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Ihr Problem mit Nu und Dreiviertel

Anfangs hatten Niklas Kreuzer und Jannik Müller in Dresden ein paar Schwierigkeiten, aber jetzt führen sie die neuen Dynamo-Profis durch die Stadt.

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© Thomas Kretschel

Als sie im Sommer 2014 nach Dresden kamen, lag Dynamo auf der Intensivstation. So hatte jedenfalls Sportgeschäftsführer Ralf Minge den Zustand des Vereins nach dem Abstieg in die 3. Liga beschrieben. Niklas Kreuzer, damals 21 Jahre, und Jannik Müller, 20, gehörten zu den jungen, entwicklungsfähigen Spielern für den Neustart. Jetzt gehen sie mit dem Heimspiel am Montagabend gegen den MSV Duisburg bereits in ihre fünfte Saison bei den Schwarz-Gelben. Ein passender Anlass für ein Doppel-Interview.

Können Sie sich an Ihren ersten Eindruck von Dynamo erinnern?

Jannik: Das ist natürlich die Fankultur. Schon beim ersten öffentlichen Training im Stadion waren mehr als 1 000 Zuschauer da. So etwas war ich von meiner Zeit in der zweiten Mannschaft von Köln nicht gewohnt. Das erste Meisterschaftsspiel – das war Wahnsinn! Wie viel Leidenschaft die Fans für diesen Verein zeigen, hat mich vom ersten Tag an beeindruckt.

Niklas: Ich hatte viel gehört, aber dass es so krass sein würde, hätte ich mir nicht vorgestellt. Das ist wirklich einzigartig. Vor dem ersten Spiel war ich deshalb sehr nervös, obwohl ich – wie Jannik auch – nicht gleich gesetzt war. Wir konnten uns das erst mal anschauen, bis wir nach ein paar Spielen reingerutscht sind.

Hatten Sie Respekt vor der neuen Herausforderung?

Niklas: Auf jeden Fall! Ich kannte zwar aus Basel eine gewisse Fankultur, aber in Erfurt war das sehr überschaubar. Da dachtest du manchmal, du spielst auf dem Dorf, Stimmung war das nicht. Wenn du hier aufläufst, und so viele Augen sind auf dich gerichtet, damit musst du umgehen können. Das haben wir ziemlich schnell gelernt.

Jannik: Am Anfang musste ich Lehrgeld zahlen, es war ein anderes Niveau vor allem von der Körperlichkeit, der Robustheit.

Jannik, Sie sind in Hümmel in der Eifel aufgewachsen, Köln war nicht weit weg. Wie schwierig war es für Sie, in Dresden zum ersten Mal auf sich allein gestellt zu sein?

Jannik: 600 Kilometer von der Familie und den Freunden entfernt, man kann nicht mehr der Mutter mal die schmutzige Wäsche vorbeibringen …

Was war am schwierigsten?

Jannik: Alles unter einen Hut zu bringen: einkaufen, kochen, waschen. Es sind so viele Dinge, die man plötzlich selbstständig erledigen muss. Hinzu kamen die höheren Anforderungen im Training.

Niklas: Ich hatte die große Umstellung ein Jahr vorher mit dem Wechsel von Basel nach Erfurt. Das war schwierig, weil ich ein Familienmensch bin. Meine Mutter und mein Bruder waren immer da, meine Jungs auf dem Dorf. Wenn du dann auf einmal in einer fremden Stadt bist, brauchst du etwas Zeit. Aber inzwischen bin ich gereift – als Hausmann auf jeden Fall.

Was macht für Sie die sächsische Lebensweise aus?

Jannik: Der Dialekt! Wenn sich einige, die hier aufgewachsen sind, unterhalten haben, fiel es am Anfang schwer, das Gespräch zu verfolgen. Inzwischen verstehe ich alles (lacht).

Niklas: Das klassische Nu – damit musste ich erst einmal klarkommen. Wenn du jemandem etwas erzählst und der sagt ständig: Nu, nu, nu … Da fragst du dich: Verneint er jetzt alles, oder was will er mir damit sagen? Jetzt rutscht es mir sogar selber manchmal raus.

Jannik: Die Uhrzeit war schwierig: Viertel und Dreiviertel. Ich musste anfangs immer nachfragen, damit ich mich nicht verspäte.

Haben Sie sich deshalb mal verspätet?

Jannik: Zum Glück nicht, ich habe immer nachgefragt, weil ich mir unsicher war.

Sie waren nicht immer Stammspieler, sind aber trotzdem seit vier Jahren hier – warum?

Niklas: Weil ich mich hier wohlfühle. Klar, ich habe mal gespielt, mal wieder nicht. Aber letztlich bin ich in jeder Saison auf 25, 30 Spiele gekommen. Wenn es nicht gut läuft, macht sich jeder Sportler Gedanken, ob es Zeit für eine Veränderung wäre. Aber ich bin immer an den Punkt gekommen, was ich hier habe. In Basel dachte ich damals: Boah, jetzt steht dir die große, weite Welt offen. Ich hatte ja noch Länderspiele in der U20 bestritten. Und plötzlich saß ich in Erfurt in der 3. Liga draußen. In diesem Geschäft kann es brutal schnell gehen – hoch genauso wie runter. Ich bin sehr froh, heute noch hier zu sein.

Jannik: Niklas hat es auf den Punkt gebracht. Ja, es gibt Phasen, in denen man unzufrieden ist und sich mit Wechselmöglichkeiten beschäftigt. Aber man sollte so eine Bilanz nicht kurzfristig ziehen, sondern saisonübergreifend. Und da haben wir uns immer durchgesetzt.

Es ist ungewöhnlich, dass Spieler so lange bei einem Verein sind. Was muss dafür passen?

Jannik: Die sportliche Perspektive ist am wichtigsten, hinzu kommt, wie man sich in der Mannschaft versteht, ob man sich wohlfühlt in der Stadt, ob man Leute auch abseits des Fußballs kennengelernt hat, mit denen man sich gut versteht.

Niklas: Wenn du irgendwann auf deine Karriere zurückschaust und hast 30 Spiele für St. Pauli gemacht, 25 für Sandhausen, 20 für Ingolstadt, fühlt sich das anders an, als wenn du sagen kannst: Es waren über 200 für Dynamo. Jannik und ich haben jeder schon um die 110, 120 Pflichtspiele hier bestritten. Das ist schon eine Hausnummer, darauf können wir stolz sein.

Was macht Dynamo – abgesehen von den Fans und der Stimmung im DDV-Stadion – für Sie besonders?

Jannik: Das Leitbild, die ambitionierten Ziele. Der Verein denkt langfristig. Wir sind in der 3. Liga gekommen, jetzt gehen wir ins dritte Jahr in der zweiten Liga, sind also einen guten Schritt vorangekommen. Ich bin gespannt, wohin es noch geht.

Niklas: Wenn es heißt, wir haben einen Traum, eben auch mal wieder in der ersten Liga zu spielen, ist das eine Motivation für jeden Spieler. Wenn wir unsere Ziele hier alle bereits erreicht hätten, wäre es wahrscheinlich ein Grund, den Koffer zu packen und zu gehen.

Die Kehrseite der Medaille: Sie werden erkannt. Gibt es Situationen, in denen Sie lieber zu Hause bleiben, sich vielleicht sogar schämen?

Niklas: Was heißt schämen? Wenn man feiern will, muss man sich das verdienen. Die Fans drehen jeden Cent um, damit sie zu Dynamo gehen können. Deshalb verlangen sie zu Recht von uns Leistung. Ich glaube, dass wir nicht die Charaktere sind, die das nicht interessiert. Vorige Saison wollten wir als Mannschaft nach dem Heimspiel gegen Sandhausen aufs Stadtfest gehen. Aber nach dem 0:4 haben wir das abgeblasen, weil wir es uns nicht verdient hatten.

Jannik: In meiner ersten Saison hier gab es eine Phase, in der wir sechs, sieben Spiele in Folge verloren haben. Da hätte ich mich am liebsten weggeschlossen, aber nicht daran gedacht, wegzugehen.

Sie sind – nach Kapitän Marco Hartmann, der ein Jahr länger hier ist – die Dienstältesten im Team. Sind Sie als Stadtführer mit den Neuen unterwegs?

Jannik: Na klar fragen sie uns: Wo geht ihr hin, was kann man machen? Wo ist der Ikea, der Media-Markt, wo kann man gut essen, wo ist der nächste See, was kann man sonst in der Freizeit unternehmen? Ich gebe gerne Tipps.

Was unternehmen Sie denn?

Niklas: Jannik ist ja dabei ein bisschen an seine Freundin gebunden, ich bin etwas freier. Ich kenne das ja auch, wenn du hierher kommst am Anfang: Du trainierst, fährst ins Hotel, trainierst, fährst ins Hotel. Das macht keinen Spaß. Deshalb nehmen wir die neuen Jungs mit, man will ja, dass sie sich wohlfühlen.

Jannik: Klar, wenn man eine Freundin hat, muss man auch auf ihre Wünsche eingehen. Bei dem Wetter liege ich am liebsten am See oder fahre in Leuben eine Runde Wasserski – oder mehrere.

Kennen Sie Dresden als Kulturstadt?

Jannik: Die klassischen Touristen-Attraktionen wie Frauenkirche haben wir uns natürlich angeschaut. Mit meiner Freundin war ich einige Male in der Semperoper. „Die Schöne und das Biest“ zum Beispiel, super. Bei dem Bau haben sie früher keine Kosten und Mühen gescheut, beeindruckend.

Niklas: Oper? War ich noch nie. Die Frauenkirche ist auf jeden Fall ein Highlight. Der Ausblick ist gigantisch.

Ihre Verträge laufen bis Juni 2019. Wie lange bleiben Sie bei Dynamo?

Jannik: Es ist schwierig, in die Zukunft zu schauen. Das hängt, wie gesagt, vom sportlichen Erfolg und der Perspektive ab.

Niklas: Genauso sehe ich es auch.

Das Gespräch führte Sven Geisler.