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Eine Frau kämpft um Rente

Seit einem Arbeitsunfall kann sich Dagmar L. schlecht bewegen. Das hat sich in letzten Zeit verschlimmert, sagt sie.

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© Norbert Millauer

Von Ines Scholze-Luft

Coswig. Das linke Knie war’s. Dagmar L. kann sich noch genau erinnern an den Tag, als sie als Reinigungskraft beim Saubermachen im Radebeuler Krankenhaus fast gestürzt ist und sich gerade noch so halten kann, um nicht auf den schweren Putzwagen zu fallen. Das gelingt zwar, doch irgendwas geht kaputt im Kniegelenk.

Dagmar L. will das nicht wahrhaben, geht am nächsten Tag trotzdem zur Arbeit. Doch dann kriegt sie das Bein nicht mehr gerade. Der Arzt bestätigt angerissene Bänder, Einblutungen, schreibt sie krank. Weitere Untersuchungen und Physiotherapie folgen. Auch das andere Knie macht schlapp: Arthrose, Meniskus-Probleme. Der Rücken kommt dazu, das sogenannte Iliosakralgelenk. Sie kann sich nicht mehr rühren, schafft es mithilfe der Tochter geradeso zum Arzt.

Für die heute 59-Jährige beginnt mit dem Arbeitsunfall 2014 eine Leidensgeschichte, die sie fast den Lebensmut kostet. Nicht nur, dass sie täglich Schmerzmittel nehmen muss, in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt ist. Auch finanziell wirkt sich der körperliche Schaden aus. Die gelernte Damenmaßschneiderin war kurzzeitig, bis zur Geburt der Tochter, in diesem Beruf tätig, hat später zur Malerin umgeschult. Und daraufhin lange als Reinigungskraft gearbeitet – nicht gerade ein Schonplatz für die Knochen.

Doch nun, nach dem Unfall, läuft das Krankengeld aus, danach  das Arbeitslosengeld. Als kürzlich noch der kleine Unterhalt von ihrem Mann – von ihm lebt sie seit 1996 getrennt – ausbleibt, und es beim Beantragen von Hartz IV Klärungsbedarf gibt, bekommt Dagmar L. Panik. Wie soll sie die Wohnung zahlen? Nach zwei offenen Monatsmieten kann der Vermieter kündigen. Erfreulicherweise renkt sich das mit dem Unterhalt wieder ein, das Jobcenter übernimmt anteilmäßig den Krankenkassenbeitrag. Aussicht auf eine ungetrübte Zukunft bedeutet das für die Coswigerin allerdings nicht. Am liebsten wäre ihr, sie könnte wieder arbeiten gehen. „Wer mich kennt, der weiß, dass ich ein Stehaufmännchen bin, mir fällt jetzt die Decke auf den Kopf“, sagt die freundliche Frau.

Die sich allerdings nur mit großer Mühe durch die Wohnung bewegen kann. Sitzen geht nur kurze Zeit, Stehen ebenfalls nicht lange. Schlafen stundenweise.

Davon abgesehen – die Geldfrage quält außerdem. Zum Glück helfen die Kinder. Die Tochter, alleinerziehend, selbst zwei Kinder, kommt einmal pro Woche aus Kirschau, füllt auch mal den Kühlschrank, bezahlt Medikamente, macht mit sauber. Der Sohn hat ihr Homebanking eingerichtet, er fährt für sie, wenn Größeres zu transportieren ist. Dagmar L. hat zwar selbst ein Auto. Wegen der Arztbesuche und dringender Besorgungen. Doch der Weg dorthin – beschwerlich. Zum Stellplatz vorm Haus muss sie vom vierten Stock hinunter steigen. Manchmal will das nicht klappen, da steht sie dann oben und kommt nicht mehr weiter. Und das Autofahren selbst ist oft eine Quälerei, sagt sie.

Das nährt ihre Befürchtungen, dass es wohl nichts mehr werden könnte mit einer Arbeit. Im Jobcenter wurde sie sehr gut beraten, sagt Dagmar L. Doch eine Arbeitsstelle, vielleicht als Pförtner, fand sich bisher nicht. Und selbst wenn. Schafft sie es nicht, immer pünktlich zu sein, weil die Beine nicht wollen, hätte sie den Job nicht lange, sagt die Coswigerin. Nichtsdestotrotz hat Berit Kasten von der Arbeitsagentur Riesa auf Anfrage der SZ noch mal ein Beratungsgespräch für Frau L. angeboten.

Dagmar L. ist skeptisch, hat vor drei Jahren schon eine Rente wegen Erwerbsminderung beantragt. War deshalb bei zwei Gutachtern. Die ihr bescheinigen, arbeiten zu können, täglich sechs Stunden. Dabei darf sie keine Treppen und auf keine Leiter steigen, nicht hocken, nicht knien, nicht auf unebenem Fußboden laufen. Schichten und Nachtarbeit sind verboten sowie der Einsatz im Personenverkehr.

Der Rentenantrag wird abgelehnt. Auch ein zweiter, gegen den sie kürzlich in Widerspruch gegangen ist. Weil sich inzwischen alles noch weiter verschlechtert hat. Schwerhörigkeit auf einem Ohr kommt dazu, Rheuma und Gicht plagen sie, statt einer Krücke braucht sie nun alle beide zum Fortbewegen in der Wohnung.

In ihrem jüngsten Widerspruchsschreiben an die Rentenversicherung – formuliert mit Unterstützung des Sozialamtes der Stadtverwaltung – hofft sie auf Verständnis für ihren verschlechterten Gesundheitszustand. Und vor allem darauf, dass eine Folgebegutachtung möglich ist und die Behörde ihre Entscheidung nochmals überprüfen kann.