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Entgleisungen im Meißner Wahlkampf

Im Internet und am Telefon werden Unterstützer teils wüst beschimpft und bedroht.

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© Claudia Hübschmann

Von Peter Anderson

Meißen. Fünfzehn bekannte Meißner Persönlichkeiten haben sich jetzt mit einem offenen Brief zu Wort gemeldet. Sie erinnern daran, dass zahlreiche Bürger vor knapp 30 Jahren für eine freie Meinungsäußerung auf die Straße gegangen sind.

„Auch heute braucht es ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein und Mut, um seine Meinung öffentlich zu vertreten“, schreiben sie weiter. Erschreckend seien die Reaktionen gewesen, als sich öffentlich 61 Meißner zu Amtsinhaber Olaf Raschke (parteilos) als ihrem Kandidaten bekannten. Aus dem Unterstützerkreis um den Herausforderer Frank Richter (parteilos) sind nach Angaben der Briefschreiber Raschkes Anhänger „als Umfaller und käufliche Personen“ bezeichnet worden. Stadträten wurde namentlich Filz und Eigennutz unterstellt, ohne dafür belastbare Belege zu liefern, ist in dem Brief zu lesen. Wörtlich heißt es: „Wie geht das zusammen? Gibt es hier eine Doppel-Richter-Strategie: Zum einen der versierte Moderator, der vermitteln will und zum anderen eine rücksichtslose Unterstützermannschaft, die ihm den Weg im Wahlkampf ebnet?“

Konkret liegen der SZ Angaben zu mindestens drei Fällen vor, welche in die im offenen Brief benannte Entwicklung passen. So schrieb SPD-Stadtrat Matthias Rost in einer internen Nachricht an den Meißner Stasi-Auflöser Matthias Kornetzky: „Warum bist Du noch beim Hahnemannzentrum. Du solltest dort aufgrund Deiner rechten Hetze rausgeschmissen werden.“ Im Nachhinein bezeichnet der Sozialdemokrat am Dienstag seine Zeilen als voreilig. Richterin Gritt Kutscher am Meißner Amtsgericht war von ihm zuvor gleichfalls als „schlimme Hetzerin“ bezeichnet worden.

Weiter ging der Fernsehmann Ullrich E. Brumm bei Facebook. Er äußerte dort gegenüber der Meißner Unternehmerin Kathrin Hinz: „Frau Goebbels, Sie sind das Letzte.“ In einem nächsten Kommentar wandte sich Ullrich E. Brumm an Jens Mahlow vom Kornhaus-Verein „Mit Zahnrad & Zylinder“: „Darüber sollten wir mit Ihrem Arbeitgeber sprechen.“ Diese Drohung bezog sich auf eine Äußerung Mahlows, mit der dieser gegen den OB-Kandidaten Frank Richter polemisierte.

Von einem Boykott-Aufruf berichtet am Dienstag gegenüber der SZ der Geschäftsführer der Sächsischen Winzergenossenschaft Lutz Krüger. Der Anruf habe ihn unmittelbar nach Erscheinen der Unterstützer-Anzeige für Olaf Raschke erreicht. Als Konsequenz sei gedroht worden, keinen Wein des Unternehmens mehr zu beziehen. „Ich habe in den letzten Tagen den Eindruck gewonnen, dass es in Meißen eigentlich nicht mehr möglich ist, sich ehrlich für Olaf Raschke oder Frank Richter auszusprechen, weil sofort Beschimpfungen von der Gegenseite folgen“, so Krüger. Er habe telefonisch versucht, mit dem Verweis auf die Spielregeln in einer Demokratie den Boykottaufruf aus der Welt zu schaffen.

Eine überraschende Wende hat unterdessen am Dienstag die Diskussion um die unter dem Namen Ullrich E. Brumm gesendeten Anwürfe genommen. Dieser schreibt auf Facebook, er habe „weder die Posts zu Frau Hinz noch zur Familie Mahlow geschrieben oder veranlasst.“ Wer oder was dafür verantwortlich sei, entziehe sich seiner Kenntnis. Brumm gab an, seinen Zugang sofort löschen zu wollen. Bis zum späten Nachmittag war dies jedoch nicht geschehen. Verwunderlich an dem Dementi ist der späte Zeitpunkt. Die beleidigenden und drohenden Zeilen wurden bereits vor dem Wochenende gesendet.

Beleidigung schon Alltag geworden

Frank Richter selbst hatte in einem SZ-Interview in der Dienstagsausgabe gesagt, über die Diskussion im Internet unmittelbar vor dem ersten Wahlgang nicht mehr den vollständigen Überblick behalten zu haben. Den Wahlkampf habe er jedoch im Allgemeinen als fair erlebt. Dies solle auch so bleiben. Hassmails und Drohanrufe bleiben dabei nicht auf die Anhänger Raschkes beschränkt. „Das ist ja nun leider schon Alltag geworden, etwa von CDU-Stadtrat Jörg Schlechte als ‚linke Hetzer’ bezeichnet zu werden“, sagt der Meißner Linken-Chef Tilo Hellmann. Das Gleiche gelte für Unterstellungen durch die AfD etwa zu angeblich unlauterer Wahlkampffinanzierung. Richters Wahlkampf-Helferin Ute Czeschka findet es „sehr bedenklich“ dass im Internet jetzt der Ton entgleite. Sie selbst schütze sich dagegen, indem sie solche Äußerungen überlese, so Ute Czeschka.

Unterzeichner des Briefes sind: Dorothee Finzel, Oliver Morof, Kathrin Herzog, Rolf Gätsch, Alexander Rost, Susanne Ast, Nico Riefling, Anke Geyer, Ulrich Bierstedt, Frank Lassotta, Steffen Hausch, Carsten Wüstner, Lutz Krüger, Bianca Wunderwald, Karsten Müller

www.sz-link.de/BriefFinzel