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Hagel tötet Störche

Zehn Jungtiere gibt es im Altkreis Meißen – allerdings sind die Horste in Zehren und Rhäsa ohne Nachwuchs.

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© Sebastian Weisz

Von Udo Lemke

Landkreis Meißen. Aus seinem Arbeitszimmer in Zehren kann Jürgen Biller den alten Fabrikschornstein mit dem Nest sehen. Oberhalb an der Wand des einstigen Steinbruchs dahinter ist eine Kamera installiert. Er klickt eine Aufnahme an, und der Tiefpunkt eines Beziehungsdramas läuft ab: Die Störchin ist kurz weggeflogen, um sich ein paar Regenwürmer, Mäuse oder Frösche zu fangen, denn Brüten macht hungrig. Der Storch passt die Gelegenheit ab, nimmt das große weiße Ei in den Schnabel und wirft es über den Nestrand. So hat er es schon mit einem zweiten zuvor gemacht.“ Der Grund? Die Eier sind nicht von ihm. Die Störchin hat sich von einem anderen begatten lassen.

Nicht überlebt hat es dieser Jungsstorch vom Lommatzscher Horst. Zwar versuchte die Störchin, vier Junge vor dem Hagel-Unwetter am 1. Juni unter ihrem Gefieder zu schützen, doch dieser kam darunter hervor und stürzte aus dem Horst.
Nicht überlebt hat es dieser Jungsstorch vom Lommatzscher Horst. Zwar versuchte die Störchin, vier Junge vor dem Hagel-Unwetter am 1. Juni unter ihrem Gefieder zu schützen, doch dieser kam darunter hervor und stürzte aus dem Horst. © Sebastian Weisz

Allerdings ist die Eifersucht nur halb berechtigt, denn der Storch hat selbst eine Andere in Niederlommatzsch, mit der er gebrütet und Junge aufgezogen hat. Dennoch kommt er fast jeden Tag von Niederlommatzsch zum Horst nach Zehren, um nach dem Rechten zu sehen. Die Störchin ist nun eierlos und ohne „Mann“-Storch. „Störche sind nesttreu, nicht partnertreu“, erklärt Jürgen Biller. Wie die Menschen, könnte man ergänzen.

Hauptberuflich ist Jürgen Biller Fliesenleger. Das Amt des Storchenbetreuers für den Altkreis Meißen hat er in diesem Jahr vom erkrankten Bernd Katzer übernommen – natürlich ehrenamtlich. Ihm hat er seit 1992 seine Beobachtungen des Geschehens auf dem alten Werksschornstein mitgeteilt. Nun sind es andere, von denen er Daten sammelt. In diesem Jahr sind drei Jungstörche im Nest von Niederlommatzsch aufgewachsen. Im vergangenen Jahr war es nur einer. Im Lommatzscher Horst gab es gar fünf Jungtiere. Allerdings kamen zwei um. „Einer war ein Kümmerling, einer ist beim Hagel-Unwetter am 1. Juni abgestürzt (siehe zweites Foto). Zwar habe die Störchin alle vier Jungtiere unter ihrem Gefieder verborgen, aber einer war hervorgekrochen und so aus dem Horst gefallen. Im vergangenen Jahr hatte es vier Jungstörche in Lommatzsch gegeben, die alle aufgezogen worden sind.

In Meißen Zaschendorf gibt es aktuell drei Jungstörche. „Die machen jetzt schon Flugversuche“, erzählt Günter Löwe, der die Vögel beobachtet und seine Fotos und Aufnahmen an die Naturschutzbehörde weitergibt. Im vergangenen Jahr hatte es keinen Jungstorch gegeben. Zwar hatte ein Paar zu brüten begonnen, doch war es von einem anderen vertrieben worden, auch hier wurden die Eier aus dem Nest geworfen. „Dieses Paar hat nun in diesem Jahr die drei Jungstörche.“

Bliebe noch der Horst in Nossen. Erstmals brüten die Störche an der Lederfabrik. Auch hier hat das Hagel-Unwetter Anfang Juni den Nachwuchs dezimiert. Zwei von drei Jungstörchen kamen dadurch ums Leben. Einer sei wohlauf, sagt Jürgen Biller. „In Rhäsa hatte ein Paar schon Junge ausgebrütet, doch im Mai hat es den Horst aufgegeben, ist fortgeflogen und nicht wiedergekommen, der Grund ist nicht bekannt.“

Mit aktuell zehn Jungstörchen gibt es damit genau so viele im Altkreis Meißen wie im vergangenen Jahr. Damit kommen auf vier Paare jeweils 2,5 Junge. Zwei wären notwendig, um den Weißstorchbestand stabil zu halten. Allerdings drückt die verlassene Störchin in Zehren den guten Schnitt. Zum Vergleich: Noch 2016 war die durchschnittliche Jungenzahl pro Horst in Sachsen von zuvor 1,9 auf 1,6 Junge pro Paar gesunken.

Die trockene Witterung kommt den Störchen insofern entgegen, als die Jungen nicht durch Kälte und Regen gefährdet worden sind. Allerdings haben die Weißstörche wie fast alle anderen heimischen Vogelarten mit dem Rückgang des Nahrungsangebotes aufgrund der intensiven Landwirtschaft zu kämpfen. Insekten, Frösche und Mäuse werden durch Schädlingsbekämpfungsmittel vernichtet und damit auch die natürliche Nahrungsgrundlage der Störche.

Wie sehr der Storch immer noch zu unserer Landschaft und Kultur gehört, zeigen Anfragen aus Rhäsa bei Jügern Biller: „Die Leute wollen wissen: Wo sind unsere Störche hin? Kommen sie irgendwann wieder?“ Denn nach wie vor zähle der Storch als Glücksbringer.