Von Nadja Laske
Die große weite Welt war nicht am Balaton zu Ende. Sie reichte durch viele Sowjetrepubliken, man musste nur tüchtig sparen und sich rechtzeitig am Reisebüro anstellen. Als Jörg Schöner davon hörte, dass es von der DDR aus eine Fahrt mit der Eisenbahn nach Georgien gab, war er begeistert. So machte er sich 1964 mit einer Reisegruppe auf den Weg, ohne zu wissen, dass er seine Seelennähe zum Kaukasus entdecken würde. Auch dass er Fotograf werden würde, ahnte der damals 20-Jährige nicht. Zunächst studierte er Mathematik. Später wurde Jörg Schöner Experte für Industriefotografie und nach der Wende Dokumentar der bedeutendsten Rekonstruktionen historischer Gebäude.
So fand er innerhalb weniger Jahre drei Lieben: Die zu fernen Landschaften und Architekturen, die zur Fotografie und die zu seiner Frau. Mit ihr besuchte er Georgien ein weiteres Mal – und ein letztes Mal in größerer Gruppe. Das künftige Fortbewegungsmittel im Rahmen offiziell erlaubter Einzelreisen hieß Trabant Kombi. „Bis zu 10 000 Kilometer weit sind wir damit durchs georgische Swanetien und Mittelasien gefahren“, erzählt Jörg Schöner. Drei solche Touren stand der treue Trabi durch. „Manchmal haben wir damit so tief im Schlamm gesteckt, dass die Tür nicht mehr aufging.“ Reisebedingungen, die sich heute kaum noch jemand vorstellen kann: Im Zweitakter durch Gebirgsregionen, Übernachtungen im Straßengraben und auf Gletscherboden, stundenlange Fußmärsche, einfachste Kletterausrüstung. Fünf- und Sechstausender bestiegen Jörg Schöner und sein Freund Albrecht Schulze – der Fotograf für einmalige Aufnahmen und der Geophysiker aus Forscherdrang.
Taufe und Fußwaschung
„Einmal haben wir Hirten gefragt, wie weit es noch bis zur nächsten Ortschaft ist, sie zeigten fünf Finger“, erinnert sich der
74-Jährige. Fünf Kilometer dachten die Reisenden, fünf Stunden Fußmarsch waren gemeint. „Völlig am Ende unserer Kräfte kamen wir an und wurden von einem Geistlichen begrüßt, der uns aus einem Silberkännchen Wasser über die Füße goss.“ Das Ritual der Fußwaschung als Zeichen großer Gastfreundschaft. Staatsvertreter hingegen beargwöhnten Jörg Schöner gelegentlich. Zu ungewöhnlich war es, Fremde durchs Land ziehen zu sehen. „Wir hatten aber ein Dienstvisum für Georgien und durften uns frei bewegen.“ Schließlich war der Fotograf ab 1974 im Auftrag des Brockhausverlages unterwegs, um Material für die Illustration von Büchern zu liefern.
Auch allein reiste Jörg Schöner, in entlegenste Regionen, 40 Jahre lang. Er fand Wegbegleiter und Freunde, Bergsteiger, mit denen er aufstieg, trotz Sprachbarrieren. „Wenn einer ruft: Achtung, Steinschlag! und man versteht es nicht, kann das schon dumm ausgehen.“ Doch ob Russisch, Georgisch oder Deutsch – Jörg Schöner traf Menschen, die ihm bis heute am Herzen liegen. Wie die Familie der Frau, zu deren Taufe er einst kam wie die Jungfrau zum Kind. „Ein älterer Herr hatte mich am Straßenrand aufgegabelt und im Auto mitgenommen.“ Kurzerhand lud er den einsamen Reisenden zu sich ein, wo gerade gefeiert wurde. Erinnerungen wie diese begleiten die Fotografien aus vier Jahrzehnten, die Jörg Schöner nun in seinem Buch „Georgien und der Kaukasus“ veröffentlicht. Ein Ruhepol in Schwarz-Weiß, „während es ringsum flimmert und flackert“.
Imhof Verlag, ISBN: 978-3-7319-0722-0, 29,95 Euro