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Einarmig an der Wand

Ein Arbeitsunfall kann die Kletterleidenschaft von Andreas Band nicht stoppen. Jetzt ist der Plauener sogar bei der WM.

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© Ronald Bonß

Von Michaela Widder

Er hat zwei Leben, das eine vor, das andere nach dem Unfall. Erstaunlicherweise denkt Andreas Band sogar weniger gern an die früheren Jahre zurück, weil die nur von Arbeit geprägt waren und er kaum Zeit für Freunde und die Kletterei hatte. Das Leben heute mit nur noch einem Arm – so wirkt es – ist für Andreas Band nicht leichter, aber erfüllender. „Ja“, betont der 44-Jährige, „ich weiß, wer wahre Freunde sind und schaue auf viele Dinge anders, gelassener. Der Unfall hat mir viel Neues eröffnet.“

Eine Weltmeisterschaft als Athlet, wie in diesen Tagen im Kletterparadies Innsbruck, hätte er wohl nie erlebt. Gehadert mit dem Schicksal im November 2013 hat der Mann aus Plauen von Anfang an nicht. „Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort“, sagt er mit ruhiger Stimme. Der Bauleiter war auf einer Baustelle in Winterthur von Kollegen gerufen worden, dann setzen seine Erinnerungen aus. Ein sieben Tonnen schweres Stahlteil krachte auf ihn.

Die Rippen hatten sich in die Lunge gespießt, der Beckenring war zertrümmert, der vierte und fünfte Wirbelkörper im Lendenbereich gerissen. „Ich war fast in der Kiste“, sagt er salopp und berichtet, dass seine schweren inneren Verletzungen sogar zu multiplem Organversagen geführt hatten. Als der Mann aus Plauen erst Monate später aus dem Koma aufwachte, merkte er, dass ihm sein linker Arm fehlte. Er war nur froh, überlebt zu haben.

Erste Versuche heimlich in der Reha

Ist es eine gute Idee, in dieser Situation mit einer Kletterzeitschrift ins Krankenhaus zu kommen? Darüber hatte sein Bruder Jörg mit Freunden lange beratschlagt. Doch Andreas Band freute sich. Er wollte beweisen, er kann Berge versetzen.

Im Sommer nach dem Unfall kam der Sachse nach Halle in eine Spezialklinik für Arbeitsunfälle. In kleinen Schritten kämpfte er sich zurück ins Leben. In der Reha sollte er zunächst auf einem Dreirad fahren. „Also entweder fahre ich richtig Fahrrad oder ich lasse es“, hatte er zu den Therapeuten gesagt und längst auf die kleine Kletterwand im Sportraum geschielt. Die war natürlich strengstens verboten für den Patienten, dessen vierter und fünfter Lendenwirbel kurz vorher versteift worden war. Eines Abends ging er heimlich in den Therapieraum und versuchte sich einarmig mit den ersten Griffen an der Boulderwand. „Ich wollte unbedingt wieder klettern.“ Auch an den großen Wänden.

Als er wieder zu Hause war, probierte Andreas Band zusammen mit seinem Bruder erste Züge im Steinicht, dem heimischem Kletterrevier im Vogtland, aus. Den Ehrgeiz aus seinem Job steckte er nunmehr in seinen Sport, obwohl er jetzt zu 80 Prozent schwerbehindert ist. Er ließ sich auch nicht entmutigen von Dingen, die nicht mehr gingen. Überhängende Wände zum Beispiel sind für ihn kaum machbar. Überhaupt sei es ein anderer Bewegungsablauf, sagt er. Als einarmiger Kletterer müsse er viel mehr mit den Füßen und der Hüfte arbeiten. Dafür braucht Band viel Balance und Körpergefühl. Zum Arbeiten trägt Band, der in seiner Maschinenbaufirma sechs Stunden am Tag einen Bürojob hat, eine Prothese. Beim Klettern würde die nur stören. Und im Wettkampf sind Hilfsmittel sowieso nicht erlaubt.

Ein Zufall brachte ihn dazu, dass er seit 2017 auch Wettkämpfe bestreitet. Als Fotos mit seinen ersten Kletterversuchen bei Facebook auftauchten, bekam er eine Nachricht von Melinda Vigh. Die Ungarin, eine Koryphäe im Paraklettersport, lebt in Berlin und lud ihn zu einem Lehrgang der Nationalmannschaft ein. Seitdem gehört er zum deutschen Paraclimbingteam. Die Szene ist noch klein, der Sport für Gehandicapte aber im Kommen. Im Sommer gab es den ersten Paraklettertag in Karlsruhe.

An der Wand wie im Tunnel

Schon nach kurzer Zeit ist Andreas Band international erfolgreich. Der Sachse, der sich auch mit Mountainbiken fit hält, hat gute Trainingsbedingungen in der Heimat. Im Winter ist er oft in der Plauener Boulderhalle, die sein zwei Jahre jüngerer Bruder Jörg betreibt. Im Sommer geht es an die Felsen beim Steinbruch in Steinicht. Wenn er an der Wand ist, sagt Band, denke er an nichts anderes. „Da bin ich wie im Tunnel.“

Bei einem großen internationalen Turnier in Imst gewann er in diesem Jahr, und beim Weltcup der gehandicapten Kletterer in Südfrankreich wurde er in der Schadensklasse der Armamputierten Dritter. „Der Zusammenhalt und der Spirit sind bei uns sehr besonders. Wir gehen die Routen auch mal gemeinsam durch, sprechen uns ab.“

Andreas Band hat sich sogar für die Weltmeisterschaft qualifiziert, die noch bis Sonntag zusammen mit den nicht gehandicapten Kletterern in Innsbruck ausgetragen wird. Am Mittwoch beginnt seine Qualifikation, ein Finalplatz am Sonntag ist sein Ziel bei der Premiere. „Ich kann meine Chance nicht gut einschätzen, weil meine Klasse möglicherweise mit einer anderen zusammengelegt wird“, erklärt er im Vorfeld. Für ihn ein Nachteil, weil er dann mit Kletterern gemeinsam in einer Wertung startet, die beispielsweise noch einen Ellbogen haben und sich damit stützen können.

Das Klettern gehört bei den nächsten Spielen 2020 in Tokio erstmals zum olympischen Programm, das Paraclimbing hat bis dahin noch einen längeren Weg vor sich. Für eine Zukunft in der paralympischen Familie fehlt es dem Sport an Lobby und auch an Leuten wie Andreas Band – die Hindernisse nicht ausbremsen, sondern antreiben.