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Ein Taufengel auf dem Taubenboden

Schloss Weesenstein widmet sich in der Winterausstellung der Festkultur in Sachsen und Böhmen – mit mancher Überraschung.

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© Norbert Millauer

Von Thomas Morgenroth

Weesenstein. Ach Gott, ist der süß! Ein Dreikäsehoch mit streng gescheiteltem Haar und einer Zuckertüte im Arm grient in die Kamera. Das Bürschlein trägt einen Anzug mit kurzen Hosen und darunter eine Strumpfhose, die in glänzenden Lackschuhen endet. Quer über den Bauch des Jungen spannt sich der Riemen einer ledernen Brottasche. Es ist ein Schnappschuss, wie es ihn in den Dreißigerjahren des vorigen. Jahrhunderts wohl zu Tausenden gab. Dieses eine Bild aber ist für die Ewigkeit: Es zeigt den Dresdner Schauspieler Rolf Hoppe bei seiner Schuleinführung. Damals war er sieben, das ist nun gut achtzig Jahre her. Gewisse Grundzüge seines Aussehens aber hat der 1930 im Harz geborene Hoppe zeitlebens nicht verloren.

Wer das überprüfen will, hat dazu ab Sonnabend auf Schloss Weesenstein Gelegenheit. Die historische Fotografie, zu besichtigen im Taubenboden, ist Teil der neuen Winterausstellung. Dabei ist Hoppe, anders als vor zwei Jahren, als sogar die originale Brottasche zu sehen war, nicht die Hauptperson, sondern eine von vielen schönen Illustrationen zu einem Thema, das wohl jeden Menschen betrifft: den Festen und Feiern im Lebenskreis.

Die Kuratoren Birgit Finger und Alexander Hänel haben der launigen Schau den Titel „Jegliches hat seine Zeit“ gegeben. Die beiden Historiker bedienten sich dabei nicht etwa bei den Puhdys, die diese Zeile in ihrem Gassenhauer „Wenn ein Mensch lebt“ singen. Es ist vielmehr ein Zitat aus der Bibel, das auch der Dichter Ulrich Plenzdorf nutzte, als er 1973 den Text für die ostdeutsche Rockband schrieb.

Treffender lässt sich der Inhalt der überraschend informativen Ausstellung im Müglitztal kaum zusammenfassen. Von der Geburt bis zum Tod durchwandern die Menschen verschiedene Lebensstufen, deren Übergang mit unterschiedlichen Bräuchen begangen wird. Geburtstage, Taufe, Hochzeit, Schulbeginn und Schulende, Tanzstunde, Jugendweihe, Konfirmation und neuerdings Junggesellenabschied – zu all diesen Anlässen wird oft recht ausgelassen gefeiert. Mancherorts auch bei einer Scheidung oder Beerdigung.

Jegliches hat seine Zeit

Die vom Büro Graphicus und dem Projektservice Schmelzer wie ein Lebenskreis gestaltete Ausstellung erkundet die sich ständig wandelnde Festkultur in Sachsen und Böhmen. Gravierende Unterschiede, sagt Birgit Finger, gibt es zwischen den Ländern kaum. Außer, dass in Tschechien keine Jugendweihe gefeiert wird, die ja keine Erfindung der DDR ist, sondern schon Mitte des 19. Jahrhunderts entstand. Freilich wurde das Fest im „Arbeiter- und Bauernstaat“ missbraucht und gegen die Konfirmation ausgespielt. Auf dem Weesenstein steht nun das Buch „Weltall, Erde, Mensch“, das bis 1974 jeder Jugendweihling bekam, einträchtig neben dem Kleinen Katechismus der Konfirmanden.

„Jegliches hat seine Zeit“ ist die vierte Ausstellung des von der EU mit insgesamt 1,4 Millionen Euro geförderten grenzüberschreitenden Projektes „Adelsschätze“ der Schlösser Weesenstein und Decin, das 2016 begann und 2018 endet. Höhepunkt, stellt Andrea Dietrich, Leiterin des Schlosses Weesenstein, in Aussicht, soll im nächsten Jahr eine Schau mit dem Titel „Bombensicher“ werden, die den Weesenstein als Kunstversteck während des Zweiten Weltkrieges in den Fokus rückt.

Zunächst aber soll die aktuelle Winterausstellung Besucher in das Müglitztal locken. Der Weg lohnt sich allein der exklusiven und oft emotional eindrücklichen Exponate wegen. Dazu gehören eine Silbermünze, die 1872 anlässlich der goldenen Hochzeit König Johanns und Königin Amalie geprägt wurde; ein geschnitzter Taufengel aus dem 18. Jahrhundert; zwei einhundert Jahre alte, als Poesiealbum benutzte Tanzstundenfächer aus Holz; mehrere Totenkrönchen oder zwei Haarbilder, die an viel zu früh verstorbene Kinder erinnern.

Großen Seltenheitswert dürfte auch die Zuckertüte von Erik aus Zwönitz haben, die der Siebenjährige in diesem Jahr von seinen Eltern bekam: Sie ist lila und trägt alle Unterschriften der Spieler des FC Erzgebirge Aue.

Da kann der kleine Rolf auf dem Foto daneben nur verständnislos die Schultern zucken. Von diesem Fußballverein konnte er natürlich noch nichts gehört haben, der wurde ja erst 1949 gegründet.

Winterausstellung auf Schloss Weesenstein, bis 4. März; Di-So 10-16 Uhr; 24. und 25. Dezember geschlossen.

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