggi in Istanbul entwickelt sich zur schwersten Glaubwürdigkeitskrise Saudi-Arabiens seit dem von Osama bin Laden organisierten Anschlag am 11. September 2001, bei dem 15 der 19 Flugzeugentführer Saudis waren. Selbst ein Sturz von Kronprinz Mohammed bin Salman scheint derzeit nicht mehr ausgeschlossen, dessen internationale Reputation durch die mysteriöse Mordaffäre, das hartnäckige Leugnen und die nun präsentierte dubiose Tatversion mehr und mehr Schaden nimmt.

Die Reputation des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman leidet.
Die Reputation des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman leidet. © dpa

Aus den westlichen Hauptstädten schlug Saudi-Arabien am Wochenende einhellige Empörung und scharfe Kritik entgegen, nachdem das Königshaus in der Nacht zum Sonnabend erstmals eingestand, Khashoggi sei tot. Das Ganze sei ein Unfall gewesen, der Journalist im Konsulat bei einem hitzigen Handgemenge mit den aus Riad entsandten Agenten aus Versehen erdrosselt worden. Seine Leiche sei anschließend in einen Teppich eingerollt und von einen „örtlichen Mittäter“ entsorgt worden, hieß es.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas wiesen die saudische Darstellung als „nicht ausreichend“ zurück und erklärten, „von Saudi-Arabien erwarten wir Transparenz im Hinblick auf die Todesumstände und die Hintergründe“. Ähnlich reagierten auch die französische, britische und kanadische Regierung. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Uno-Generalsekretär Antonio Guterres forderten, alle für die Tat Verantwortlichen müssten ohne Einschränkungen zur Rechenschaft gezogen werden. Donald Trump, der das neue saudische Narrativ zunächst als glaubhaft bezeichnete, sprach am Sonnabend dann gegenüber der Washington Post von „offenkundiger Irreführung und von Lügen“. Der US-Präsident ging jedoch nicht so weit, den Rücktritt des Thronfolgers zu fordern, weil dessen Verantwortung für die Bluttat bisher nicht erwiesen sei.

Im US-Kongress, EU-Parlament und Bundestag dagegen werden die Rufe nach Sanktionen und einem Waffenembargo gegen die Vormacht der Arabischen Halbinsel immer lauter. „Unfassbar, für wie blöd das Königshaus Saudi-Arabien die ganze Welt hält“, twitterte der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour. Die für kommenden Dienstag in Riad geplante dreitägige Investorenkonferenz „Davos in der Wüste“, bei der der Kronprinz offizieller Gastgeber ist, steht nach massenhaften Absagen von Ministern, Geschäftsleuten und Bankenchefs ebenfalls auf der Kippe.

Ungläubiges Kopfschütteln verursachte zudem das jüngste königliche Dekret, was ausgerechnet Mohammed bin Salman beauftragte, den saudischen Geheimdienstapparat zu reorganisieren. Auch wenn jetzt zwei enge Vertraute des Kronprinzen als angebliche Drahtzieher der Operation am Bosporus ihrer Ämter enthoben wurden, die genaue Rolle von MbS, wie ihn seine Untertanen nennen, liegt weiter im Dunkeln. In dem absolutistischen Königreich scheint es ausgeschlossen, das ein saudisches Einsatzteam eine derart komplexe Geheimoperation mit zwei Regierungsflugzeugen auf ausländischem Staatsgebiet durchführt ohne ausdrückliche Zustimmung des Königssohnes.

Zu den jetzt verhafteten 15 Personen, die am Tattag in zwei Jets anreisten, gehören mindestens vier Mitglieder der Sicherheitsentourage des Kronprinzen. Mit an Bord war ein hochrangiger Gerichtsmediziner aus dem Innenministerium. Zusätzlich festgenommen wurden auch zwei Mitarbeiter des Konsulats und ein Fahrer. Befehlshaber vor Ort war offenbar der persönliche Leibwächter des Thronfolgers, Maher Abdulaziz Mutreb, der einen Diplomatenpass besitzt und Khashoggi aus gemeinsamen Jahren an der Botschaft in London persönlich kannte.

Zudem wurden nach Erkenntnissen türkischer Ermittler im Inneren des Konsulates praktisch sämtliche Räume neu gestrichen, offenbar um Blutspuren zu beseitigen. Nach Tonbandaufnahmen von den letzten Minuten Khashoggis, die Ankara inzwischen auch der CIA zugänglich machte, war das ganze Unterfangen von vornherein ein geplanter Mord.