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„Halt die Klappe und fahr einfach“

Die Olympia-Zweite Steffi Kriegerstein spricht über das Training in einer Männergruppe, ihr Körpergefühl und ihre neue Rolle im Kanu-Nationalteam.

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© Robert Michael

Von Alexander Hiller

In diese Rolle würde Steffi Kriegerstein nie freiwillig schlüpfen. Jetzt ist sie durch äußere Einflüsse wahrscheinlich dazu gezwungen. Zu einer Führungsrolle innerhalb des Deutschen Kanu-Verbandes (DKV). Und das sowohl in der äußeren Wahrnehmung, als auch im inneren Kreis.

Die 25-Jährige vom KC Dresden war in den letzten zwei Jahren fester Bestandteil des Kajak-Vierers, des Aushängeschilds im Frauenbereich des erfolgreichsten deutschen Sportverbandes der letzten Jahre. Mit dem Großboot heimste Kriegerstein ihre wichtigsten Erfolge ein – Olympia-Silber in Rio und WM-Silber im Vorjahr – jeweils über 500 Meter.

Nun fällt die Stammbesatzung zumindest für diese Saison auseinander. Die Leipzigerin Tina Dietze (Haarriss im Schulterblatt) und Sabrina Hering-Pradler (Kreuzbandriss) fehlen offenbar für längere Zeit, wenngleich beide derzeit mit im Trainingslager vor dem ersten Weltcup in einer Woche in Duisburg sind.

„Ja“, sagt Kriegersteins Heimtrainer Jens Kühn, „Steffi müsste sich sportlich als Führungspersonal aufdrängen – und da auch mal Dinge in oder die Nachwuchsleute an die Hand nehmen. Da könnte sie aktiver sein“, fordert der Coach, „gerade mit Hinblick auf Olympia 2020.“ Schließlich geht es für die vier olympischen Strecken bei den Kanu-Damen – K 1 200 Meter sowie K 1, K 2 und K 4 über jeweils 500 Meter – um nur vier, maximal fünf deutsche Startplätze. Da könne eine entsprechende innerbetriebliche Positionierung zum jetzigen Zeitpunkt nicht schaden.

Sein Schützling sieht das etwas gelassener. Auch, weil die gebürtige Dresdnerin keine ist, die sich ins Rampenlicht drängelt. „Ich persönlich sehe unsere Gruppe nicht in klassischen Rollenverteilungen und erkenne für mich da keine neue Rolle“, sagt sie. Führungsansprüche zu formulieren, kommt ihr fremd vor. Wenngleich sie dennoch Gehör findet – auch mit durchaus kritischen Anmerkungen. „Seitens der Damen hält man sich im Deutschen Kanu-Verband sowieso immer sehr bedeckt. Ich hätte gern manchmal schon ein, zwei Gespräche mehr, um einfach zu wissen, wohin die Reise gehen soll“, sagt Kriegerstein. Sie selbst könnte sich beispielsweise vorstellen, auch den prestigeträchtigen Einer über 200 oder 500 Meter zu paddeln, aber sie weiß eine Woche vor dem Start in die Weltcup-Saison noch nicht, ob das auch für den Verband eine Option wäre.

Steffi Kriegerstein hat häufig ihren eigenen Kopf. Das liegt bei der Studentin für Medienmanagement auch daran, dass sie in Dresden in einer Männergruppe mit Olympiasieger Tom Liebscher an der Spitze trainiert. „Ich bin so aufgewachsen und es nicht anders gewohnt. Ich muss nicht ewig um den heißen Brei reden. Anfangs trainierte ich in einer Mädchengruppe – und war tierisch genervt.“ Bei Jungs müsse man eher auf den Punkt kommen und auch mal sagen: „Halt die Klappe und fahr einfach. Bei den Mädels kam das nicht so gut an“, erinnert sich die Olympia-Zweite. „Ich habe die Kerle lieb und bin auch ganz froh, dass ich sie habe.“

Mit dieser Einstellung erträgt sich der raue Umgangston, der auch eine sehr sensible Frauenseite berührt: den eigenen Körper. Kriegerstein misst 1,78 Meter bei 70 Kilogramm Gewicht. Eine attraktive junge Frau – aber mit etwas breiterem Kreuz, muskulöseren Armen. In der Trainingsgruppe wird Frau Kriegerstein hin und wieder mit dem Spitznamen „Stefan“ traktiert – und kann darüber lachen. „Ich bin nun mal nicht die weiblichste Person auf der Welt“, sagt sie. Auf lackierte Fingernägel verzichtet die Paddlerin aber selbst im Wettkampf nicht. „Ich war mit meinem Körper nie unzufrieden. Ich mache Leistungssport, und dabei kommt zum Glück auch etwas rum.“ Probleme bekommt sie nur beim Shoppen: „Ich brauche T-Shirts in der 40 oder 42 – die sitzen am Rücken perfekt, hängen aber am Bauch, als wäre ich im zehnten Monat schwanger“, sagt sie lachend. Das ist eine Rolle, mit der sie sich irgendwann anfreunden könnte – frühestens nach Olympia 2020.