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„Irgendwann muss man mal loslassen können“

Hans-Uwe Pilz kam über den „zweiten Bildungsweg“ zum Profifußball, musste zur NVA und spielt heute Golf.

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© Thomas Riemer

Von Thomas Riemer

Schönfeld. Ein einziges Mal in seiner aktiven Laufbahn hat Hans-Uwe Pilz eine Rote Karte gekriegt. Wegen Schiedsrichter- beleidigung. Das war beim vorletzten Finale um den FDGB-Pokal in der DDR. Mit seinem damaligen Verein Dynamo Dresden gewann er gegen den PSV Schwerin beim 2:1 trotzdem den Pott. MDR-Reporter Gert Zimmermann will es genauer wissen. „Was hast Du dem Schiri gesagt?“ Pilz gibt sich diplomatisch. „Das ist schon sooo lange her“, sagt er und schmunzelt.

Die Story hinter der Geschichte herauszukitzeln – Gert Zimmermann hat es am Donnerstag beim Schönfelder Fußballabend mit dem einstigen Fußballer in Diensten von Sachsenring Zwickau und Dynamo Dresden wieder einmal eindrucksvoll praktiziert und so manchen der reichlich 50 Zuhörer zum Staunen gebracht. Denn Hans-Uwe Pilz war als Fußballer und auch Trainer erfolgreich, jedoch oft auch unbequem. Die erste Hürde zum Spitzensport nahm der heute knapp 60-Jährige galant. „Ich durfte nicht zur Kinder- und Jugendsportschule, weil ich Westverwandtschaft 2. Grades hatte“, erzählt er. Deshalb ging er den „zweiten Bildungsweg“ und wurde mit 17 bei Sachsenring damals jüngster Oberligafußballer der DDR und schnell auch Stammspieler bei den Westsachsen. Plötzlich hatte der damalige FC Karl-Marx-Stadt Interesse an ihm. Pilz lehnte ab. „Da war ich zu stolz“, sagt „Champi“. Die Retourkutsche der Funktionäre kam prompt. Pilz wurde zum Grundwehrdienst bei der NVA eingezogen. Zwar wurde er nach der Grundausbildung nach Plauen versetzt, durfte dort aber nur in der 2. Mannschaft spielen. Groll empfindet Hans-Uwe Pilz darüber nicht. „Diese Zeit hat geprägt“, sagt er knapp.

Dem Ruf des großen DDR-Fußballs folgte er dann doch. 1981 brauchte Dynamo Dresden „Ersatz“ für die wegen versuchter Flucht suspendierten Gerd Weber, Peter Kotte und Matthias Müller. Pilz, jung verheiratet und Familienvater, zog mit Frau und Kind ins Sportinternat am Dynamo-Stadion. Dort gab es mehr Ungeziefer als Sportler. „Nach einer Woche war ich wieder weg“, erinnert er sich. Erst, als die damalige SED-Bezirksleitung für angemessene Wohnverhältnisse „gesorgt“ hatte, kehrte er zurück, absolvierte im Februar 1982 sein erstes Spiel für Schwarz-Gelb. „Der hat die Bälle angesaugt wie Reinhard Häfner“, kramt Gert Zimmermann in seinem Gedächtnis.

Viermal gewann er den FDGB-Pokal mit Dynamo, dreimal im Finale gegen den ungeliebten Stasiclub BFC Dynamo. Den letzten Elfmeter im Endspiel 1982 „gegen den langen Rudwaleit“ (BFC-Tormann – d.R.) zählt Pilz zu seinen emotional schönsten Toren. Die Dynamo-Fans in jenen Jahren „waren sensationell“. Sie jubelten von Autobahnbrücken, verfolgten die Spieler an die Raststätten. „Wir mussten nicht aus dem Bus aussteigen, das Bier wurde reingereicht“, sagt „Champi“.

Nach seinem einzigen Feldverweis gegen Schwerin stürzte sich der damals 32-Jährige ins „Abenteuer“ Fortuna Köln – den Wendewirren sei dank. „Mir war schnell klar: Hier müssen wir uns warm anziehen.“ Nicht nur fußballerisch. Bei der Einschulung seines Kindes waren er und seine Frau erschrocken. „Der Schuldirektor hatte uns stolz erzählt, dass es in der Einrichtung schon seit einem halben Jahr keine Messerstecherei mehr gab ...“ Bei der Fortuna sei er zwar sportlich schnell angekommen. Aber weil er offen seine Meinung sagte, fiel er beim Präsident in Ungnade. Zum Glück rief da sein Freund Reinhard Häfner, zu jener Zeit Dynamo-Trainer in der 1. Bundesliga. Pilz kehrte nach Elbflorenz zurück. Dort hat er viele Trainer kommen und gehen sehen. Auf Häfner folgte Helmut Schulte, Klaus Sammer kehrte nochmal auf die Trainerbank zurück, unter Siggi Held mit seiner „klaren Linie“ schaffte der Verein trotz Vier-Punkte-Abzug den Klassenerhalt. Von Horst Hrubesch „war ich etwas enttäuscht“, so Hans-Uwe Pilz. „Der wurde in der Mannschaft doch gar nicht akzeptiert.“ Die Erinnerung an Präsident Rolf-Jürgen Otto fällt ebenso kurz aus: „Der war sehr einfach strukturiert.“ Ein Satz in der Boulevardpresse, den Pilz nie gesagt hatte, wäre dem Vollblutkicker fast zum Verhängnis geworden: „Mein Präsident ist ein Lügner.“ Der Rest ist bekannt: Choleriker Otto musste nach Dynamos Zwangsabstieg in den Knast, Kapitän Pilz blieb und spielte 1995 seine letzte Saison für Dynamo. Nach einem zweijährigen Intermezzo beim FSV Zwickau war er drei Tage Manager beim Dresdner SC. Dann kam ein Trainerangebot aus Zwickau, wo Dixi Dörner gerade entlassen worden war. „Trainer konnte ich besser als Manager“, gesteht Pilz. Was man ihm beim FSV nicht gesagt hatte: Finanziell war der Verein am Boden. Pilz musste gehen. Er erfuhr es „von Leuten, die ich nie zuvor gesehen hatte“, die aber plötzlich das Sagen hatten. Seiner Frau, mit der er seit nunmehr 39 Jahren verheiratet ist, teilte er mit: „Ich mache nie wieder Fußball.“ Bis heute ist es dabei geblieben, was den Profi-Sport angeht. In einem privaten Fußball-Camp gab Pilz jedoch bis vor sechs Jahren seine Erfahrungen weiter. Beruflich ist er bis heute Berufsschullehrer für Sport in Plauen. Fußball spielt in seinem Leben nur noch eine Nebenrolle. Dafür zieht es ihn mit seiner Frau zum Golf. „Das war endlich eine Sportart, auf der wir auf einem Niveau sind“, sagt er schmunzelnd. Gert Zimmermann hat mehr als zwei Stunden kurzweilig „gebohrt“. Aus dem Podium kommt die Nachricht, dass Dynamos Trainer Neuhaus bleiben darf. Hans-Uwe Pilz nimmt es eher nebenbei zur Kenntnis. Schon beim Unterschreiben der Autogrammkarten vor dem Fußballabend hat er gesagt: „Irgendwann muss man mal loslassen können.“