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„Kontrollierte Vorfreude auf Dresden“

Marek Janowski setzt als künftiger Chef der Philharmonie auf deren DNA und Stunden bei den Alten und Neuen Meistern.

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© Felix Broede

Eng getaktet sind derzeit die Tage in Dresden für den Dirigenten Marek Janowski. Der 79-Jährige probt mit seinem künftigen Orchester, der Dresdner Philharmonie, trifft Gott und die Welt, diskutiert Projekte ... Zwischendurch, nach einer langen Probe am Dienstag, unterschrieb der international hochgeschätzte Kapellmeister der alten Schule im Rathaus seinen Vertrag. Für vorerst drei Jahre wird er ab Sommer 2019 Chefdirigent der Philharmoniker. Am Mittwochfrüh war dann Zeit für Interviews über Dresdner Pläne, die große Macht der Maestros und was Musiker und Publikum von einem erfahrenen Dirigenten erwarten können.

Herr Janowski, vor gut einem Jahr haben die Musiker mehrheitlich für Sie votiert. Nun ist der Vertrag unterzeichnet. Wie fühlt sich das an?

Die Unterschrift war ja nur noch eine, wenn auch sympathische Formalie gewesen. Das Anfühlen, was diese Empfindsamkeitsbereiche angeht, das hat sich bei mir so vor zehn Monaten abgespielt. Damals sagte man mir, dass das Orchester möchte, dass ich wiederkomme, und es gab ein gutes Gespräch mit der Kulturbürgermeisterin Frau Klepsch. Dann durchlief der Vertragsentwurf alle Instanzen. Am Dienstag nun bin ich nicht mit unbedingt klopfendem Herzen ins Rathaus gegangen, aber doch sehr gerne. Und ich muss sagen: Der Akt an sich war dann auf dem wirklich oberen Nettigkeitslevel des Empfindens.

Was war das Ausschlaggebende, nach Ihrer ersten Amtszeit 2001 bis 2003, erneut Chef in Dresden zu werden?

Ich bin damals mit dem auch schriftlichen Versprechen nach Dresden gelockt worden: Wir bauen einen Saal, der dann aber nicht kam. Deshalb bin ich fortgegangen, hatte aber in den zweieinhalb Jahren meines ersten Vertrages ein großes Potenzial bei der Philharmonie entdeckt. Ich hätte, wenn ein neuer Saal gebaut oder der Kulturpalast umgebaut worden wäre, eine längere Zeit weitergemacht. In der Zwischenzeit hielt ich immer Kontakt zu einigen Musikern.

Und dann kam der Saal doch noch ...

Und ich habe ihn in Bauphasen erlebt. Ich habe eine etwas altmodische Vorstellung von architektonischer Schönheit, und mir gefiel die da entstehende. Wie es klingt, war damals noch unklar. Dann ergab sich, dass ich kurz nach der Eröffnung des Kulturpalastes zwei Konzerte hatte, unter anderem eine große Mahler-Sinfonie, die so eine Art Gradmesser für Volumenabsorption eines Saales ist. Mir gefiel dieser Saal unglaublich. Die Kombination von guter Erinnerung an das Orchester und der neue, fantastische Saal waren ausschlaggebend, es in Dresden noch mal zu versuchen.

Bei allem Respekt, Herr Janowski, Sie treten das neue Amt als 80-Jähriger an. Fit wie ein Turnschuh?

Die Entscheidung für Dresden hängt auch mit einer ungewöhnlichen Belastungsprobe zusammen. Ich habe ja 2016 und 2017 in Bayreuth den „Ring“ dirigiert. 16 Abende in fünfeinhalb Wochen – ein großes Pensum. Ich war mir vorher nicht sicher, ob ich das körperlich unbeschadet überstehen würde. Habe ich aber. Man lernt ja auch beim Älterwerden, ökonomischer mit seinen körperlichen Möglichkeiten umzugehen. Also, warum nicht Dresden? In Dresden gibt es in einem guten, traditionellen, herkömmlichen Sinne ein größeres Interesse für Musik als in anderen vergleichbaren Städten. Deshalb sehe ich den kommenden Jahren hier mit einer gewissen kontrollierten Vorfreude entgegen.

Wovon können Musiker wie Publikum profitieren, wenn ein so erfahrener Dirigent am Pult steht?

Das Orchester muss dem Dirigenten nicht das Stück beibringen. Sicher, jeder Dirigent dirigiert jedes Stück als junger Mensch das erste Mal. Und dabei merken die erfahrenen Orchestermusiker: Ja, eine Vorstellung vom Stück hat er, aber das Handwerkliche stimmt nicht. Das haben wir alle als junge Dirigenten erlebt. Man lernt am Orchester das Stück. Das wird es bei mir nicht geben, dazu habe ich eigentlich alles, was gängig ist, zu oft dirigiert. Ich hoffe, dass das Orchester von meiner Erfahrung profitieren kann und ich ein bisschen von dieser speziellen Philharmonie-DNA. Ungeachtet dessen wird es gelegentlich auch Uraufführungen geben.

Wie kann man die Philharmonie gegenüber der Staatskapelle positionieren?

Vergleiche kann ich nicht ziehen, weil die Erinnerungen an die Kapelle viel zu weit zurückliegen. Klar aber ist: Die Kapelle ist zunächst ein Opernorchester, wenn auch eines, das viele Konzerte gibt und eine enorm große sinfonische Tradition hat. Von Natur aus ist es daher in den Reflexen auf die vielen Unwägbarkeiten des Opernrepertoires viel beweglicher als jedes reine Sinfonieorchester. Dafür haben aber reine Sinfonieorchester manchmal eine größere Detailobsession in der Präzision.

Ergo schulen Sie die Philharmoniker in konzertanter Oper – oder?

Ja, vergangene Spielzeit haben wir mit Webers „Euryanthe“ schon angefangen. Demnächst folgen Puccinis hochgradig impressionistisches Stück „Der Mantel“ und Mascagnis große italienische Oper „Cavalleria rusticana“. Beides nehmen wir für die Schallplatte auf. Auch in den nächsten Jahren planen wir die eine oder andere konzertante Oper, die von der Innenspannung her eine konzertante Aufführung rechtfertigt. Und dann müssen Sie als Kritiker, muss das Publikum sagen, wie gut oder schlecht wir uns im Gegensatz zur Staatskapelle verhalten haben.

Was will der Privatier Janowski in Dresden und Umgebung entdecken?

Ich habe mir vorgenommen, öfter mal in Dresdner Museen zu gehen. Einfach so, wie es Richard Strauss gemacht hat: Sich eine Stunde vor ein Bild setzen.

Eher Raffaels Sixtinische Madonna oder Gerhard Richter?

Beides, Letzteren kenne ich sogar. Und wenn Sie mir es empfehlen, gehe ich auch noch ins Grüne Gewölbe.

Derzeit erschüttern Vorwürfe von Machtmissbrauch die Branche. Ist ein Dirigent ein egoistisches Machttier?

Ich kann nur für mich sprechen. Mit dirigentischer Macht bin ich immer sehr, sehr vorsichtig umgegangen. Auch in Konfliktsituationen mit Orchestern habe ich immer versucht, mich mit den Orchestervorständen zu verständigen. Wenn es aber mal absolut nicht ging, habe ich entschieden. Das liegt auch in meinem Naturell, denn ich bin eher konsensuell. In anderen Bereichen, die im Musikpolitischen liegen, habe ich schon in meinen Pariser Jahren in den 1980ern und 90ern mit vielen Blessuren gelernt, meine Ellenbogen auszufahren und am Ende dieser Zeit durch deutsch-stures Verhalten einiges an Schaden für mich und mein Orchester ferngehalten. Es gab auch ab 2002 in Berlin beim damals noch gefährdeten Rundfunksinfonieorchester in Berlin Situationen, in denen ich Macht gebraucht habe, nicht missbraucht, aber wo ich mit großem Druck meine Möglichkeiten zum Wohle des Orchesters nutzen konnte.

Was war Ihre schillerndste Station?

Die erfüllendste war die von 1984 bis 2000 beim Orchestre Philharmonique de Radio France. Da ist es mir gelungen, gegenzusteuern, dass dieser Klangkörper nicht wie vom damaligen kulturpolitischen Mainstream gewünscht, in der zeitgenössischen Musikkategorie versandet ist. Es ist immer noch ein ganz wunderbares Orchester. Monte Carlo von 2000 bis 2005 war glitzernd, ein großes Versprechen: größeres Orchester, größerer Saal. Ich habe mit Unterstützung des von mir hochgeschätzten Fürst Rainier aus dem Orchester eine französische Spitzenformation gemacht.

Zum Profil der Dresdner Philharmonie gehören Tourneen – doch die mögen Sie mittlerweile nicht mehr. Die Lösung?

Die Philharmonie muss Tourneen machen, ganz klar. Wenn man aber in meinem Alter ist, will man weniger reisen. Also müssen wir gemeinsam überlegen, was ich mir noch zumuten kann und was unter Umständen nicht. So gibt es einige deutsche Städte wie Berlin oder Köln, wo ich den Leuten immer wieder gerne die Qualität der Dresdner Philharmonie zeigen möchte.

Das Gespräch führte Bernd Klempnow.

Marek Janowski ist unlängst am Pult der Philharmonie: am 13. und 14.10. bei Berlioz’ „Sommernächte“ und Strauss’ „Sinfonia domestica“ sowie am 20. und 21.10. bei Haydns Sinfonie Nr. 100 G-Dur und Bruckners Messe Nr. 3: f-Moll; Karten: 0351 4866866