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Füreinander da sein

In Niesky standen die Selbsthilfegruppen im Rampenlicht. Begüßt wurden sie von Harald Schmidt per Videoclip – auf seine gewohnt schnoddrige Art.

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© André Schulze

Von Frank-Uwe Michel

Niesky. Er war so etwas wie der Überraschungsgast: Entertainer Harald Schmidt grüßte die Ehrenamtlichen bei der Verleihung der Selbsthilfepreise des Landkreises per Videoclip. Und das auf seine gewohnt schnoddrige Art: Michael Ballack komme doch aus Görlitz und habe sich schon bei zwei Selbsthilfegruppen engagiert – beim FC Bayern und in der deutschen Fußballnationalmannschaft. Sich für andere einzusetzen könne also nur eine tolle Sache sein, so Schmidt.

Genauso, aber mit einem ernsteren Hintergrund, sieht dies Manuela Thomas, die Geschäftsführerin des Sozialen Netzwerkes Lausitz, das zusammen mit dem Landkreis und der AOK Plus zur Preisverleihung eingeladen hatte. „Ehrenamt und Selbsthilfe sind entscheidende Faktoren für Menschen, die allein sind und Teilhabe brauchen.“ Meckern sei sicherlich auch eine Form der Selbsthilfe, aber dies zum Wohle anderer zu tun, natürlich viel besser. Der Landkreis Görlitz sei in dieser Beziehung auf einem guten Weg. „In diesem Jahr sind elf neue Selbsthilfegruppen dazugekommen – unter anderem für rheumatische Erkrankungen, Depressionen oder traumatische Geburtserlebnisse.“ Insgesamt gebe es mehr als 150 im Kreisgebiet.

In Zeiten von Digitalisierung, Kommerz und Anonymität spricht Nieskys Oberbürgermeisterin Beate Hoffmann den Selbsthilfegruppen eine unschätzbare Bedeutung für das Funktionieren der Gesellschaft zu. „Gegenseitige Unterstützung ist heute ganz wichtig, zumal die Gruppen in der Öffentlichkeit leider noch immer keine große Rolle spielen.“ Niesky versuche gegenzusteuern. „Wir leisten unseren Beitrag. Gemeinsam sollten wir überlegen, wo noch etwas zu tun ist.“ Die Stadt werde Betroffene im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen.

Das sind die Ausgezeichneten

Barbara Appolt, SHG für betreuende und trauernde Angehörige von an Demenz Erkrankten (Görlitz): Sie ist sozusagen die „Mutter“ der Gruppe, spendet allen Mitgliedern Trost, sorgt für Zusammenhalt und die Stärkung des Einzelnen. Sie hat sich für die Vernetzung mit Kliniken, Pflegeeinrichtungen und Fachleuten eingesetzt. Zudem organisiert sie gemeinsame Ausflüge, Kuraufenthalte und kreatives Arbeiten.

Renate Gnaden, SHG Depressionen und Ängste (Görlitz): Sie hat die SHG vor 18 Jahren gegründet und ist immer noch mit ganzer Leidenschaft dabei. Für sie ist die Gruppe ein Ort der Geborgenheit, von Verständnis und Vertrauen. Dies möchte sie auch den anderen 19 Mitgliedern vermitteln. Immer wieder gelingt es ihr, zu den gemeinsamen Treffen Therapeuten, Psychologen und Heilpraktiker einzuladen.

Lothar Gothan, SHG Diabetiker Niesky und Umgebung: Durch sein Wirken ist die Gruppe auf 36 Mitglieder angewachsen, außerdem konnten zwei weitere Selbsthilfegruppen gegründet werden. Für alle Interessenten ist er ständiger Ansprechpartner bei Fragen und Problemen. Zugleich ist er Hauptinitiator des Schulprojektes „Behindern verhindern – Zeit für Aufklärung“.

Selbsthilfegruppe Parkinson „Südliche Oberlausitz“ (Zittau): Die SHG mit ihren derzeit 68 Mitgliedern bekommt den diesjährigen Gruppenpreis. Zwölf Veranstaltungen werden im Jahr organisiert, hinzu kommen Vor-Ort-Besuche in Pflegeheimen und Krankenhäusern. Seit 2014 wird der Oberlausitzer Parkinson-Tag durchgeführt – für die Gruppe der alljährliche Höhepunkt. Elmar Günther, eines der langjährigsten und aktivsten Mitglieder, lobt den Zusammenhalt und die Kameradschaft. Jeder sei bereit, sein Bestes zu geben. Immer wieder informiert die Gruppe auch in der Öffentlichkeit über Neuigkeiten, Veranstaltungen und Hilfsangebote.

Gunter Schock, Selbsthilfe-Videopreis (Weißwasser): In seinem Videoclip spricht Gunter Schock die Fähigkeit zu Teilen an. Sie sei ganz wichtig für die Gesellschaft, wenn man reich an Herz, Charakter und Seele durchs Leben gehen wolle. Der jetzt trockene Alkoholiker hat sich einst Hilfe gesucht, eine Therapie gemacht und sein Leben aufgearbeitet. Heute geht er wieder mit einem Lächeln auf seine Mitmenschen zu. Sein Credo: „Ihr da draußen, das schafft ihr doch auch!“ (SZ/fum)

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Für Ottmar Walz ist das ehrenamtliche Engagement für andere „der Kitt in der Gesellschaft, ohne den es einfach nicht läuft“, sagt der Geschäftsführer der AOK Plus Sachsen/Thüringen. Die Krankenkasse wolle nicht nur Geldgeber sein – immerhin unterstütze man die Selbsthilfe in den beiden Bundesländern mit jährlich vier Millionen Euro – sondern auch mit Rat und Tat helfen. Vor allem Suchtthemen seien der Gesellschaft leider nur sehr schwer zu vermitteln. Immerhin leiste das Soziale Netzwerk Lausitz als Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe und Selbsthilfeinteressierte (Kiss) eine fantastische Arbeit. „Es ist hier in weitem Umkreis ein Vorzeigeprojekt.“

Die Wichtigkeit ehrenamtlichen Engagements hat man längst auch im Freistaat erkannt. „Als ich noch Bundestagsabgeordneter war, habe ich mich mit vielen Initiativen getroffen und ihnen für ihre Projekte mal 50 oder 100 Euro gegeben“, erzählt Michael Kretschmer. Als Ministerpräsident begegne ihm das Thema nun wieder. Schon in diesem Jahr bekomme jeder Landkreis deshalb ein sogenanntes Ehrenamtsbudget von 100 000 Euro. Im nächsten Jahr seien es dann 200 000 Euro. Der Landkreis Görlitz gehe dabei einen Sonderweg und verwende das Geld für Strukturverbesserungen. „Das ist sicher gut. 2019 sollten dann aber Beträge direkt an die Selbsthilfegruppen fließen“, mahnt er an.

Sozialdezernentin Martina Weber freut sich, wenn das Netz der Gruppen im Landkreis weiter wächst. „Wenn Leute mit Erfahrungen dort am Werke sind, fällt es uns umso leichter, die zur Verfügung stehenden Mittel zielsicher einzusetzen.“ Künftig bekomme jeder Planungsraum ein eigenes Budget. Um an die Gelder zu kommen, könnten Selbsthilfegruppen und andere ehrenamtliche Strukturen Anträge stellen.

Laut Netzwerk-Chefin Manuela Thomas befindet sich aber auch die Selbsthilfe derzeit in einem Wandlungsprozess. Das Internet dürften die Gruppen nicht als Feind begreifen, aus dem Betroffene sich jederzeit nicht immer richtige Informationen ziehen könnten. Man müsse selbst digital aktiv werden und neue Wege gehen. Selbsthilfegruppen seien gut, aber nicht immer ausreichend. Auch die Eins-zu-Eins-Beratung werde künftig eine noch größere Rolle spielen.