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„Ich bin ja ein bisschen der gefasstere Typ“

Ein Grinsen sagt bei Francesco Friedrich eigentlich mehr als tausend Worte. Anders beim SZ-Interview: Der Bob-Olympiasieger erzählt seine Geschichte.

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© Robert Michael

Von Tino Meyer

Auch Olympiasieger brauchen mal eine Pause – und die mit zwei Goldmedaillen im Gepäck vermutlich erst recht. Also hat sich Bobpilot Francesco Friedrich seine Frau Magdalena, den anderthalbjährigen Sohn Karl und Hund Eddy geschnappt und war ein paar Tage unterwegs. Wo genau? Auch Olympiasieger haben Geheimnisse – und ein Privatleben, selbst wenn der 27-Jährige feststellt, dass sich seit den Tagen von Pyeongchang einiges verändert hat.

19. September 2017: Vierer-Probesitzen bei Bobbauer Wallner mit Trainer Gerd Leopold. Ein Blick genügt.
19. September 2017: Vierer-Probesitzen bei Bobbauer Wallner mit Trainer Gerd Leopold. Ein Blick genügt. © Robert Michael
28. Dezember 2017: Bobwechsel in Altenberg vom Wallner- in den FES-Zweier. Ein Entschluss ohne Zweifel.
28. Dezember 2017: Bobwechsel in Altenberg vom Wallner- in den FES-Zweier. Ein Entschluss ohne Zweifel. © Robert Michael
26. Februar 2018: Empfang von Ehefrau Magdalena auf dem Flughafen Dresden. Es ist vollbracht.
26. Februar 2018: Empfang von Ehefrau Magdalena auf dem Flughafen Dresden. Es ist vollbracht. © Robert Michael
1. Juni 2017: Anschubtraining fürs gesamte Team auf der Freiluftstrecke in Riesa. Der Chef vornweg.
1. Juni 2017: Anschubtraining fürs gesamte Team auf der Freiluftstrecke in Riesa. Der Chef vornweg. © SZ/Meyer

Im exklusiven Interview mit der Sächsischen Zeitung erzählt der Pirnaer von den Triumphfahrten, dem Weg dorthin, der Legende vom Videostudium in einer schlaflosen Nacht – sowie den aufregenden Tagen seit der Rückkehr von Olympia. Und Friedrich verrät, wie es jetzt weitergeht.

Francesco, seit zwei Wochen sind Sie jetzt Doppel-Olympiasieger und damit einer der ganz Großen Ihres Sports. Wie fühlen Sie sich?

Eigentlich auch nicht anders als vorher. Olympia war das große Ziel, darauf haben wir lange hingearbeitet. Jetzt haben wir es geschafft, und jetzt geht das Leben weiter.

Nach großen Triumphen sagen Sportler meist, sie müssen das Erreichte erst realisieren. Geht es Ihnen genauso?

Ich bin ja ein bisschen der gefasstere Typ. Für mich ist relativ klar, was wir erreicht haben. Wie gesagt, wir haben Jahre darauf hingearbeitet. Medaillen waren das Ziel. Dass es so super klappt, konnte natürlich keiner ahnen.

Wie feiert ein gefasster Typ: Zwei Bier, und dann ist’s gut?

Es gab schon ein bisschen mehr. Aber nicht so, dass der nächste Tag ein Totalausfall ist.

Das Projekt Pyeongchang hieß intern Projekt Gold. Aber kann man sich einen Olympiasieg ernsthaft vornehmen?

Doch, schon. Gold im Zweier war das erklärte Ziel. Da waren wir Favorit, und ich bin froh, dass es am Ende zeitgleich mit den Kanadiern noch gereicht hat. Denn eigentlich sollte nach allen Prognosen der Vierer die enge Kiste werden. Doch da waren wir umso souveräner – weil sich unser eigentlicher Hauptkonkurrent Hansi Lochner verpokert hat. Das ist wirklich schade für ihn, aber das erste Jahr nach einem großen Erfolg ist immer ein schwieriges. In dem Jahr lernt man – umso tragischer, dass es ausgerechnet die Olympia-Saison ist.

Ihnen ging es genauso: erst der unerwartete WM-Sieg 2013 in St. Moritz, dann das Debakel bei Olympia in Sotschi. Was haben Sie daraus gelernt?

Danach habe ich mir einfach nur geschworen, dass ich so eine Materialmisere nicht noch mal mitmachen will. Also haben wir angefangen, das Material immer weiter zu verbessern – trotz der WM-Siege im Zweier 2015, 2016 und 2017. Doch das ist nicht alles. Bei der WM 2016 in Innsbruck hätten wir auch im Vierer gewinnen können, vielleicht sogar müssen. Wir haben mit 0,3 Sekunden geführt – so ähnlich wie in Pyeongchang. Im dritten Lauf haben wir es aber verbockt, haben zu früh unsere Trainingsanzüge ausgezogen, am Start nicht alles gegeben. Auch diese Erfahrung hat uns jetzt geholfen. Wir waren auf alles vorbereitet.

Wirklich auf alles?

Auf jeden Fall. Wir wussten, dass wir mit dem Zweier von der FES und den entsprechenden Renn-Einstellungen den schnellsten Schlitten haben. Und der Vierer lief sowieso fantastisch – dank der Kooperation mit den Ingenieuren von BMW und Bobbauer Hannes Wallner. Schon beim Probesitzen im September bei Hannes in der Garage war uns klar, das ist ein Hammerschlitten. Mit dem ist alles möglich.

Woran merkt man das?

Da hat ein Blick, ein Reinsetzen genügt. Es hat einfach gepasst – im wahrsten Sinne des Wortes. Mit Thorsten Margis auf der vierten Position hat das vorher nie funktioniert. Er war zu groß, das hat uns pro Lauf immer eine Zehntelsekunde gekostet. Nur haben wir das erst bei Tests im Windkanal herausgefunden. An dieser Stelle auch noch mal vielen Dank an BMW – sonst hätten wir das vielleicht nie bemerkt.

Trotzdem haben Sie mit dem Vierer im Weltcup in dieser Saison nie gewonnen.

Wir hätten bei den Weltcups schon mehr rausholen können, haben die aber mehr als Tests gesehen und uns immer noch Reserven für Olympia gelassen.

Das heißt, Sie haben gepokert?

Wir wussten genau, wenn es darauf ankommt und wir alles schick machen, sind wir richtig schnell. Was die Konkurrenz bei Olympia zulegen kann, weiß man natürlich nicht. Spätestens im Training hat sich aber abgezeichnet, dass wir gewinnen können. Obwohl wir defensiv gefahren sind, waren wir vorn.

Anders im Zweier mit Platz fünf nach zwei Läufen. Die ominöse Kurve zwei war Ihr Problem, und es heißt, beim nächtlichen Videostudium wussten Sie plötzlich, wie Sie fahren müssen. Stimmt die Legende?

Nein, nein. Ich konnte zwar nicht schlafen, aber die Trainer haben das Video erst in der Nacht zusammengeschnitten. Ich habe es mir dann mittags angeschaut. Mir war klar, was ich zu tun und zu lassen habe. Beim Abschlusstraining hatte es zum ersten Mal gut funktioniert. Aber Rennen ist etwas anderes. Ich wusste, es lag in meinen Händen. Und das verursacht schon ein bisschen Stress. Es ist halt Olympia.

Entsprechend hat Ihr Anschieber reagiert. Er war stocksauer. Sie auch?

Im Ziel haben wir uns kurz angemotzt und sind uns für eine halbe Stunde aus dem Weg gegangen. Doch das ist normale sportliche Unzufriedenheit. Die Trainer haben uns gesagt, eine Medaille ist noch drin. Da ist Thorsten ausgeflippt und hat gesagt, er will Gold. Und dann hieß es: Los jetzt, alles auf Angriff.

Haben Sie noch daran geglaubt?

Ja. Mir war klar, wenn wir zwei gute Läufe erwischen, ist noch alles drin.

Am Ende gab es zwei zeitgleiche Sieger. Wann haben Sie das realisiert?

Bei der letzten Zwischenzeit lagen die Kanadier drei Hundertstelsekunden vor uns, ich wusste aber, dass wir im unteren Bahnteil ziemlich schnell waren. Ich habe auch oft den Helm eingezogen. Und irgendwie hatte ich dann wirklich die Vermutung: Das wird zeitgleich.

Stimmt es, dass Sie die letzten Meter ohne Sicht gefahren sind?

Den Helm ziehe ich schon immer ein, nur hat das vorher keinen interessiert.

Ihre Frau war bei Ihren WM-Siegen immer dabei, im Vorjahr auch Ihr kleiner Sohn Karl. Die Stunde Ihres größten Triumphs erlebten beide in Pirna. Wie war das für Sie?

Völlig in Ordnung. Korea ist zu weit. Für unseren Sohn wäre das zu viel Stress gewesen. Sie waren zu Hause gut aufgehoben. Aber immer, wenn im Fernsehen ein Bobrennen läuft, sagt er: Papa, Bob.

Noch mehr Zeit als mit Frau und Kind verbringen Sie mit Ihren Schlitten. Entsteht da auch ein inniges Verhältnis?

Innig schon, aber anders. Wobei, sogar unsere Kufen haben Spitznamen. Im Vierer sind wir am ersten Tag beispielsweise M5 gefahren, am zweiten Tag dann M3.

Auto-Experten erkennen spätestens jetzt die Zusammenarbeit mit BMW. Und Laien fragen sich, was die Kufen M5 und M3 unterscheidet und wieso Sie die trotz des klaren Vorsprungs über Nacht gewechselt haben?

Damit wir uns länger ausruhen können. Eine Kufenvorbereitung dauert zwei bis drei Stunden – pro Kufe. Meine Anschieber und ich hätten also jeder zwei bis drei Stunden zu tun gehabt. M5 und M3 sind fast identisch, M3 ist nur ein bisschen schmaler.

Zwei bis drei Stunden! Was gibt es so lange zu tun an einem Stück Stahl?

Es geht darum, die Kufe so fein wie möglich zu schleifen. Beim Saisonhöhepunkt soll wirklich jeder Kratzer raus. Sonst nutzt sich die Kufe ab und ist nicht mehr zu gebrauchen. Bei der M3-Hinterkufe ist das so, die ist inzwischen ganz dünn und wird jetzt wohl oder übel eine Museumskufe. Denn fürs Training ist die mir zu schade. Mit der bin ich 2017 am Königssee schon Weltmeister geworden. Da hänge ich sie lieber irgendwo hin.

Diese Konkurrenzsituation zwischen den Schlittenbauern Wallner und FES hat das sportliche Geschehen oft überlagert. Wie haben Sie das empfunden?

Ich komme mit beiden gut klar. Ich habe auch kein Problem damit, dem einen etwas vom anderen zu verheimlichen. Das sind zwei getrennte Sachen. Am Ende können sich beide glücklich schätzen, dass es so ausgegangen ist.

Hatten Sie nie Bedenken? Immerhin haben Sie sich erst Anfang Januar entschieden, vom Wallner-Zweier zur FES zu wechseln.

Nein, ich wusste ja, dass ich immer zurück in den Wallner kann. Nur wäre der nicht so überlegen schnell gewesen. Trotzdem war es richtig, dass Hannes vor zwei Jahren als Bobbauer dazugekommen ist. Das hat uns alle vorangebracht.

Wie haben Sie die Tage nach Ihrer Olympia-Rückkehr erlebt?

Relativ entspannt. Wir hatten einige Termine und Empfänge. Der hier in Pirna war überragend mit über tausend Leuten auf dem Marktplatz.

Merkt man dann, dass Olympia offenbar doch etwas Besonderes sein muss?

Oh ja. Schon in Pyeongchang hatten wir einen Termin nach dem anderen, Pressekonferenzen, Fernsehauftritte. Das ist null komma nicht mit einer WM vergleichbar, da ist nicht halb so viel los.

Was bleibt von Olympia in Erinnerung?

Schwere Frage. Man kann Tausende Fotos und Videos machen. Olympia live zu erleben ist noch mal etwas ganz anderes. Man kann allen Fotos zeigen, doch niemand versteht, was wirklich passiert ist. Deshalb habe ich ganz viele Bilder im Kopf.

Gibt es dennoch den einen Moment, der alles übertrifft?

Die Zieleinfahrt mit dem Vierer, das ist etwas ganz Besonderes gewesen. Auch die Siegerehrung danach an der Bahn. Das war viel cooler als nach dem Zweier.

Warum?

Bob ist eine Mannschaftssportart und der Vierer die Königsdisziplin. Da wird die gesamte Mannschaft für die Arbeit belohnt. Und trotzdem geht es jetzt weiter, auch für mich. An den Olympiasiegen kann ich mich nicht ewig aufhängen. Wenn ich jetzt stehenbleibe oder gar einen Schritt zurückgehe, wäre ich schön doof. Wir wollen unsere Serie als unbesiegte Zweier-Weltmeister fortsetzen. Und um die Serie 2020 bei der WM in Altenberg zu krönen, müssen wir 2019 in Whistler gewinnen.

Wird aus dem Projekt Pyeongchang jetzt das Projekt Peking, wo 2022 die nächsten Winterspiele stattfinden?

Die Weichen werden auf jeden Fall jetzt gestellt. Die nächsten vier Jahre wollen wir unbedingt noch mitnehmen. 2022 bin ich dann 31 Jahre alt, da ist noch alles möglich. Wenn der Körper mitmacht. Den habe ich in letzter Zeit hart geschunden, der benötigt jetzt erst mal zwei Monate Pause.

Können Sie überhaupt zwei Monate loslassen?

Schwer. Nach zwei Wochen kribbelt es bei mir, dann will ich wieder etwas machen. Doch ich habe mir vorgenommen, auch mal Badminton zu spielen oder Fahrrad zu fahren und vermehrt zur Physiotherapie zu gehen, um die kleinen Wehwehchen auszukurieren. Und dann bin ich gespannt, wie sich die Materialgeschichte entwickelt, ob der Verband mit der FES und Hannes Wallner weiterarbeitet.

Haben Sie ein Mitspracherecht?

Ja, denke ich schon. Außerdem stehen Gespräche mit Sponsoren und meinen Anschiebern an.

Planen Sie personelle Veränderungen?

Nicht unbedingt. Doch Thorsten ist nächsten Winter bis Januar raus, er muss bei seinem Maschinenbau-Studium Kurse belegen, die nur im Wintersemester angeboten werden. Du musst ja für die Zeit danach sorgen, sonst bist du auch ganz schön doof. Irgendwann hast du von dem Sport nichts mehr – da helfen auch zwei Olympiasiege nur bedingt weiter.