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Ein Mann macht Kleinholz

In seinem Bonnewitzer Garten züchtet Thomas Pallmer Baumzwerge nach japanischem Vorbild. Manche nimmt er sogar mit in den Urlaub.

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© Daniel Schäfer

Von Jörg Stock

Wenn Thomas Pallmer Wald haben will in seiner Sitzecke, muss er nur ein bisschen umräumen. Schon wächst da eine knorrige Kiefer. Daneben sprießt, die Wurzeln um einen Stein gekrallt, der Berg-Ahorn. Und dann trägt er noch eine Eiche herbei. Schätzungsweise sechzig Jahre ist sie alt, älter als er selbst. Von Natur aus wäre die Pflanze jetzt um die fünfzehn Meter hoch. Doch hier überragt sie ihren Herrn nicht einmal, wenn der sich hinsetzt.

Im Reich der Bonsais

Die Bonsai-Gießkanne mit extra langem Hals soll einen besonders feinen Regen erzeugen.
Die Bonsai-Gießkanne mit extra langem Hals soll einen besonders feinen Regen erzeugen.
In Thomas Pallmers „japanischer Ecke“: Azalee trifft auf Ginkgobaum.
In Thomas Pallmers „japanischer Ecke“: Azalee trifft auf Ginkgobaum.
Aus Bonsaianers Werkzeugkiste: Scheren, Zangen, Draht und der Kokosbesen zum Glätten der Erde.
Aus Bonsaianers Werkzeugkiste: Scheren, Zangen, Draht und der Kokosbesen zum Glätten der Erde.
Durch dauernden Beschnitt seiner Bonsais erreicht der Gärtner eine feine Verzweigung und kleine Blätter.
Durch dauernden Beschnitt seiner Bonsais erreicht der Gärtner eine feine Verzweigung und kleine Blätter.
Ein Zwerg unter Zwergen ist dieser Buchs, wie die 2-Cent-Münze rechts verdeutlicht.
Ein Zwerg unter Zwergen ist dieser Buchs, wie die 2-Cent-Münze rechts verdeutlicht.

So geht es vielen Bäumen in Bonnewitz, dem nördlichsten von Pirnas Stadtteilen, wo Thomas Pallmer seinen Garten hat. Hier sammelt und bemuttert er Bonsais. Etwa sechzig Exemplare hat er in flachen, irdenen Gefäßen nahe beim Haus aufgestellt. Hinzu kommen etwa vierzig Stück in Töpfen und Kübeln, meist geparkt im Hinterland, der „Entwicklungsabteilung“. Auf dem Feld wachsen noch zweihundert chinesische Wacholder. „Meine Altersvorsorge“, sagt Herr Pallmer lachend.

Von den wunderlichen Baumzwergen aus Fernost hat angeblich schon der Chinafreund August der Starke gehört und geträumt. Öffentlich zu sehen waren Bonsais in Sachsen erstmals 1907 bei der Dresdner internationalen Gartenbauausstellung. Gefallen haben sie damals nicht jedem. Von Monsterbäumen und Pflanzenkrüppeln war die Rede. Trotzdem wuchs der Bonsai mehr und mehr in die deutschen Gärten hinein, auch in die der DDR. Man nimmt an, dass etwa 2 000 Bonsaianer unter dem Dach des Kulturbunds an ihren Bäumchen friemelten. Sogar der Staat machte mit, weil er hoffte, sozialistische Bonsais könnten devisenträchtiges Exportgut werden.

Die DDR wurde nicht alt genug, um ihre Bonsais verkaufsreif zu kriegen. Freilich, sagt Thomas Pallmer, ist der Weg zum Gutteil auch das Ziel bei den Bonsaizüchtern. Doch wer die Früchte seiner Arbeit genießen will, sollte nicht mit Sämlingen anfangen. Ein Bonsai wird erst schön durch Alter und Patina. „Der Baum muss einen umhauen.“ Mit sechzig ist Pallmers Eiche erst in der Pubertät. Immerhin hat sie schon ordentlich Borke angesetzt, zur Freude des Gärtners: „So will ich das haben!“

Mit Botanik hatte Thomas Pallmer anfangs wenig am Hut. Während seines Chemie-Studiums interessierten ihn die Exkursionen zu diesem Thema nicht die Bohne, wie er sagt. Naturverbunden aber war er irgendwie schon. Da erschien Mitte der Achtzigerjahre das Buch „Bonsai – Miniaturbäume im Gefäß“, verfasst von dem Dresdner Zierpflanzenzüchter Wilhelm Elsner. Stets vergriffen ging es von Hand zu Hand, fiel auch in die Hände von Thomas Pallmer. Mit Bäumen seiner Heimat trieb er die ersten Experimente, damals noch in der Wohnung. Die meisten seiner Pflanzen blieben eher klein und mickerig. „Mit Bonsai hatte das noch nicht viel zu tun.“

Als der Westen da war, bekam Pallmers Steckenpferd neue Nahrung, zuerst durch die Zeitschrift „Bonsai Art“, gewissermaßen das Zentralorgan der Szene, und dann durch das Internet. Hatte er bis dato mehr oder weniger allein vor sich hingeschnippelt, konnte er sich nun mit Gleichgesinnten vernetzen. Das Resultat: der Mitteldeutsche Bonsai Regionalverband mit rund einhundert Bonsaianern, an der Spitze, als Vorsitzender, Thomas Pallmer.

Vom Baum zum Bonsai

Was er so toll findet am Bonsai? Bonsai ist international, egal, woher man kommt oder an welchen Gott man glaubt. „Bäume gehen immer“, sagt er. Freundschaften im Zeichen des Bonsais halten über Zeiten und Grenzen hinweg. Alle streben nach dem einen Ziel: das Wesen der Bäume herausarbeiten, sie zur perfekten lebendigen Skulptur machen.

Wie das geht? Am besten mit einem stämmigen Rohling. Den gibt es im Handel, aber auch im Freiland, dort, wo das Wachsen von Natur aus beschränkt ist, in Steinbrüchen etwa oder in Bergbaulandschaften. Im Braunkohlendreck einer Halde kann sich ein wahres Bonsai-Wunderland entwickeln, sagt Thomas Pallmer. Aber auch in alten Hecken oder Pflanzkübeln fand er schon so manches knorrige Gewächs und rettete dieses vor dem Schredder.

Soll ein Baum zum Bonsai werden, wird er zunächst radikal zurückgeschnitten und dabei grob in die gewünschte Form gebracht. Danach verfeinert man die Optik. Durch das Schneiden der oberen Äste lenkt man das Wachstum in die darunter liegenden und die inneren Triebe. Der wiederholte Schnitt bewirkt, dass statt weniger dicker Äste immer mehr dünne und fein verzweigte Äste wachsen. Gibt es viele kleine Äste, gibt es viele kleine Blätter. So entsteht nach und nach eine Krone, die von den Proportionen her zum Stamm passt – der Liliput-Effekt ist erreicht.

Die Inszenierung des Verfalls

Schneiden ist die Hauptbeschäftigung der Bonsaianer. Nicht umsonst gelten sie als Scherensammler. Doch Kniffe, um die Bonsais in Form zu kriegen, gibt es viele. „Wir basteln unsere Bäume“, sagt Thomas Pallmer. Zu diesen Kniffen zählt das Biegen der Äste mittels Drahtkorsett. So schließt man unschöne Lücken. Zu den effektvollsten Verfahren gehört die Inszenierung des Absterbens – die Totholztechnik.

An einer Wildrose, die, bevor sie zum Bonsai wurde, „verwurschtelt“ in seinem Garten herumstand, hat Thomas Pallmer den vorgetäuschten Verfall durchexerziert. Den Stamm der etwa fünfzig Jahre alten Pflanze hat er mit Fräser und Stemmeisen ausgehöhlt, auch Teile der Rinde entfernt. Das nackte Holz hat er mit einer Mixtur aus Kalk und Schwefel gebleicht. Nun wirkt das urige Gewächs noch uriger und betagter. Um den Kontrast zu steigern, kann man noch Tusche oder Olivenöl einsetzen. Für Ausstellungen werden Bonsais wie dieser richtig herausgeputzt, sagt Pallmer, „wie die Zirkuspferde“.

Bonsais züchten heißt kreativ sein am lebenden Objekt. Genau darin liegt auch die Schwierigkeit. Es kommt darauf an, die Balance zu halten zwischen dem, was man erreichen will und dem, was der Baum mitmacht. „Das ist die hohe Kunst“, sagt Thomas Pallmer. Besonders hoch ist die Kunst, wenn man „Mame“ zieht, die Zwerge unter den Zwergen. Pallmer hat einen Buchsbaum in Pflege, der zwar zehn Jahre alt ist aber nur vier Zentimeter hoch. Bei diesem Baum kommt es auf jeden Ast an, auf jedes Blatt. Ihn nimmt er sogar mit in den Urlaub, um sicher zu gehen, dass er nicht vertrocknet.

Thomas Pallmer – ein Mann, der das Kleinholz liebt. Aber Pflanzen, die Normalmaß haben, mag er auch, seinen Walnussbaum zum Beispiel, den riesigen Fächerahorn und den steinalten Boskop, dessen Höhlungen die Stare als Kinderstube benutzen. Schrankenlos ranken die Himbeeren, die Farne wedeln und das Salomonsiegel wuchert. „Alles wächst wie verrückt“, sagt er. In letzter Zeit hat er erfolgreich die Alpen samt Enzian und Edelweiß nachgebaut. Nun will er ins nasse Element wechseln. Sein Ziel: der eigene Sumpf.

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