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„Fake News aus der Infinus-Zentrale“

Nach 158 Verhandlungstagen will die Staatsanwaltschaft die Ex-Manager der Dresdner Finanzgruppe in Haft schicken.

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© Robert Michael

Von Ulrich Wolf

Schon der Anfang war schwierig. Damals, am 16. November 2015, hatte Staatsanwalt Arnulf Berner eine 757 Seiten starke Anklageschrift vor sich liegen. Auf mehr als 500 Seiten davon hatten die Ermittler mehr als 20 000 Anleger samt Adressen und ihre Anlageprodukte aufgelistet. Allesamt waren Kunden des Dresdner Finanzdienstleisters Infinus. Und dessen sechs führende Manager sollen sie betrogen haben. Mit einem ausgeklügelten Schneeballsystem, das nach außen eine erfolgreiche Welt mit hohen Gewinnen, guter Reputation, prominenten Fürsprechern und einem stetig wachsenden Unternehmensvermögen vorspiegelte. Tatsächlich aber sollen die zahlenden Zinsen an die Anleger nicht durch langfristig sich rechnende Investitionen finanziert worden sein, sondern durch immer neu eingesammeltes Anlegergeld. Zum Verlesen dieses Kerns der Anklage, komprimiert auf 13 Seiten, benötigte Berner nur 20 Minuten. Damals, im November 2015.

Zweieinhalb Jahre später war für den 52 Jahre alten Staatsanwalt die Herausforderung ungleich größer. Am Freitag hatte er die Geschehnisse von 158 Verhandlungstagen zusammenzufassen, die Aussagen von 238 Zeugen, die Auswertung elektronisch gescannter Daten im Umfang von fast 20 Terabyte. Drei Gutachter hatten umfangreich doziert über betriebswirtschaftliche Kennziffern, Versicherungsmathematik, Wahrscheinlichkeits-Arithmetik.

Berner schaffte es. Drei Stunden dauerte sein Plädoyer. Und er kam zu einem aus seiner Sicht eindeutigen Ergebnis: Die sechs Infinus-Manager seien schuldig, allein zwischen 2011 und 2013 durch gemeinsames Handeln ihre Kunden getäuscht und damit betrogen zu haben. Der Schaden belaufe sich auf mindestens 150 Millionen Euro.

Für den Firmengründer und Hauptangeklagten Jörg Biehl aus Dresden beantragte der Staatsanwalt acht Jahre Haft. Er sei bei Infinus die zentrale Figur gewesen, habe die Hauptverantwortung getragen, Lageberichte verfasst, analysiert, das Geschäft gesteuert. „Infinus war zwar Ihr Lebenswerk, Herr Biehl, zum Schluss aber haben Sie mit unlauteren Mitteln gekämpft.“

Die Ankläger sind überzeugt, dass die Infinus-Gruppe „spätestens ab 2011“ nicht mehr in der Lage war, ihren tatsächlichen Zahlungsverpflichtungen auf Dauer nachzukommen. Das sei nur durch das Einsammeln von immer neuem Anlagekapital gelungen. „Ein solches Modell ist latent instabil, es muss wachsen, um dann irgendwann zu platzen“, sagt der Ankläger. Umso wichtiger sei es daher gewesen, dass die Staatsanwaltschaft Anfang November 2013 einschritt, die führenden Köpfe verhaftete und damit den Geschäftsbetrieb lahmlegte. Wenig später ging der Großteil der Firmengruppe pleite.

Seiner Ansicht zufolge haben die Manager zu spät, zu wenig oder gar nicht auf dauerhaft renditeträchtige Investments gesetzt, sondern sich mit Pseudo-Geschäften innerhalb des eigenen Firmenkonglomerats über Wasser gehalten. Das aber sei nicht nach außen kommuniziert worden, weder den Vermittlern der Finanzprodukte noch den Anlegern. So seien potemkinsche Dörfer gebaut worden.

Der Wirtschaftsprüfer von Infinus, gegen den separat ermittelt wird, habe das unlautere Geschäftsmodell unterstützt, indem er die Bilanzen testierte. In den veröffentlichten Jahresabschlüssen sei deshalb nur von „Geschäften mit Großkunden unter Einsatz von verbundenen Unternehmen“ die Rede gewesen. Dass diese Großkunden in Wirklichkeit Firmen aus dem eigenen Infinus-Reich waren, sei verschwiegen worden. „Das war Methode, eine gezielte Täuschungsstrategie“, sagte Berner.

Stattdessen seien hohe Gewinne und stetiges Vermögenswachstum vorgespiegelt worden: bei Versicherungen, Beteiligungen, Immobilien und Edelmetallen. So hätten sich hinter den angeblich millionenschweren Goldbeständen in der Bilanz lediglich vorausgezahlte Gebühren für den künftig geplanten Golderwerb verborgen. „Die Verantwortlichen haben schlichtweg gelogen“, schlussfolgerte Berner. „Fake News nicht aus dem Weißen Haus, sondern von Infinus am Käthe-Kollwitz-Ufer.“

Für den Infinus-Vertriebsmanager Rudolf Ott, 57, beantragte die Staatsanwaltschaft sechs Jahre und zehn Monate Haft. Mit acht Monaten weniger soll Otts Kollege Kevan Kadhkodai, 52, davonkommen. Bei ihm sei „eine gewisse Erkenntnis“ durchgeschimmert, sagte Berner. Den Hausjuristen von Infinus, Siegfried Bullin, ebenfalls 52, will die Staatsanwaltschaft für fünf Jahre und acht Monate hinter Gitter bringen. Buchhalter Jens Pardeike, 51, habe „im Ansatz Reue gezeigt“ und sich am wenigsten bereichert; er soll für fünf Jahre und zwei Monate in Haft. Den jüngsten im Bunde, Andreas Kison, 49, bezeichnete der Staatsanwalt „als Mann fürs Grobe“, ohne die Machtfülle, wie sie die anderen Angeklagten gehabt hätten. Dennoch müsse auch Kison für vier Jahre und zehn Monate in Haft.

Darüber hinaus hat die Ermittlungsbehörde beantragt, das Vermögen der Angeklagten einzuziehen: insgesamt rund 50 Millionen Euro. Der Großteil davon lag bei Infinus-Gründer Biehl.