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Italien, Südtirol und das Identitätsproblem

Grüß Gott oder Buongiorno? Mit dem Zusammenleben klappt es zwischen „Deutschen“ und „Italienern“ in Südtirol nicht immer. Hier hört man eher auf Seehofer als auf Salvini. Was auch die anstehende Wahl kaum ändern wird.

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© dpa

Von Lena Klimkeit

Bozen. Es fühlt sich alles ein bisschen wie Heimat an, auch deswegen lieben Deutsche Südtirol. Das Panorama sieht aus wie in Bayern und Prosciutto bekommt man auf dem Markt auch, wenn man Schinken sagt. Der Cappuccino schmeckt aber so gut wie sonst nur in Italien. Die Kulturen sind verschmolzen, die Mehrsprachigkeit ist perfekt, so scheint es. Doch gerade wenn es darum geht, Wähler zu fangen, werden südlich des Brenners wieder die Unterschiede betont. Das Idyll vom Zusammenleben - eine Wunschvorstellung.

Das Zusammenleben ist eigentlich das einzige, an dem es hapert in Südtirol. Urlauber lieben Skipisten im Winter und saftig grüne Hänge im Sommer. Es herrscht quasi Vollbeschäftigung, die Verwaltung ist frei von Korruption, es wird investiert. Davon kann das übrige Italien nur träumen. Dass man es so gut hat in Südtirol, wird auch der regierenden Volkspartei SVP zugeschrieben, die seit den ersten freien Wahlen nach dem Zweiten Weltkrieg regiert. Sie dürfte am Sonntag aus der Landtagswahl wieder als Gewinner hervorgehen.

Aber auch sie konnte Aldo Mazzas Traum bislang nicht erfüllen. Seit 1972 lebt der Süditaliener in Meran. Südtirol vergleicht er gerne mit einem Mehrfamilienhaus. „Wir leben im gleichen Haus, wir entscheiden zusammen über das Treppenhaus, das Licht, den Aufzug, Garten und so weiter. Aber jeder macht zu und ist in seiner eigenen Wohnung.“ Mazzas Ziel: eine Wohngemeinschaft.

Doch die drei Sprachgruppen - die deutsche, italienische und ladinische - bleiben meist unter sich. Nicht nur die Schulen sind getrennt, auch die Parteienlandschaft ist es: „Es gibt die deutschen Parteien, es gibt die italienischen Parteien“, erklärt Mazza. Im Wahlkampf führe das dazu, dass nationalistische Stimmung gemacht werde - auf beiden Seiten. Dass sich dann noch der Nachbar, Südtirols Schutzmacht Österreich, einmischte, macht es aus Sicht des Verlegers nicht einfacher.

Die Regierung in Wien hat den deutsch- und ladinischsprachigen Minderheiten die doppelte Staatsbürgerschaft in Aussicht gestellt. Seit 1919 gehört Südtirol nicht mehr zu Österreich. Unter Benito Mussolini wurden deutsche Traditionen und die Sprache verboten. Längst stehen sie unter Schutz und Südtirol kann sich weitgehend unabhängig verwalten. Deutschsprachigen Rechtsparteien wie der Süd-Tiroler Freiheit ist das nicht genug, sie fordern die Loslösung, weil sie finden: „Südtirol ist nicht Italien.“

„Die Doppelpassgeschichte ist ungesund, weil sie als Wirkung wieder eine Spannung zwischen den Sprachgruppen erzeugt. Und das ist schlimm“, sagt Mazza. Auch in Rom kommt die Idee nicht gut an.

„Es ist Unfug. Es bringt nichts, es treibt nur die deutschen und die italienischen Südtiroler auseinander“, schimpft Giuliano Senter, während er hinter der Theke eines Cafés in Brixen Kaffee zubereitet. Als italienischer Südtiroler könnte er den Pass nicht bekommen. „Warum nicht? Ich bin doch in Brixen geboren.“

Sogar Ulli Mair von der rechtspopulistischen Partei Die Freiheitlichen gibt zu: „Die Doppelstaatsbürgerschaft, die ist mehr fürs Herz und die Identität“ und drohe Konflikte wieder aufzureißen. Am Wahlkampfstand in Brixen gibt es an diesem Morgen Würste und Bier, so gar nicht italienisch. „Wir sind ein bisschen ein Problemland“, sagt Marianne Gafriller, die sich am Stand informiert. „Weil wir leben in Italien, fühlen uns aber nicht als Italiener.“

„Es sind wirklich zum Teil völlig getrennte Welten in Südtirol“, sagt Brigitte Foppa, die für die Grünen im Landtag sitzt. Sie macht die Trennung der Schulen für „Deutsche“ und „Italiener“ für das fehlende Zusammengehörigkeitsgefühl verantwortlich. Die tragische Folge: „Wir haben da einen anderen ganzen Kulturraum vor der Haustür auf der Fußmatte liegen und wir holen ihn nicht ab.“

Die Italiener, die unter 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen, fühlten sich immer stärker marginalisiert, auch weil sie in der Politik vergleichsweise schlecht vertreten seien. Deswegen rücke die italienische Gemeinschaft immer weiter nach rechts. Die neofaschistische Bewegung Casapound sitzt in Bozen längst im Gemeinderat.

Landtags-Kandidat Zeno Christanell von der regierenden SVP sieht einen Minderwertigkeitskomplex auf beiden Seiten: den der Deutschsprachigen als Minderheit in Italien, den der Italienischsprachigen als Minderheit in Südtirol. Deswegen gebe es meist ein Nebeneinander, hin und wieder ein Miteinander, manchmal auch ein Gegeneinander.

Nur auf dem Land gebe es die „eine Welt“, sagt er. Die Dörfer sind zu 99 Prozent deutschsprachig. Die Gemeinschaft orientiere sich nicht an Rom, sondern an Österreich oder Deutschland. Was die italienische Regierung mache, nehme man zur Kenntnis, aber nicht ganz ernst. „Wenn Seehofer etwas sagt, dann wirkt es mehr.“ Man verstehe sich eben als ein Kulturraum.

Allen Identitätsdebatten zum Trotz: ein drastischer politischer Umbruch wie im übrigen Italien ist in Südtirol nicht zu erwarten. Doch dieses Mal könnte der Koalitionspartner der SVP auf italienischer Seite Lega heißen. Im Wahlkampf ließ sich deren Chef, der rechtspopulistische Innenminister Matteo Salvini, natürlich auch in Südtirol blicken. Er, der doch immer „Italiener zuerst“ ruft, gab sich sogleich volkstümlich, grüßte auf Deutsch und sang beim Fest der Kastelruther Spatzen ein Prosit auf die Gemütlichkeit. (dpa)