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Herausgezögerte Höhepunkte

Julia Ryssel hat mit ihrem Start-up Laviu ein Hightech-Sexspielzeug entwickelt, das die Damenwelt lautlos glücklich macht. Doch bis es kommt, dauert es noch etwas.

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© Ronald Bonß

Von Lars Radau

Auf das Gesicht von Julia Ryssel malt sich ein feines Lächeln. „Skalierbarkeit“, sagt sie. Mithin ein „klassischer Ingenieurs-Denkfehler“, dem auch sie erlegen sei: „Wenn der Prototyp funktioniert, und die ersten Vorserien-Exemplare auch – dann kann es ja gar nicht mehr so schwierig sein, mehrere Tausend oder gar Millionen Stück herzustellen.“ Denn eigentlich hätte das Produkt, das die in Freiberg ausgebildete Diplom-Ingenieurin für Keramik-, Glas- und Baustoffforschung gemeinsam mit ihrem Geschäftspartner, dem Produktdesigner Martin Cirillo-Schmidt, entwickelt hat, zum jetzigen Zeitpunkt zumindest schon hundertfach im Einsatz sein sollen. Die beiden haben nämlich, sagt Julia Ryssel stolz, „das erste lautlose pulsierende Lovetoy der Welt erfunden“. Ein Hochtechnologie-Vibrator, der nicht nur seine Form ändert, wenn frau sich mit ihm vergnügt, sondern dazu noch völlig geräuschlos funktioniert. Denn der hörbare Antrieb, sagen Studien und Julia Ryssel, sei bei klassischem Sexspielzeug durchaus ein Störfaktor.

Dass der „Laviu one“, wie Ryssel und Cirillo-Schmidt den Erstling ihrer Firma Laviu getauft haben, lautlos und nach Firmenangaben ähnlich zart und natürlich wie ein echter Liebhaber arbeitet, liegt an sogenannten „Smart Materials“. Die intelligenten Werkstoffe sind steuerbar und besitzen außergewöhnliche mechanische Eigenschaften. Beim Laviu one funktioniert das so: Die Elektronik gibt einen elektrischen Impuls an das Material ab, das zu schwingen beginnt. „Mit diesem Prinzip werden auch Sonnensegel an Raumsonden ausgerichtet“, erklärt Julia Ryssel, die als Ingenieurin für die technischen Aspekte zuständig ist. Das Design, für das Martin Cirillo-Schmidt verantwortlich zeichnet, ist wiederum so gestaltet, dass die erogenen Zonen pulsierend erreicht und massiert werden. „Als Martin mir 2014 eine Technologie vorstellte, die eine Bewegung ohne Geräusch ermöglicht, waren wir ziemlich schnell bei Lovetoys als Anwendungsgebiet“, erzählt die dunkelgelockte Brillenträgerin. Und ebenso schnell waren sich die beiden einig, dass das Produkt in erster Linie so ausfallen sollte, „dass es auch uns gefällt“.

Es seien, sagt Julia Ryssel, gleich mehrere günstige Faktoren zusammengekommen. „Ein eigenes, technisches Produkt für Frauen zu entwickeln, war für mich sowieso ein langgehegter Traum. Zum einen interessieren mich als Ingenieurin natürlich funktionelle Materialien sehr.“ Zum anderen finde sie es „als Frau toll, selbst mitzugestalten, welche Messlatte künftig an Love
toys angelegt wird, welche Qualität sie haben müssen und wie sie gestaltet sein sollten“.

Neben den technischen Feinheiten und der Funktionalität gehöre dazu auch unbedingt ein „hoher Anspruch an die Ästhetik“ von Design und Material, betont Julia Ryssel. Die schlägt sich im Preis nieder: Mit knapp 170 Euro rangiert der „Laviu one“ durchaus im oberen Mittelfeld des Marktes, die Modellvariante „Laviu rabbit“, die noch einen zusätzlichen, an Hasenohren erinnernden Fortsatz für die innere und äußere Massage hat, soll 199 Euro kosten. Gleichwohl fand die Idee der Laviu-Gründer schnell Zuspruch und öffentliche Aufmerksamkeit: 2015 hatten sie ihre Firma gegründet, 2016 einen ersten Prototyp präsentiert – und mit ihrer Geschäftsidee unter anderem beim sächsischen Businessplan-Wettbewerb Futuresax den dritten Platz belegt.

Auf der Veranstaltung ernteten die Laviu-Gründer auch eine lobende Erwähnung von Wirtschaftsminister Martin Dulig – staatliche Fördermittel oder Mikro-Kredite öffentlicher Stellen für Existenzgründer gab es trotzdem nicht. „Viele Institutionen haben eine Art No-Sex-Klausel“, sagt Julia Ryssel. Die Laviu-Gründer behalfen sich zunächst ein gutes Jahr damit, die Firma komplett aus eigenem Erspartem zu finanzieren, dann kam ein „Business Angel“ hinzu – ein privater Investor, der Kapital und Kontakte einbringt. Beides, sagt Ryssel, hätte auch gereicht, um die Produktion erst einmal zu starten. Gleichwohl initiierten die Laviu-Gründer für den Start der Serienproduktion ein Crowdfunding, mit dem sie 20 000 Euro einsammeln wollten. Die waren nach sechs Tagen zusammen, am Ende der Kampagne waren es fast 60 000 Euro. Fast noch wichtiger als das Geld war die öffentliche Aufmerksamkeit – zumal Julia Ryssel, die als Geschäftsführerin von Laviu operativ den Hut auf hat, parallel mit Investoren sprach.

Mit Erfolg: Seit Anfang 2017 haben ein privater Investor und der Technologiegründerfonds Sachsen (TGFS) reichlich 800 000 Euro investiert. Und ganz schnell ist Julia Ryssel wieder beim Thema Skalierbarkeit. „Ich war überrascht, wie wenig überrascht unsere Investoren waren, dass es nicht so schnell vorangeht wie ursprünglich geplant.“ Denn nach den Prototypen folgten recht schnell die Mühen der Ebene: Der Akku des Hightech-Vibrators machte recht schnell schlapp, Nutzerinnen von Vorserien-Exemplaren meldeten zurück, dass die Vibration stärker sein könne, die ohnehin nach einigen Testzyklen nachzulassen schien. Das bedeutete unter anderem eine Überarbeitung des Platinen-Designs – und weitere Verzögerungen. „Dann dauert es mal eben sechs Monate länger und kostet 100 000 Euro mehr“, sagt Julia Ryssel gelassen. Mittlerweile ist das Laviu-Team aber dabei, eine Produktion einzurichten – von der Pike auf. Die Montagestrecke ist fertig konzipiert und weitgehend aufgebaut – inklusive einer speziell für die Laviu-Bedürfnisse konfigurierten Hightech-Maschine, die bei der Hochzeit des hochkomplexen Innenlebens mit der Silikon-Außenhülle hilft. Die Herstellung soll erst einmal im Ein-Schicht-Betrieb starten, „Kapazität nach oben ist aber eingeplant“, sagt Julia Ryssel. Parallel war unter anderem die Zertifizierung zu organisieren, die endgültigen Lieferanten auszuwählen. Einige wenige Elektronik-Teile werden nun aus China zugekauft, der überwiegende Teil der Komponenten des Hightech-Vibrators kommt aus Deutschland.

Inzwischen hütet sich die Laviu-Chefin tunlichst, noch einen weiteren Termin für den Marktstart zu nennen. „Wir nehmen uns die Zeit, die wir brauchen.“ Immerhin: Nicht nur die Investoren, sondern auch die rund 650 Crowdfunding-Unterstützer, die für ihr Engagement einen Rabatt bekommen, sind bislang überwiegend bei der Stange geblieben. Und Julia Ryssel hat in den vergangenen Jahren mit allen Auf und Abs festgestellt, dass sie „deutlich gelassener“ geworden ist. „Schlaflose Nächte hat mir allenfalls meine zweijährige Tochter beschert“, sagt die 30-Jährige und lächelt. Denn das Abenteuer Start-up mit einem kleinen Kind in Angriff zu nehmen, sei „noch einmal eine besondere Herausforderung“, sagt Julia Ryssel. Die aber auch deshalb gut funktioniere, weil sie sich mit ihrem Mann Kinderbetreuung, Arbeit und Haushalt teilt. „Wir haben ursprünglich mal vereinbart, das fifty-fifty aufzuteilen“, sagt die Laviu-Chefin. „Aber wahrscheinlich schaffe ich das nicht ganz.“

Neben den Tagen im Büro und auf Terminen gibt es bei Julia Ryssel auch Homeoffice-Tage, bei denen sie in Schlafphasen ihrer Tochter noch leise „konzeptionelle Geschichten“ und Mails am Laptop bearbeitet. Selbst, wenn mal ein Skype-Gespräch nötig ist – „vieles kann ich mir so einteilen, dass es zum Rhythmus meiner Tochter passt“, sagt die Laviu-Gründerin. Zwar seien die Homeoffice-Tage im Vergleich zu den Bürotagen „eher Slow Motion“. Aber, betont Julia Ryssel, „das hilft mir, um zwischendurch den Kopf frei zu bekommen und den Blick fürs große Ganze nicht zu verlieren.“

Um diesen Blick zu weiten, ist die Laviu-Gründerin mit ihrer Firma 2017 bewusst ins Dresdner Impact-Hub am Hauptbahnhof gezogen. Das Dresdner Gründerzentrum mit Coworking-Space versteht sich „als Ideenlabor zur Verknüpfung von Start-ups, Mittelstand und Forschung“. Tatsächlich, sagt Julia Ryssel, lassen sich in dieser Umgebung gut Kontakte zu anderen Start-ups und Gründern finden. „Die haben in ähnlichen Wachstumsstufen ihrer Projekte oder Firmen durchaus schon vor ähnlichen Herausforderungen gestanden.“ Darüber beim Kaffee zu plauschen, könne „wichtige Impulse“ geben. Überhaupt sei die Dresdner Szene recht gut vernetzt. Die Vision, die Julia Ryssel mit Laviu hat, geht aber weit über Dresden hinaus: „Ich möchte dazu beitragen, dass wir entspannt über unsere Sexualität sprechen können und dass jeder Mensch ein erfülltes Sexleben und ein gutes Verhältnis zu seinem Körper hat.“