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„Hätte nie gedacht, dass ich auf den Enkeltrick reinfalle“

Die meisten Maschen von Telefonbetrügern sind bekannt. Und doch gelingt es ihnen noch immer, zu überraschen.

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© Sven Ellger

Von Franziska Klemenz

Bautzen. Renate Schmidt grübelt. Aus der Ohrmuschel dringt eine Stimme, die eine Antwort verlangt. Eigentlich hatte die 84-Jährige ja selbst gefragt – wer dran ist, wollte die Seniorin wissen. „Na, rate mal.“ – „Inge, bist du‘s?“, fragt Renate. Und erntet prompt ein freudiges „Jaaa!“ Es folgt ein Wortwechsel à la Rotkäppchen und der Wolf: „Deine Stimme klingt ja so anders.“ – „Das ist die Stimmband-Entzündung, die ich erst hatte. Hast du gerade Zeit?“

Renate Schmidt ist beschäftigt, will ihre vermeintliche Bekannte zurückrufen. Sie werde lieber selbst anrufen, sagt die Stimme. Als es klingelt, sagt Renate Schmidt: „Die Inge ist’s.“ Ehemann Klaus nimmt den Hörer. Die Stimme erzählt, dass sie in einer Kanzlei sitze. Eine Wohnung habe sie sich gekauft und eine Rate nicht gezahlt.

„Wenn ich heute nicht zahle, drohen 3 000 Euro Strafe, aber meine Bank hat heute zu“, erklärt sie. „Ob ihr mir das Geld bis Freitag vorstrecken könntet?“ Es geht um 29 000 Euro. Schmidts beraten sich. Selbst wenn sie wollten und könnten, so viel würde ihre Bank binnen weniger Stunden nicht herausgeben. Sie lehnen ab. Die Stimme heult: „Das hätte ich von euch nicht gedacht!“

Tage später ruft das Ehepaar bei Inge an. Von dem Anruf mit der Bitte um Geld hat die Bekannte keine Ahnung. Diesmal ist es die richtige Inge.

„Ich habe mich immer gefragt, wie man nur so dumm sein kann, auf den Enkeltrick hereinzufallen“, sagt Renate Schmidt einige Zeit später. „Ich hätte nie gedacht, dass ich auf so was reinfalle. Und dann passiert es einem selbst. Zum Glück haben wir das Geld nicht hergegeben.“ Die Polizei habe wenig Interesse, die Sache zu verfolgen. „Die haben uns gesagt, dass es so oft vorkommt“, sagt Klaus Schmidt. Eine Spur gebe es ohnehin nicht. „Ich ärgere mich, dass ich nicht gesagt habe: ‚Komm vorbei‘, und dann die Polizei gerufen habe. So hätte man jemanden schnappen können.“

Aus diesem Grund bevorzugen Täter Strategien, bei denen sie ihren Opfern nicht von Angesicht zu Angesicht begegnen. „Wenn die Opfer das Geld via Western Union überweisen oder per Amazon-Gutschein zahlen, ist die Gefahr, geschnappt zu werden, viel geringer“, sagt Marko Laske, Sprecher der Dresdner Polizei. Wie viele Fälle es gibt, ist unklar. Die Polizei führe Telefonbetrug nicht einzeln in der Statistik. „Wir beobachten aber ein fortlaufendes Phänomen“, so Laske. Erst kürzlich gab es viele solcher Anrufe in Ostsachsen. Die Nummer 089 785761980, vermeintlich aus München, erschien auf den Anruf-beantwortern vieler älterer Menschen. Einige von ihnen haben der SZ die Nachrichten vorgespielt.

Die Welt ist nicht mehr rosarot
Eine Computer-Stimme trägt in Sätzen, voller Grammatikfehler ihr Anliegen vor: „Ihren Gewinn, den Sie gewonnen haben – Ihre Akte ist bei uns angekommen“, heißt es. „Rufen Sie uns an. (...) Unsere Rufnummer ist kein Sonder-Rufnummer, sondern eine normale Festnetz-Rufnummer. Bitte bereiten Sie Ihre Aktennummer.“ Man rufe von der Kanzlei Artmann und Kollegen an.

„Da ist offensichtlich was faul“, sagt Ilse Kummer, als die Stimme auf ihrem Anrufbeantworter erlischt und das Gerät sich mit einem Piepsen verabschiedet. Die 83-Jährige meldete sich bei der SZ, um andere zu warnen. In einem bodenlangen Kleid, mit Gold und Perlen geschmückt, sitzt sie auf ihrer Couch. Zu Hause hat sie keine Angst vor Gaunern. „Bei uns im Haus passt man aufeinander auf“, sagt Kummer. „Die Welt da draußen ist aber nicht mehr rosarot, da muss jeder etwas tun. Die alten Leute hier sind in der DDR groß geworden, da kannte man solche Betrügereien nicht.“

Im Internet beschwerten sich in den letzten zwei Wochen rund 50 Menschen aus Dresden und anderen Städten über Anrufe derselben Nummer. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Manche riefen zurück. Dann versprachen Frauen sechsstellige Gewinnsummen; dafür sei nur eine kleine Zahlung nötig. Diesmal meldeten sich Frauen mit echten Stimmen. Mal gaben sie sich als Schwarz, mal als Neuberger, Vogt oder Gräfe aus. Oft mit osteuropäischem Akzent.

Auf Nachfrage gab eine an, in der Münzstraße 7 zu sitzen. In dem Altbau in München gibt es einen Thai-Spa und ein Hotel. Eine Kanzlei? Fehlanzeige. Ebenso wenig, wie es in München eine Kanzlei Artmann und Kollegen gibt. Der Bundesnetzagentur ist die Nummer bekannt. Die Münchner Polizei gibt auf Nachfrage an, sie noch nicht zu kennen. „Erst, wenn jemand Anzeige erstattet, können wir ermitteln“, sagt eine Sprecherin. Viele Opfer täten das nicht. Aus Scham für ihre Gutgläubigkeit.